«Raketen-Brücke» im Zürcher TösstalDiese Brücke birgt ein Geheimnis aus dem Kalten Krieg
Die riesige Betonkonstruktion bei Wila zeugt von Autobahnplänen im Tösstal. Doch beim Bau 1972 könnten auch Transporte zu einer einst geheimen Militäranlage eine Rolle gespielt haben.
Irgendwie zu gross geraten: So wirkt die 80 Meter lange, wuchtige Betonbrücke, die sich südöstlich von Wila in acht Metern Höhe über die Kantonsstrasse, die Töss und die Bahnlinie spannt. In der ländlichen Umgebung des Tösstals wirkt das Bauwerk mit seinen massiven Pfeilern wie ein Fremdkörper.
Dabei verbindet die Tablatbrücke nicht etwa zwei verkehrsreiche Agglomerationsgemeinden, sondern lediglich das 2000-Seelen-Dorf Wila mit den rund ein Dutzend Häusern des benachbarten Weilers Tablat.
Der Betonkoloss wirkt aus heutiger Sicht ziemlich überdimensioniert.
Doch bei seinem Bau 1972 war das anders. Denn zwischen den 1950er- und den 1970er-Jahren plante der Kanton Zürich eine sogenannte Hochleistungsstrasse durchs Tösstal.
Als Autobahnzubringer geplant
Die Tablatbrücke wurde im Hinblick auf diese spätere Autobahn als Zubringer für Wila und zur besseren Verbindung mit dem Weiler Tablat gebaut. «Es ist die einzige Brücke im Tösstal, welche nachweislich als Autobahnzubringer gebaut wurde», sagt der Historiker Wolfgang Wahl, Leiter des Ortsmuseums Wila. Deshalb werde die Tablatbrücke im Volksmund auch «Autobahnbrücke» genannt.
Doch die Autobahnpläne verliefen Mitte der 70er-Jahre im Sand. Darauf liebäugelte der Gemeinderat von Wila noch kurze Zeit mit einer Hochleistungsstrasse rechts der Töss als Ortsumfahrung, wie Wahl sagt. Eine Einsprache von 300 Einwohnerinnen und Einwohnern verhinderte aber, dass diese Strasse in den kantonalen Richtplan aufgenommen wurde.
Einer, der die geplante Hochleistungsstrasse damals bekämpfte, ist Hans-Ulrich Graf, ehemaliger Seklehrer in Wila. Bedenken wegen des Lärms, der Umweltfragen und der engen Platzverhältnisse hätten den Ausschlag gegeben, sagt er auf Anfrage.
Besonders stabil – für Raketentransporte?
Für den Bau der «Autobahnbrücke» bei Wila kursiert allerdings bis heute eine zweite Begründung. So soll das Militär beim Bau der Brücke seine Finger mit im Spiel gehabt haben. Die Tablatbrücke soll deshalb so massiv gebaut worden sein, damit sie den Schwertransportern standhalten konnte, die damals Flugabwehrraketen des Typs Bloodhound zur Flugabwehrstation Schmidrüti oberhalb von Wila brachten.
In Schmidrüti befand sich von 1968 bis 1999 eine geheime Lenkwaffenstellung der Schweizer Flugabwehr. Heute betreibt die Schweizer Armee auf dem Areal eine Radaranlage.
Laut Dorfbewohnern soll die Armee damals auch einen namhaften Betrag an den Bau der Brücke bezahlt haben, wie es in einem Bericht des «Zürcher Oberländers» aus dem Jahr 2015 heisst.
«Die Version, dass die Armee eine möglichst tragfähige Brücke für den Transport von Bloodhound-Raketen baute, hörte man im Dorf immer wieder», sagt Hans-Ulrich Graf. Konkrete Hinweise habe es allerdings nicht gegeben. Und das offizielle Gegenargument des Militärs lautete: Die Raketen seien eher von der Thurgauer Seite her über Sitzberg in die Lenkwaffenstellung Schmidrüti gebracht worden. «Dort ist die Strasse allerdings ebenfalls eng und kurvenreich», sagt Graf.
Militär baute Verbindungsstrasse aus
Die Gerüchte über eine Beteiligung des Militärs am Bau der «Raketen-Brücke» kamen damals allerdings nicht von ungefähr. Denn ab Mitte der 1960er-Jahre liessen der Kanton Zürich und die Armee wegen des Baus der Lenkwaffenstellung die kurvenreiche Kantonsstrasse von Wila nach Schmidrüti für 160’000 Franken ausbauen, wie aus Akten im Bundesarchiv hervorgeht.
«Diese Strassenverbindung genügt wohl dem heutigen, nicht aber dem im Zusammenhang mit dem Bau und dem späteren Betrieb der militärischen Anlage zu erwartenden Verkehr», heisst es in einem Schreiben der Direktion der Militärflugplätze an die Sektion für militärische Bauten im Eidgenössischen Militärdepartement vom März 1965.
«Im Besondern während der Bauzeit wird die Strasse sehr intensiv mit schweren Lastwagen befahren. Aus Sicherheitsgründen müssten Verkehrs- und Gewichtsbeschränkungen in Kauf genommen werden, wodurch Verzögerungen im Bauprogramm eintreten und dem Bund wesentliche Kostenverteuerungen verursacht würden.» Deshalb brauche es dringend einen «zweckmässigen Strassenausbau».
Die Bauarbeiten zur Verstärkung dieser Strecke sorgten für längere Diskussionen um die Kostenübernahme zwischen dem Bund und dem Kanton. Schliesslich einigten sie sich darauf, dass beide Parteien je 80’000 Franken an den Ausbau beisteuern.
Zur Tablatbrücke finden sich im Dossier zum Ausbau der Kantonsstrasse keine Hinweise; sie wurde allerdings auch erst 1972 gebaut. Weitere Akten zur Lenkwaffenstellung Schmidrüti, die möglicherweise Aufschluss über die Brücke geben könnten, unterliegen im Bundesarchiv noch einer Schutzfrist.
«Denkmal für die regionale Mobilitätsentwicklung»
Wolfgang Wahl vom Ortsmuseum Wila bleibt skeptisch. «Ich denke nicht, dass die These vom Raketentransport haltbar ist», sagt er. Die Raketenstation sei damals zwar geheim gewesen, dennoch dürfte bei Einheimischen einiges durchgesickert sein, was dann wohl auch Stoff für den Stammtisch gegeben habe.
Raketentransporte hin oder her: Für Wahl bleibt die «Autobahnbrücke», die 2011 letztmals renoviert wurde, ein interessanter Bau – und «ein Denkmal für die regionale Mobilitätsentwicklung».
Der ehemalige Seklehrer Hans-Ulrich Graf erinnert sich noch an damalige Erlebnisse von Tösstalern im Zusammenhang mit der geheimen Lenkwaffenstellung. So habe Mitte der 1970er-Jahre ein befreundeter Lehrer mit einer Schulklasse in der Nähe der Anlage eine Rast gemacht. Als er seinen Fotoapparat gezückt habe und die Anlage von aussen habe fotografieren wollen, sei plötzlich ein Militärangehöriger aufgetaucht und habe ihn in barschem Ton darauf hingewiesen, dass Fotografieren dort streng verboten sei.
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