Zwischen Misere und AufbruchSo steht es um das Schweizer Tennis
Erstmals seit 1978 fehlt die Schweiz in den Top 100 der Welt. Alessandro Greco, Leiter Spitzensport beim Verband, sagt, wie er das ändern will.
Jahrelang waren die Swiss Indoors die Federer-Festspiele, seit dessen Rücktritt 2022 wird der Titel in der St.-Jakobs-Halle von der ausländischen Konkurrenz gewonnen. Und am 14. Oktober war das Schweizer Tennis erstmals seit 46 Jahren nicht mehr in den Top 100 vertreten – sowohl bei den Frauen wie den Männern. Der Berner Alessandro Greco (41), früher N3 klassiert und seit 2011 Leiter Spitzensport bei Swiss Tennis, sagt, wie er das ändern will.
Alessandro Greco, zeigen die Swiss Indoors, wo das Schweizer Tennis zurzeit steht? Es ist im Umbruch, aber es gibt Hoffnung für die Zukunft?
So ist es. Man spürt einen frischen Wind. Der junge Bernet schlägt einen Topspieler wie Fognini und sieht dabei so aus, als hätte er es schon x-mal gemacht. Stricker zeigt wieder einen klaren Aufwärtstrend. Kym hat sich sehr gut präsentiert. Man merkt: Wir sind breit aufgestellt, aber es fehlt noch ein bisschen etwas. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir in einigen Jahren vier, fünf Spieler im Hauptfeld der Swiss Indoors haben. Das wäre nicht nur gut fürs Turnier, sondern auch fürs Schweizer Tennis.
Stan Wawrinka bestätigte nach seiner Niederlage gegen Ben Shelton, dass er 2025 weiterspielt. Eine gute Nachricht?
Eine sehr gute. Wawrinka ist ein Vorbild für die Jungen. Es ist wunderbar, wie er mit 39 immer noch so brennt für diesen Sport und wie fit er ist. Hoffentlich kann er so viel wie möglich an die Jungen weitergeben. Er ist ein guter Mentor, sehr direkt und auch mal hart mit den Jungen. Wer damit umgehen kann, profitiert von ihm.
Wawrinka gilt als Arbeitstier. Wie steht es diesbezüglich mit den jungen Schweizern?
So weit wie Wawrinka sind sie noch nicht. Aber das ist auch logisch. Das entwickelt sich erst mit den Jahren. Federer machte mit 17, 18 auch noch viel mit seinem Talent und wurde erst allmählich zum harten Arbeiter. Die Jungen sind auf einem guten Weg. Wobei sie ganz unterschiedlich sind. Kym ist eher der Stan-Typ, Riedi und Stricker sind etwas anders. Und das ist auch gut so. Das macht es spannend.
Apropos Federer: Möchte ihn Swiss Tennis nicht in die Nachwuchsförderung einbauen?
Wir sind in Kontakt. Federer ist eine andere Liga. Er ist ein globaler Player und hat sehr viele Verpflichtungen. Es ist uns noch nicht gelungen, ihn gross einzubinden. Bei ihm müsste man sehr, sehr konkret sein, wenn man etwas von ihm will. Er ist immer noch daran, sich neu aufzustellen nach der Karriere. Aber ich bin guten Mutes, dass Federer, der das Tennis über alles liebt und sich immer als stolzer Schweizer zeigte, uns dereinst unterstützen wird.
Die fetten Jahre sind vorbei fürs Schweizer Tennis. Vor den Swiss Indoors gab es erstmals seit 1978 keine Schweizer Top-100-Spieler mehr. Werfen Sie sich etwas vor?
Bencic und Stricker wären eigentlich in den Top 100, wenn man ihr geschütztes Ranking anschaut. Und die Woche zuvor war Ritschard noch in den Top 100. Natürlich hätte ich gerne möglichst viele Spielerinnen und Spieler vorne dabei, aber wir sind primär ein Nachwuchsverband, der die Jungen nach vorne bringt. Wer dann von ihnen Weltklasse wird, da ist unser Einfluss bescheiden.
Aber was nützen die vielen Medaillen auf Juniorenstufe, wenn die Spielerinnen und Spieler später nicht bei den Profis reüssieren?
In dem Sinne nichts, das stimmt schon. Deshalb investieren wir nun auch mehr Manpower und Geld in die Phase des Übergangs von der Juniorenstufe zum Profi. In Italien sind in diesem Bereich sieben oder acht Coachs tätig. Das können wir sicher besser machen. Und das werden wir auch tun.
Wie?
Wir müssen diese Spielerinnen und Spielern finanziell noch mehr unterstützen, denn dieser Übergang ist ein teurer Spass. Aber wir müssen auch noch näher an ihnen dran sein. Ich möchte da unsere Nationalcoachs Heinz Günthardt und Severin Lüthi noch enger einbinden.
Heinz Günthardt war schon für die Qualifikation am US Open, um die Schweizerinnen und Schweizer zu unterstützen. Ist das der Weg?
Genau. Er bringt unheimlich viel Erfahrung mit und hat eine sehr schnelle Auffassungsgabe. Er kann ein Projekt sofort erfassen und sehr gut analysieren. Und er ist brillant in der Spielanalyse. Da ist Lüthi ähnlich. Sie sollen mithelfen, dass die Spielerinnen und Spieler auf ihrem Weg zum Profi merken, in welche Richtung sie gehen, wie sie sich auf dem Platz verkaufen wollen.
Im Podcast bei Swiss Tennis sagten Sie kürzlich, Sie hätten lieber fünf Top-100-Spieler als eine Nummer 1. Wirklich?
Ja. Ich werde daran gemessen, was ich beeinflussen kann. Wenn ich fünf Top-100-Spieler habe, bin ich stolzer. Ob jemand die Nummer 1 wird, kann ich nicht gross beeinflussen. Ich weiss, wie unglaublich die Geschichte von Federer ist. Das lässt sich nicht reproduzieren. Und wenn wir mehrere Spielerinnen und Spieler in den Top 100 oder den Top 50 haben, wirkt das befruchtend. Das sieht man nun in Italien. Plötzlich wächst Arnaldi über sich hinaus. Oder Nardi. Das wollen wir erreichen.
Sie sprachen es an: Tennis ist ein teurer Sport, und das bereits in jungen Jahren. Gehen deshalb nicht zu viele Talente schon früh verloren?
Tennis ist teuer, wenn man es ambitioniert betreibt. Wir möchten gerne noch mehr Geld in die Förderung stecken können und so breiter werden. Aber wir sind keine Grand-Slam-Nation, die jährlich 150, 200 Millionen Franken investieren kann. Und leider gibt es in der Schweiz zu wenige Firmen, die aufs Tennis setzen. Was mich erstaunt. Denn Tennis ist ein genialer Sport. Es ist der gesündeste Sport, er ist mehr oder weniger skandalfrei und eine gute Lebensschule. Dazu kommt der soziale Faktor. Ich wurde nicht so gut, wie ich mir erhofft hatte, aber praktisch alle meine Freunde stammen aus dem Tennis. Wenn sich Firmen im Tennis engagieren, setzen sie meist direkt auf Spielerinnen und Spieler und nicht auf den Verband. So ist der Breite nicht gedient.
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Demnächst gibt Belinda Bencic am kleineren Turnier in Hamburg das Comeback nach ihrer Babypause. Was bedeutet das fürs Schweizer Tennis?
Es ist sehr wichtig für uns. Sie ist ein Champion und kann noch viel gewinnen. Sie ist der Leuchtturm, der uns momentan fehlt. Sie würde die Fahne tragen an den Olympischen Spielen. Und sie ist ein guter Mensch mit einer positiven Ausstrahlung. Sie ist fröhlich und gibt gute Interviews. Es ist ein wichtiges Zeichen fürs Tennis, dass Bencic als Mutter weiterspielt. Ich kann ihr nur wünschen, dass sie es relativ schnell wieder nach vorne schafft.
Eine Prognose für 2025: Wer schafft den grossen Durchbruch?
Wenn sie verletzungsfrei bleiben, schaffen es von den Jungen Stricker, Riedi und Kym in die Top 100. Da bin ich mir sicher. Ritschard war ja schon da, er ist dran. Hüsler ebenfalls. Bernet hat sich gut entwickelt, aber er ist erst 17. Für ihn ist es noch ein weiter Weg, auch wenn er gut unterwegs ist. Und natürlich freue ich mich aufs Comeback von Bencic. Vielleicht gibt ihr ihre Tochter ja noch eine Spur mehr Lockerheit und wirkt sich das positiv auf ihr Tennis aus.
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