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Was wir lesen
Susan Sontag: «Wiedergeboren»

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Diese Woche habe ich mehrere Stunden in «Wiedergeboren» gelesen. So heissen die gesammelten und publizierten Tagebücher der Kulturkritikerin Susan Sontag. Der erste Eintrag ist auf den 23. November 1947 datiert, der letzte auf den 29. August 1963. Wir lernen die Autorin also als Vierzehnjährige kennen, als Dreissigjährige und in jedem Alter dazwischen.

Nun weiss ich nicht, ob und wie Sie Tagebuch schreiben. Aber ich vermute mal, Sie gehen die Sache entspannter an als Sontag. Denn bei ihr klingen die Sätze bereits im Teenageralter so: «Ideen stören die Gleichmässigkeit des Lebens.» (13. April 1948) Und später notiert sie dann Dinge wie: «Um schreiben zu können, muss man sich erlauben, auch die Person zu sein, die man nicht sein möchte (von all den Personen, die man ist).»

Allgemein ist jeder Eintrag ein Highlight. Gerne erzählt Sontag, was sie alles gelesen hat. «Die Brüder Karamasow», «Krieg und Frieden», «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goethe’schen Weltanschauung». Manchmal schreibt sie Listen mit Begriffen, die ihr gefallen («therapeutische Apathie» / «sich indisponiert fühlen»). Oft schwärmt sie von ihren Liebschaften Harriet und Irene. Und auf jeder Seite steht mindestens ein guter Einzeiler. Etwa: «Ich glaube an stückweise gelebte Moral.» Oder: «Mit der Welt einverstanden sein und sie geniessen – aber nur nackt.»

Was mir so gefällt an diesen Tagebüchern ist die Kombination aus Wissensdurst und Lebenshunger. Beim Lesen bekommt man den Eindruck, dass Susan Sontag alles aufsaugt, was ihr im Alltag begegnet. Jeden Text, jedes Musikstück, jede Begegnung, jeden Kuss. In ihrer Welt ist nichts langweilig, alles flirrt. Gleichzeitig bricht sie aber auch ab und zu mit dieser «coolen Persona», die sie auf diesen Seiten von sich selbst erschafft, und beklagt sich etwa darüber, wie trostlos und monoton ihre Einträge doch sein können (vor allem im Teenageralter).

Ich weiss nicht, ob man das Werk von Sontag – die mit Büchern wie «Über Fotografie» weltberühmt wurde – nach der Lektüre dieser Tagebücher besser versteht. Aber auf jeden Fall kommt man ihrem präzisen und kühnen Blick auf die Welt näher. Ich fühlte mich sogar jedes Mal etwas euphorisch, wenn ich das Buch zuklappte, weil ich dachte: Das Leben ist zauberhaft. Es gibt noch so viele Romane zu lesen! So viel zu entdecken! So viel zu tun! «Wiedergeboren» inspiriert einen also, ein bisschen mehr wie Susan Sontag zu sein.

PS: Mein allererster Tagebucheintrag stammt aus dem Jahr 2000. Da war ich sieben Jahre alt. Er geht so: «Seit heute weis ich, was fusbal bedeutet: ein hartes trening.»