Super-G in Wengen«Er könnte auch Skispringen» – Konkurrenten schwärmen von Sieger von Allmen
Der Berner gewinnt erstmals ein Rennen im Weltcup. Und das gleich vor Heimpublikum. Dritter wird Stefan Rogentin, nach ganz schwierigen Tagen.
Als Bub hat er die Rennen in Wengen immer vor dem Fernseher verfolgt, zusammen mit der Familie, in der Stube gab es dazu Pommes frites. Es sei seine schönste Lauberhorn-Erinnerung, erzählt Franjo von Allmen am Mittwoch. Zwei Tage später sagt er strahlend: «Nun ist es Zeit für ein Update.»
Wengen, das ist nun der Ort seines ersten Sieges, 22 Jahre nach Bruno Kernen in der Abfahrt gewinnt wieder ein Berner Oberländer am Lauberhorn. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines Aufstiegs, der bezüglich Tempo an und für sich Ski-Gesetze bricht. Das Weltcup-Debüt? Erst vor 22 Monaten. Der erste Top-10-Rang? Im dritten Rennen. Das Premieren-Podest? Im zwölften Versuch. Und nun also der Triumph im Super-G vor der Wengener Freitagsrekordkulisse von 27’500 Ski-Fans, zehn Hundertstel vor dem Österreicher Vincent Kriechmayr, knapp sechs Zehntel vor seinem Landsmann Stefan Rogentin.
Verblüffend sei das, sagt etwa der 40-jährige Italiener Christof Innerhofer, der 19. wird und sagt, Erfahrung sei in den Speedrennen doch so wichtig. «Aber der Franjo ist gerade richtig im Flow. Und in diesem Zustand könnte er wohl auch Skispringen und Rennrodeln. Es würde alles funktionieren.»
Die Karriere hing am seidenen Faden
Nach Justin Murisier und Alexis Monney ist von Allmen der nächste Athlet aus dem Schweizer Speedteam, der in diesem Winter erstmals reüssiert. Der 23-Jährige ist der unbekümmerte Draufgänger, der sagt, er liebe es, wenn er mit über 150 km/h den Haneggschuss hinunterrase und dabei der Wind durch seinen Helm pfeife. Die Trainer mahnten ihn den letzten Monaten nicht selten zur Zurückhaltung, ein paar Mal hat er es tatsächlich übertrieben, sämtliche Stürze aber verliefen glimpflich.
«Ich sehe vielleicht die Gefahren weniger als andere», erklärte der Aufstrebende in einem ausführlichen Gespräch letzten Sommer, nun sagt der Schweizer Trainer Reto Nydegger, in taktischer Hinsicht habe von Allmen markante Fortschritte gemacht.
Dass dieser ganz oben angekommen ist, schien noch vor einigen Jahren undenkbar. Mit 17 starb sein Vater, danach stand die Fortsetzung seiner Karriere aus finanziellen Gründen auf der Kippe. Dank eines Crowdfundings kam genug Geld zusammen, um eine weitere Saison zu absolvieren, am Ende jenes Winters schaffte es der Simmentaler ins Kader von Swiss-Ski. An der Junioren-WM 2022 holte von Allmen dann dreimal Silber, seither ist bei ihm daheim in der Metzgerei von Boltigen eine Wurst nach ihm benannt. Mehrere Schulklassen aus dem Dorf feuern ihn am Freitag an, die Unterstützung sei gewaltig gewesen.
Nichts spricht gegen den Abfahrtssieg
Von Allmen scheint dieses Spitzbübische an sich bewahren zu können, er hat diese innere Ruhe, die vielen abgeht. Im Sommer verletzte er sich und verpasste deswegen das Trainingscamp in Südamerika, bei seinem ersten Skitag im Herbst in Italien wirkte er dennoch locker und gelöst, keine Spur von Unsicherheit, keine Bedenken, nichts. Auch vom missglückten Saisonstart in Beaver Creek liess er sich nicht beirren, «er scheint ein ganz cooler Typ zu sein», sagt daher Dominik Paris, der in Wengen Fünfter wird. «Jetzt habt ihr wohl schon den nächsten Beat Feuz», sagt der Südtiroler, doch er präzisiert sogleich: «Nein, es ist der erste von Allmen.»
Feuz hatte seinem ehemaligen Teamkameraden einst seine alten Rennski geschenkt und ihn mit Tipps versorgt. Vor dem Super-G bewies er sein Näschen und kündigte diesen als Sieger an. «Ich bin froh, habe ich dem Druck standgehalten», sagt von Allmen, «ich hoffe, Beat wird vor der Abfahrt wieder auf mich setzen.»
Auf die Frage, ob etwas gegen einen Abfahrtstriumph spreche, antwortet er: «Nein, grundsätzlich nichts.» Er sagt das ohne eine Spur Überheblichkeit, aber mit dem notwendigen Selbstbewusstsein. Die Erwartungen tief zu halten, wie er das ja eigentlich will, dürfte nach den letzten Rennen und den Rängen 1, 6, 2 und 2 etwas kompliziert werden.
Odermatt für einmal mit Fehlern
Neben von Allmen glänzt Stefan Rogentin, der noch am Dienstag im ersten Abfahrtstraining im Ziel-S stürzte und in die Sicherheitsnetze drosch – einer seiner Ski durchtrennte diese gar. Der Bündner fährt mit Schmerzen, im Ziel krümmt er sich fast deswegen. In der Nacht nach dem Trainingssturz sah er im Traum dieses Netz immer wieder vor sich, die zweite Einheit am folgenden Morgen liess er auch aus Selbstschutz aus. Rogentin nahm mit seinem Mentalcoach Kontakt auf, der auch auf Traumata spezialisiert ist. Eineinhalb Stunden habe er mit ihm geredet – die Wirkung blieb nicht aus.
Sein dritter Rang ist eine weitere Schweizer Feelgood-Story, wie sie es im Super-G zuletzt en masse gegeben hat. In den letzten 20 Rennen in jener Sparte resultierten 27 Schweizer Podestplätze, seit Ende der Saison 2021/22 hat es immer mindestens ein Swiss-Ski-Vertreter in die Top 3 geschafft.
Dass Vorjahressieger Marco Odermatt das Kernen-S für einmal verpatzt, auch danach nicht fehlerfrei bleibt und als Siebter so weit hinten liegt wie seit knapp drei Jahren nicht mehr, fällt aus einheimischer Sicht nicht ansatzweise ins Gewicht. Er könne für die Abfahrt nichts Positives mitnehmen, sagt der Gesamtweltcup-Leader, «aber das Resultat ist auch weit weg von einer Katastrophe». Teamkollege von Allmen bezeichnete Odermatt schon vor Jahresfrist als «grandiosen Skifahrer». Heute sagt er nur: «Er hat eine Traumfahrt gezeigt.»
11 Stefan Rogentin
Der 30-jährige Bündner stürzte im ersten Training am Lauberhorn und liess die zweite Testfahrt aus, um sich zu schonen. Offenbar leidet er noch immer unter Schmerzen. Trotzdem ist er am Start – und legt ganz schnell los. Oben liegt er 18 Hundertstel vor Von Allmen. Im Ziel hat der Mann, der jüngst als Vierter das Podest im Super-G von Bormio nur knapp verpasste, allerdings ebenfalls Rückstand. 58 Hundertstel liegt er zurück und ist Dritter. Das war ein starker Auftritt des Bündners.
10 Loïc Meillard
Der Allesfahrer aus dem Wallis glänzte in dieser Saison bislang vor allem im Slalom – auch wenn er zuletzt in Adelboden ausschied. Dafür wurde er im Riesenslalom hinter Marco Odermatt Zweiter. Die Form stimmt also beim gebürtigen Neuenburger. Doch ist dieser Super-G auch technisch schwer genug für Meillard? Eher nicht. Der 28-Jährige fährt auf Zwischenrang 10 mit 2,08 Sekunden Rückstand.
9 Dominik Paris
Der Routinier sucht noch seine Bestform. Rang 10 im Super-G von Gröden ist das bislang beste Resultat in diesem Winter für den Draufgänger aus dem Ultental. Oben riskiert er viel und startet gut. Das technische Kernen-S ist nicht seine Passage, danach liegt er 14 Hundertstel hinter Von Allmen. Dann gerät auch er kurz vor der flachen Passage zu tief und verliert viel Tempo. Das reicht für Paris zu Zwischenrang 4.
8 Mattia Casse
Der Italiener war lange der Trainingsweltmeister, sammelte Podestplätze en masse – als es um nichts ging. Doch jetzt darf sich der 34-Jährige auch Weltcupsieger nennen: Am 20. Dezember gewann er den Super-G von Gröden. Casse gehört damit auch in Wengen zu den Favoriten. Vor dem Kernen-S macht er zwei Schwünge, er verliert aber nur ganz wenig Zeit auf den führenden Von Allmen. Dann allerdings gerät Casse etwas zu tief und büsst Tempo ein. Das reicht nicht: Zwischenrang 4 mit 92 Hundertsteln Rückstand.
7 Nils Allegre
Der Franzose ist in den Speedrennen ein regelmässiger Gast in den Top 10. Ein Podestplatz fehlt Allegre in diesem Winter aber noch. Und er muss sich weiter gedulden. Der 31-Jährige hat einige Mühe mit dieser herausfordernden Piste und muss sich mit Zwischenrang 7 begnügen. Allegre ist damit Letzter.
6 Vincent Kriechmayr
Die Formkurve beim 33-jährigen Österreicher zeigt nach oben. Rang 2 im Super-G von Bormio Ende Jahr ist sein bislang einziger Podestplatz in dieser Saison. In Wengen hat er schon zweimal die Abfahrt gewonnen. In diesen Super-G startet er schon einmal stark, auch das Kernen-S gelingt ihm ganz gut, allerdings nicht ganz so gut wie Von Allmen, der dort bislang die Differenz machte. Der Berner behält die Führung, Kriechmayr holt unten viel auf und liegt mit einer Zehntel Rückstand auf Rang 2.
5 Adrian Sejersted
Der Norweger hat das letzte Training am Mittwoch in Wengen als Zweiter beendet, im vergangenen Winter ist er hier 12. (Super-G) und Vierter (Abfahrt) geworden, er kommt mittlerweile mit dieser Strecke also ganz gut zurecht. Vor fünf Jahren ist er hier noch übel gestürzt und musste die Saison beenden. Der 30-Jährige ist ebenfalls chancenlos gegen Von Allmen. Sejersted verliert 1,51 Sekunden, das gibt Zwischenrang 4. Monney bleibt damit Dritter.
4 Daniel Hemetsberger
Die österreichischen Speedfahrer hatten in der bisherigen Saison Mühe, in Fahrt zu kommen. Zuletzt hat es Vincent Kriechmayr als Zweiter im Super-G von Bormio immerhin aufs Podest geschafft. Im Kernen-S fährt Hemetsberger vorsichtiger als Von Allmen vor ihm und verliert prompt eine halbe Sekunde. Der Österreicher wird mit 1,62 Sekunden Vierter und Letzter. Es müssen also andere richten für sein Team.
3 Franjo von Allmen
Der 23-jährige Berner hat bislang einen wunderbaren Winter erlebt. In Gröden und Bormio stand er als Zweiter auf dem Abfahrtspodest, beim letzten Super-G in Bormio wurde er Sechster. Er ist gut drauf, gab sich in den Gesprächen vor dem Rennen locker. Bei der ersten Zwischenzeit ist er 5 Hundertstel schneller als Crawford. Auch das Kernen-S gelingt Von Allmen formidabel, mit 133,5 km/h rast er Richtung Ziel. Mit 62 Hundertsteln Vorsprung übernimmt er die Führung.
2 Alexis Monney
Der Freiburger hat das Rennwochenende seines Lebens hinter sich. In Bormio gewann er jüngst die Abfahrt und wurde am nächsten Tag Dritter. Lesen Sie hier unser Porträt über ihn. In Wengen muss er sich erst einmal gedulden, das Rennen ist unterbrochen. Wieso, ist nicht ersichtlich. Mit etwas Verspätung darf der 25-Jährige doch noch auf die Piste. Er startet etwas langsamer als Crawford und verliert weiter Zeit. Das wird heute wohl nichts mit einem absoluten Spitzenplatz. Im Ziel liegt Monney 65 Hundertstel hinter dem Kanadier.
1 James Crawford
Der Kanadier stand bislang erst einmal auf einem Super-G-Podest, 2022 in Kvitfjell als Zweiter. Die Abfahrt ist seine stärkere Disziplin. Heute gelingt dem 27-Jährigen eine solide Fahrt. In 1:48,27 Minuten setzt er eine erste Richtzeit. Nicht nur die Abfahrt, auch der Super-G am Lauberhorn ist der längste der Saison.
Herzlich willkommen
In Wengen herrscht schon die ganze Woche Prachtswetter. Auch an diesem Freitag gibt es kein Wölkchen, das die Sicht trüben könnte. Gilt das bei diesem Super-G am Lauberhorn auch für das Schweizer Speed-Team, das so stark in den Winter gestartet ist?
In der Abfahrtswertung belegen die Schweizer mit Marco Odermatt, Franjo von Allmen, Justin Murisier und Alexis Monney die ersten vier Plätze. Und in den bisherigen drei Super-G stand immer ein Fahrer aus dem Team von Trainer Reto Nydegger auf dem Podest: In Beaver Creek gewann Marco Odermatt, in Gröden wurde er Dritter, in Bormio schaffte es Alexis Monney nach seinem überraschenden Abfahrtssieg auf Rang 3.
Odermatt, in den vergangenen zwei Wintern schon der beste Super-G-Fahrer, führt in der Disziplinenwertung erneut und ist in Wengen der grosse Favorit. Der Nidwaldner hat dieses Rennen 2022 gewonnen, 2023 wurde er Dritter und im letzten Winter hinter Cyprien Sarrazin Zweiter. Der verletzte Franzose ist einer der grossen Abwesenden.
Odermatt startet in diesen Super-G mit der Nummer 13 und damit als fünfter Schweizer. Der Kanadier James Crawford eröffnet das Rennen, dann folgen mit Monney und Von Allmen gleich zwei Athleten von Swiss-Ski. Loïc Meillard (10), Stefan Rogentin (11), Arnaud Boisset (17), Murisier (20) und Lars Rösti (29) komplettieren die Schweizer Mannschaft. Um 12.30 Uhr geht es los!
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