Nach Putschversuch in SüdkoreaDie Amtsenthebung des Präsidenten bleibt aus – das Regieren bald auch?
Yoon Suk-yeol bleibt Präsident. Seine Partei hat die Abstimmung über die Amtsenthebung boykottiert, will ihn aber trotzdem nicht mehr regieren lassen. Klingt nach Chaos? Ist es auch.
- Präsident Yoons Amtsenthebung scheiterte wegen eines Boykotts der PPP-Abgeordneten.
- Der südkoreanische Präsident hatte zuvor das umstrittene Kriegsrecht ausgerufen.
- Der PPP-Fraktionschef trat zurück, da er Yoons Entscheidung für falsch hielt.
- Premierminister Han übernimmt die Regierungsgeschäfte, um Chaos zu vermeiden.
Es war gegen halb zehn am Samstagabend, als Woo Won-shik, der Sprecher der südkoreanischen Nationalversammlung, bekannt gab, dass die Amtsenthebung von Präsident Yoon Suk-yeol gescheitert sei. Auf dem Platz beim Joenil-Gebäude in Gwangju, auf dem sich etwa 2000 Menschen vor einer Videowand versammelt hatten, ging ein enttäuschtes Seufzen durch die Reihen. Sie hatten hier seit dem frühen Abend in der Hoffnung gewartet, den Anfang vom politischen Ende des Präsidenten Yoon zu erleben nach dessen Putschversuch gegen die heimische Demokratie.
Gwangju im Süden des Tigerstaats ist ein Ort, der die Erinnerung an die demokratieferne Vergangenheit Südkoreas besonders wachhält. Am 18. Mai 1980 schlug die damalige Militärdiktatur hier einen Aufstand von Studenten und einfachen Bürgern mit tödlicher Brutalität nieder.
Heute ist die ganze Stadt ein Mahnmal gegen die Willkür von oben. Deshalb kam es hier besonders schlecht an, dass Yoon am vergangenen Dienstag in Seoul das Kriegsrecht ausrief, um die starke Opposition kleinzukriegen.
Die Stimmung bei der Demonstration in Südkorea war gut – bis das Ergebnis der Abstimmung bekannt wurde
Die Zusammenkunft der Yoon-Gegner bei Kälte und Regen war wie ein Public Viewing bei Fussball-Weltmeisterschaften angelegt. Alle schauten auf die Videowand. Die Zeit bis zum Höhepunkt der Übertragung vertrieb man sich mit Freiheitsgesängen und Anti-Yoon-Bekundungen. Die Stimmung war gut. Bis endgültig klar war, dass die nötige Zweidrittelmehrheit für Yoons Amtsenthebung nicht zustande kam, weil die meisten Abgeordneten der konservativen Regierungspartei PPP die Abstimmung boykottierten. Es gab ein paar letzte «Yoon raus!»-Rufe, dann trollten sich die Leute. «Traurig», sagte der Lehrer Hoyeong Jeong (30), «aber das ist die Realität der koreanischen Demokratie.»
Die hat an diesem Dezembersamstag tatsächlich einen weiteren Schlag hinnehmen müssen durch das eigenwillige Abstimmungsverhalten der PPP-Fraktion. Demokraten auf der ganzen Welt schreckten Mitte vergangener Woche auf, als Präsident Yoon Suk-yeol im friedlichen Südkorea plötzlich ein nächtliches Militärkommando auf das nationale Parlament ansetzte, um – wie er sagte – «pronordkoreanische Kräfte auszurotten».
Das Parlament konnte von seinem Recht Gebrauch machen und das Kriegsrecht einstimmig aufheben. Aber selbst das hatte Yoon ja verhindern wollen: Per Erlass wollte er auch politische Aktivitäten in der Nationalversammlung verbieten, obwohl Südkoreas Kriegsrecht das gar nicht zulässt. Und ein hoher Beamter des nationalen Geheimdienstes hat enthüllt, dass Yoon ausserdem angeordnet hatte, missliebige Politiker zu verhaften, unter anderen Han Dong-hoon, den Chef seiner eigenen Partei PPP.
Yoon sagt, er werde sich den Konsequenzen stellen. Was auch immer das bedeutet
Am Freitag sah es deshalb so aus, als könnte sich die Einsicht durchsetzen, dass Yoon mit seinem Frust über die per Wahl bestimmte Mehrheit der DP eine Gefahr für Südkoreas Demokratie ist. Selbst PPP-Chef Han fand Yoons Suspendierung plötzlich notwendig. Zuvor hatten die DP und andere Oppositionsparteien den Antrag auf Amtsenthebung eingereicht. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gegen Yoon wegen des Verdachts auf Hochverrat. Und im ganzen Land gab es Proteste.
Yoon Suk-yeol selbst versuchte vor dem Votum, die Stimmung aufzulockern. Bei einer Fernsehansprache am Samstagvormittag sagte er, es tue ihm «aufrichtig» leid. Er habe aus «Verzweiflung» gehandelt und werde sich den Konsequenzen stellen. Dann verbeugte er sich. Aber er trat nicht zurück. Prompt antwortete DP-Chef Lee Jae-myung: «Es gibt nur eine Lösung jetzt: den sofortigen Rücktritt des Präsidenten oder einen frühen Abschied durch eine Amtsenthebung.» Vor der Nationalversammlung im Seoul versammelten sich Zehntausende Yoon-Gegner in froher Erwartung.
Aber dann nahm die Sitzung im Parlament ihren Lauf, und die PPP-Fraktion funktionierte im Sinne Yoons. Erst verhinderte sie, dass die Zweidrittelmehrheit für eine Sonderermittlung zu den Korruptionsvorwürfen gegen First Lady Kim Keon-hee zustande kam. Dann verliessen vor der Abstimmung über Yoons Amtsenthebung fast alle PPP-Leute das Plenum. «Sie müssen wählen», rief Parlamentssprecher Woo Won-shik ihnen hinterher. «Unabhängig vom Parteibuch müssen wir die Demokratie und die konstitutionelle Ordnung der Republik Korea schützen.» Er gab der Abstimmung mehr Zeit. Aber am Ende nahmen von der PPP nur drei Abgeordnete teil, von denen einer – Kim Sang-wook – später erklärte, er habe die Amtsenthebung nicht unterstützt.
Noch am Abend tritt der Fraktionschef von Yoons Partei zurück
300 Sitze hat Südkoreas Parlament, 200 Stimmen bringen die Zweidrittelmehrheit. Die Opposition kommt insgesamt auf 192 Sitze, die PPP auf 108. Mindestens acht PPP-Leute hätten also gegen Yoon stimmen müssen, aber offensichtlich beschwichtigte dessen Entschuldigung parteiinterne Kritiker. Oder ist die Distanz zur DP mit ihrem umstrittenen Parteichef Lee Jae-myung zu gross?
PPP-Chef Han konnte die Fraktion jedenfalls nicht auf seine Linie bringen. Auf einer sehr langen Sitzung am Freitag sprachen die Abgeordneten offensichtlich den Boykott ab – der allerdings keine ausdrückliche Zustimmung für Yoon ist. Und nachdem die Amtsenthebung gescheitert war, trat noch am Samstagabend PPP-Fraktionschef Choo Kyung-ho zurück, der eigentlich als Yoon-Freund bekannt ist. Für ihn ist Yoons Kriegsrechtserklärung «eindeutig ein Fehler».
Yoon Suk-yeol bleibt also vorerst im Amt. Aber das heisst nicht, dass für ihn alles so weitergeht wie vor der Kriegsrechtserklärung. Das war zumindest der Eindruck, der am Sonntag entstand, als Yoons Stellvertreter, Premierminister Han Duck-soo, und PPP-Chef Han Dong-hoon sich gemeinsam an die Öffentlichkeit wandten. Ihre Botschaft ans In- und Ausland: Yoon werde keinen Schaden mehr anrichten und aufhören, bevor seine Amtszeit im Mai 2027 turnusgemäss ende. «Durch einen ordentlichen und frühen Abschied des Präsidenten werden wir das Chaos für die Republik Korea und ihre Menschen minimieren», sagt PPP-Chef Han.
Der gerade zurückgetretene Verteidigungsminister wird festgenommen, der Innenminister tritt zurück
Wie und wann dieses frühe Ende kommen soll, wurde nicht klar. Aber es klang so, als habe die PPP Yoon seiner Aufgaben entbunden und Han Duck-soo die Regierungsgeschäfte übergeben. Han Dong-hoon sagte, bis zu seinem Abschied werde Yoon keinen Einfluss mehr auf Staatsangelegenheiten und Diplomatie haben. Han Duck-soo versprach ausserdem, das Vertrauen irritierter Partner zurückzugewinnen. Er sagte: «Die Allianz zwischen Südkorea und den USA und die trilaterale Sicherheitszusammenarbeit mit den USA und Japan aufrechtzuerhalten, ist eine sehr grosse und wichtige Aufgabe.»
Zwei selbst ernannte Notfallverwalter einer Nation mit einem offiziell nicht suspendierten, aber irgendwie ruhiggestellten Präsidenten gelobten also geregelte Abläufe. Das wirkte für sich schon nicht besonders geregelt.
Die Unruhe in Südkorea bleibt. Am Sonntag berichtete die Agentur Yonhap, dass der erst am Mittwoch zurückgetretene Verteidigungsminister Kim Yong-hyun festgenommen worden sei, weil er eine zentrale Rolle bei der Ausrufung des Kriegsrechts gespielt haben soll. Und Innenminister Lee Sang-min, der als Vertrauter Yoons gilt, ist laut Medienberichten zurückgetreten. Am Montag erklärte schliesslich das Justizministerium, dass der Präsident das Land vorerst nicht verlassen dürfe. Es laufen schliesslich Ermittlungen gegen Yoon.
Und die Proteste auf den Strassen gehen weiter. Die Yoon-Gegner unterschätzen nicht den Umstand, dass die PPP-Abgeordneten den Putsch-Präsidenten zunächst einmal geschützt haben. Vor der Videowand in Gwangju sagte zum Beispiel Lee A-yeon, eine 30-jährige Lehrerin mit künstlicher Kerze in der Hand: «Für Bürger einer Demokratie ist das unmöglich.»
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