Stummfilm-Musikerin aus ZürichSie macht das frühe Kino modern
Die Zürcher Musikerin Iokoi liebt das Experimentieren. Für ihre Leidenschaft reist sie auch durch den Amazonas-Dschungel. Demnächst tritt sie am Stummfilmfestival auf.
- Die Zürcher Musikerin Iokoi, eigentlich Mara Micchichè, begleitet Stummfilme mit Stimme und elektronischer Musik.
- Zusammen mit dem Institute of Incoherent Cinematography (IOIC) tritt sie nicht nur in Zürich, sondern auch im Amazonas-Dschungel auf.
- Der Verein fördert den Stummfilm, indem er Livevertonungen organisiert. Zusammen mit dem Filmpodium führt er zurzeit das Stummfilmfestival durch.
- Demnächst tritt Iokoi mit dem IOIC-Fitzcarraldo-Ensemble am Festival im Kunstraum Walcheturm auf.
Ein Stummfilm-Ensemble mitten im Regenwald: Vergangenen August ging die Zürcher Musikerin Mara Miccichè, genannt Iokoi, mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf eine Tournee quer durch Südamerika. Der Weg führte sie vom brasilianischen Recife an der Atlantikküste über die Dschungelstädte Manaus und Iquitos bis zu Perus Hauptstadt Lima auf der anderen Seite des Kontinents. In Theatern und Kulturlokalen führten sie Filme vor und begleiteten sie mit Livemusik, teils in Kollaboration mit lokalen Musikschaffenden.
An der Grenze zwischen Brasilien und Peru musste die achtköpfige Truppe mit einer Fähre über den Amazonas. Der Fluss befand sich auf einem historischen Tiefstand – eine Folge des Klimawandels –, und das Ufer hatte sich zurückgebildet. «So mussten wir mit unserem ganzen Gepäck durch Schlamm waten», sagt Iokoi. Neben einem Beamer und einer Leinwand hatten sie ihre ganzen Instrumente dabei, darunter zwei Harfen.
Wir sprechen mit der 39-jährigen Musikerin in einem Dachstock unweit der Kalkbreite im Kreis 4. Ein Raum mit Kinosesseln, einem Klavier in der Ecke, Plattenregalen und Bartheke. Das ist die Zentrale des Institute of Incoherent Cinematography (IOIC). Der in Zürich beheimatete Verein hat sich der Förderung des Stummfilms verschrieben. Pablo Assandri und Martin Boyer gründeten ihn 2011. Assandri fragte dann Iokoi noch im selben Jahr an, ob sie mitmachen wolle.
Stummfilme frisch erleben
Das IOIC organisiert Vorführungen mit Livevertonungen in wechselnden Formationen. Zumeist in Zürich, aber alle paar Jahre gibts grosse Tourneen im Ausland: Jeweils zweimal war das Institut in China und Südamerika, für das nächste Mal steht Afrika auf dem Plan.
Wenn das IOIC einen Film begleitet, ist das weit weg von einer klassischen Pianobegleitung. Iokoi zum Beispiel, die mit ihrer Stimme und einem elektronischen Schaltpult arbeitet, schafft träumerische bis unheimliche Sound-Welten. «Wir holen das Publikum auf einer anderen, zeitgemässen Ebene ab», sagt Iokoi.
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Demnächst ist das am Stummfilmfestival im Kunstraum Walcheturm zu erleben, wo Iokoi mit dem IOIC-Fitzcarraldo-Ensemble auftritt. Viele der gezeigten Werke wurden erst in den letzten paar Jahren restauriert und lassen sich in einer neuen Brillanz entdecken. Überhaupt beweist das Festival immer wieder, wie durchgeknallt und modern das Kino in seiner Frühphase sein konnte und wie frisch es immer noch wirkt.
Das IOIC präsentiert zwei Werke, die es bereits am Amazonas im Gepäck mitführte. «Ballet mécanique» von 1924 ist eine abstrakte Collage von Bildeindrücken, wilder als die meisten Musikvideos. «L’inhumaine» aus demselben Jahr erzählt die Geschichte einer heftig umworbenen, aber gefühlskalten Sängerin. Kostüme, Make-up und Kulissen sind von einer hemmungslosen Künstlichkeit, so als würde ein abstraktes Gemälde lebendig. «Ich bin immer wieder überrascht, wie viel mit den technischen Möglichkeiten von damals möglich war», sagt Iokoi.
Wobei sie mitunter auch an der Musik zu aktuellen Filmen arbeitete, etwa bei «Becoming Julia» (2022), einer Doku über Giulia Tonelli, Tänzerin am Zürcher Opernhaus.
Vom Italo-Pop zur improvisierten Musik
Iokoi wuchs als Tochter italienischer Eltern in Geroldswil auf. «In meiner Familie war niemand künstlerisch tätig», sagt sie. Man hörte Italo-Pop. Geblieben sind ihr Lucio Battisti und Franco Battiato.
Mit vier Jahren begann Iokoi Klavier zu spielen, und sie war in verschiedenen Bands. Nach Zürich kam sie, um Kommunikation zu studieren, im Anschluss wollte sie zum Radio oder zum Musikfernsehen. «Ich war ein MTV-Kind», sagt Miccichè. «Und Musik studieren wollte ich eigentlich nicht.»
Als 2006 an der ZHDK erstmals ein Studiengang in Popmusik angeboten wurde, ging sie aber an die Aufnahmeprüfung, wurde angenommen und belegte im Hauptfach Gesang. Der Jahrgang umfasste gerade mal fünf Leute. «Wir bildeten quasi eine Band, mit der wir uns im Studium durch verschiedene Musikstile gespielt haben», sagt Iokoi. Für ihr Masterprojekt erfand sie den Namen Iokoi. Anfangs handelte es sich um eine Formation mit verschiedenen Mitgliedern, erst später wurde daraus ein Soloprojekt.
Nach Pop hört sich die Musik eigentlich nicht an, die Iokoi macht. «Der Pop-Studiengang war eng mit dem Jazz verknüpft», sagt sie. «Dadurch kam ich zum Improvisieren und Experimentieren.» Und sie entwickelte ein Interesse für Kollaborationen über verschiedene Disziplinen hinweg: Sie bewegt sich zwischen Musik, Videokunst und Installation.
Ihre Musik hat sich immer weiter von traditionellen Songstrukturen wegentwickelt. «Meine Mutter sagt: Du singst nie mehr richtige Lieder!», sagt Iokoi und lacht. Zurzeit ist sie zurück an der ZHDK, um Sounddesign zu studieren, also Tongestaltung für Filme und andere Medien.
Und für 2025 plant sie eine neue Platte. «Dieses Mal mache ich kein Soloalbum», sagt sie. «Ich kollaboriere mit anderen Musikerinnen und Musikern.» Etwa mit den beiden Harfenistinnen Linda Vogel und Marina Mello, die damals bei der Amazonas-Überquerung dabei waren.
Stummfilmfestival, 9.–27. Januar, filmpodium.ch
«Entr’acte» & «Ballet mécanique»: Sa, 18.1., 19.30 Uhr, Kunstraum Walcheturm
«L’inhumaine»: Sa, 18.1., 21 Uhr, Kunstraum Walcheturm
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