Kantonsrat debattiert über Notfallmedizin50-Franken-Gebühr im Notfall: Ist das gerecht oder asozial?
Im Spital sollen Kranke zahlen, bevor sie notfallmässig behandelt werden. Im Kantonsparlament sind die Meinungen dazu geteilt.
Die Spitäler im Kanton Zürich haben letztes Jahr 17 Prozent mehr Notfallpatientinnen und -patienten behandelt als im Vorjahr. Diese Zunahme sei deutlich grösser als das Bevölkerungswachstum. Dies sagte am Montagmorgen Kantonsrat Ronald Alder (GLP), der als stellvertretender Leiter beim Verband Zürcher Krankenhäuser (VZK) arbeitet, an der Parlamentssitzung.
Es ist eine länger anhaltende Entwicklung, weil viele zugewanderte Menschen das Zürcher Gesundheitssystem mit den Hausärzten schlecht kennen. Dem Spitalpersonal bringt das immer mehr Stress, den Notfallpatienten lange Wartezeiten.
Am Montag debattierte der Kantonsrat über eine Gebühr von 20 bis 50 Franken, welche die Patienten in der Notfallstation künftig zahlen sollen, bevor sie behandelt werden. Dies hatte Daniel Häuptli (GLP) im Kantonsrat verlangt, um die Menschen davon abzuhalten, bei milden Krankheitssymptomen sofort ins Spital zu gehen. Über fünf Jahre stand seine Motion nun auf der Traktandenliste und Häuptli ist längst aus dem Rat zurückgetreten.
Mutwillig ist sein Vorstoss allerdings nicht verschleppt worden. Vielmehr kann der Kantonsrat eine Notfallgebühr gar nicht selber einführen. Das verbietet ihm das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG).
Am Montag sollte Häuptlis Vorstoss deshalb abgeschrieben werden. Doch statt dies kurz und schmerzlos zu tun, stritt der Rat nochmals über Sinn oder Unsinn einer Notfallgebühr, quasi als Signal an den Nationalrat. Denn der ist gegenwärtig dabei, das KVG zu ändern.
Angst vor Bürokratiemonster
Sympathien geniesst die Idee auf bürgerlicher Seite: «Wir wollten die Gebühr schon immer und werden nicht zögern, wieder aktiv zu werden, wenn der Nationalrat nicht vorwärtsmacht», sagte Lorenz Habicher (SVP). Linda Camenisch (FDP) wies darauf hin, dass über die Hälfte aller Spitalnotfälle Bagatellen sind, was Ronald Alder (GLP) bestätigte. Doch Alder meldete auch Zweifel an: «Wir wollen zwar die Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten stärken, aber diese Gebühr wird wohl ein neues Bürokratiemonster.»
Mehrheitlich sprach sich der Rat dagegen aus. Jeanette Büsser (Grüne) sprach von einer Strafgebühr, AL-Sprecher Nicole Wyss von einer «asozialen» Zahlung. Die Spitäler sollten erst damit aufhören, für ihre Notfallstationen Werbung zu machen, wie es das Universitätsspital in den Zürcher Trams tue, sagte Büsser.
Da eine Notfallbehandlung beim Hausarzt nur halb so teuer ist wie im Spital, wäre es für Brigitte Röösli (SP) wichtiger, den Hausarztdienst zu stärken, als Notfallpatienten Geld abzuknöpfen. Dies unterstützte auch Hausarzt Josef Widler (Mitte). Aus seiner Sicht müssten der Kanton und die Spitäler damit beginnen, das Ärztefon, den Notfalldienst der Zürcher Ärzte, bekannter zu machen. Wenn er zum Telefondienst eingeteilt sei, komme es vor, dass er an einem Sonntag kaum einen Anruf beantworten müsse.
Renata Grünenfelder (SP), die als Pflegefachfrau in einem Spitalnotfall arbeitet, befürchtet Gewalteskalationen auf dem Notfall, vor allem wenn Patienten nach der Zahlung von 50 Franken noch lange warten müssen.
Höhere Franchise?
Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) kündigte am Montag eine baldige Änderung des KVG im Nationalrat an. In der nationalrätlichen Gesundheitskommission werde derzeit von zwei Varianten jene favorisiert, bei der die Krankenkassenfranchise um 50 Franken erhöht wird, wenn jemand den Spitalnotfall aufgesucht hat.
Rickli zeigte sich erstaunt, dass die überlasteten Spitäler für ihre Notfallstationen Werbung machten. «Bitte melden Sie mir, wenn Sie so etwas sehen», sagte sie. Josef Widler versprach sie mehr Unterstützung für das Ärztefon. Das Universitätsspital dementierte auf Anfrage dieser Redaktion, dass es in den Trams explizit Werbung für seine Notfallstation gemacht hat.
Der Kantonsrat schrieb die Motion der GLP einstimmig ab. Im Gegenzug überwies er mit 164:0 Stimmen ein Postulat von FDP, SVP und GLP mit dem Auftrag an den Regierungsrat, den Hausarztdienst attraktiver zu machen.
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