Steuervergünstigungen in der SchweizBund verschenkt Milliarden – nur weiss er nicht, wie viele
Der Staat fördert Zwecke wie Vorsorge, Lebensmittelversorgung oder Luftfahrt mit Steuerrabatten. Aber er hat keinen Überblick und verstösst sogar gegen das Gesetz.
Die Schweiz sieht sich in Demokratiefragen zu Recht nahe der Weltspitze. Umso kontroverser werden meist Aspekte diskutiert, die nicht in dieses Bild passen. Zuletzt hat sich das Land mit einem heftig diskutierten Parlamentsentscheid zum Beispiel in der Frage der Politikfinanzierung ausländischen Standards angepasst.
Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund, wie wenig Aufmerksamkeit das Thema der Steuererleichterungen bisher auf sich gezogen hat. Bis auf sporadische parlamentarische Vorstösse von linker Seite, die keinen grossen Nachhall erzeugt haben, ist das Thema in der Öffentlichkeit bisher kaum aufgetaucht.
Dabei würden die finanziellen Dimensionen das rechtfertigen: 24 Milliarden – so glaubt man – entgehen der Eidgenossenschaft jedes Jahr, weil sie gewisse Steuern nicht oder zu einem tieferen Steuersatz einzieht.
Steuervergünstigungen fallen in die Kategorie der versteckten Subventionen
Das entspricht einem Drittel des gesamten Bundeshaushalts. Oder der Hälfte dessen, was der Bund an Subventionen ausgibt, zum Beispiel für den öffentlichen Verkehr, die soziale Wohlfahrt oder die Landwirtschaft. Über all diese Ausgaben werden in guter Regelmässigkeit Evaluationsberichte publiziert und im Parlament diskutiert.
Anders als diese offensichtlichen Zuschüsse fallen Steuervergünstigungen jedoch in die Kategorie der versteckten Subventionen. Versteckt darum, weil bei ihnen viel im Ungewissen bleibt: Zum Beispiel weiss kein Mensch, ob die Zahl von 24 Milliarden Franken stimmt.
Sie stammt aus einem Bericht der Steuerverwaltung von 2011, ist also veraltet. Schon damals bestand sie aus einer Reihe von Hochrechnungen. Unter anderem wurden Steuerdaten aus dem Kanton Bern von 2005 extrapoliert.
Der Bericht zählte knapp 100 verschiedene Instrumente der Steuervergünstigung: Dazu zählten grössere Posten wie Steuerabzüge für Zahlungen in die zweite (geschätzt 3,5 Milliarden Franken) und die dritte Säule (0,8 Milliarden) oder die Reduktion der Mehrwertsteuer auf Nahrungsmitteln, Pflanzen und Druck-Erzeugnissen (2,2 Milliarden Franken).
Einen kleineren Posten machte zum Beispiel die Rückerstattung der Mineralölsteuer für Betriebe in der Land- und Forstwirtschaft sowie der Berufsfischerei (70 Millionen) aus. Gewisse Zahlen wurden seither mithilfe von Hochrechnungen aktualisiert. Ein Bericht, der einen Überblick bieten würde, fehlt jedoch seit 2011.
Entsprechend weit hinten ist die Schweiz auf einem neuen Index zu finden, den der Thinktank Council on Economic Policies am Montag in Zürich vorgestellt hat: Dieser bildet mittels verschiedener Kriterien ab, wie konsequent Länder über ihre Steuervergünstigungen Transparenz herstellen. Von 104 Ländern, die Daten zu dieser Frage veröffentlicht haben, landet die Schweiz auf dem 80. Rang.
Unklarheit beim Bund über Gesetz, das ihn betrifft
Dabei müsste das Land deutlich weiter vorne landen, würde der Bund sich an sein eigenes Gesetz halten: Das Subventionsgesetz schreibt vor, dass der Bund mindestens alle sechs Jahre eine Evaluation seiner Finanzhilfen durchführen und darüber berichten muss.
Sporadisch ist das mit gewissen Steuervergünstigungen en passant passiert: So entdeckte ein Bericht von 2019, dass unter anderem die Rückerstattung der Mineralölsteuer falsche Anreize bezüglich Biodiversität setzte. Eine generelle Überprüfung aller Ausnahmen und Rabatte hat der Bund jedoch in den letzten Jahren nicht vorgenommen.
Die Vorschrift aus dem Subventionsgesetz scheint nicht einmal beim Bund sehr geläufig zu sein: Auf eine entsprechende Anfrage dieser Redaktion schreibt das zuständige Finanzdepartement: «Steuervergünstigungen fallen nicht in den Geltungsbereich des Subventionsgesetzes» – darum gelte dafür auch keine Evaluationspflicht.
Allerdings hatte der Bundesrat selbst 2018 in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage festgehalten: «Bestehende Steuervergünstigungen fallen als versteckte Subventionen unter die laufende Subventionsüberprüfung nach Artikel 5 des Subventionsgesetzes.» Abermals damit konfrontiert, gesteht das Finanzdepartement den Fehler ein.
Von Steuerabzügen für die Vorsorge profitieren tendenziell wohlhabende Personen stärker, weil sie mehr in die Vorsorge einzahlen können als weniger wohlhabende Personen.
Allerdings widerspricht nicht nur der Umgang des Bundes mit den Steuervergünstigungen dem Willen des Gesetzgebers. Laut dem Subventionsgesetz sollte es sie gar nicht geben: Im Bericht der Steuerverwaltung von 2011 heisst es unter anderem, dass die Vergünstigungen den «verfassungsmässigen Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit die Steuergerechtigkeit» gefährdeten: Von Steuerabzügen für die Vorsorge profitieren tendenziell wohlhabende Personen stärker, weil sie mehr in die Vorsorge einzahlen können als weniger wohlhabende Personen.
Auch sei die «Einflussnahme auf die geförderte Tätigkeit (…) erschwert, da die Steuervergünstigungen nicht mit Auflagen und Bedingungen versehen werden», wie dies zum Beispiel mit anderen Subventionen wie Direktzahlungen in der Agrarpolitik der Fall ist.
Weiter würden Steuervergünstigungen «von Überprüfungen und somit von Änderungen und Aufhebungen verschont» und damit «der Budgetkontrolle des Parlaments weitgehend entzogen». Aus all diesen Gründen halte das Subventionsgesetz fest, «dass auf Finanzhilfen in Form von steuerlichen Vergünstigungen in der Regel verzichtet werden sollte».
«Jede existierende Steuervergünstigung hat den parlamentarischen Prozess durchlaufen und ist durch Mehrheitsbeschluss beschlossen worden.»
Zwar lässt das Subventionsgesetz Spielraum für Ausnahmen. Doch scheint angesichts des grossen Volumens klar, dass diese den Rahmen längst gesprengt haben. Anlass für eine Einschränkung der Praxis ist das für den Bund allerdings nicht. «Jede existierende Steuervergünstigung hat den parlamentarischen Prozess durchlaufen und ist durch Mehrheitsbeschluss beschlossen worden», schreibt ein Sprecher des Finanzdepartements.
Er verweist darauf, dass der Bundesrat künftig Elektrofahrzeuge steuerlich nicht mehr bevorzugen will und damit eine Vergünstigung abschafft. Bloss liegt diesem Schritt zugrunde, dass Finanzministerin Karin Keller-Sutter das Budget ins Lot bringen will, und nicht eine kritische Haltung gegenüber Steuervergünstigungen an sich.
Keller-Sutter verbreitet Hoffnung
Dass seit 2011 keine Prüfung stattgefunden habe, liege daran, dass die Steuerverwaltung die Berichterstattung auf eine verbesserte Datenlage habe stützen wollen, erklärt der Sprecher weiter. Diese Verbesserung habe sich jedoch laufend verzögert.
«Das basiert teilweise darauf», schreibt er, «dass die direkte Bundessteuer durch die Kantone eingenommen wird und diese nur einen Teil der statistischen Grundlagen liefern.» Tatsächlich behindert die Steuerhoheit der Kantone die Transparenz auf nationaler Ebene seit Jahren: Aus dem gleichen Grund war es vor und nach gewissen Abstimmungen über Steuervorlagen auch kaum möglich, zuverlässige Schätzungen über die Effekte zu errechnen.
Allerdings ist Besserung in Sicht: Finanzministerin Keller-Sutter sagte im Mai anlässlich einer Parlamentsdebatte, dass mittlerweile ein entsprechendes Datenbeschaffungsprojekt mit den Kantonen laufe. Es könnte ab 2025 einen besseren Durchblick ermöglichen.
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