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Statistiker im Interview zu Wahlpanne
Warum fällt das niemandem auf?

Portrait von Peter Moser vor seinem Büro beim Walcheturm. 19.10.23

Die letzten Wahlen von Peter Moser

Der Kantons-Polit-Statistiker und Chef vom Statistischen Amt wechselt Job, es werden seine letzten Nationalratswahlen sein. Wir schreiben ein Portrait über ihn welches am Samstag vor den Wahlen, also am 21. Oktober erscheinen soll. 6000 bis 7000 Zeichen
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Herr Moser, der Bund hat sich bei den Wahlresultaten verrechnet. Was geht einem passionierten Statistiker da durch den Kopf: Das darf ja nicht wahr sein? Oder: Der arme Tropf, der dafür verantwortlich ist?

Ein bisschen von beidem. Wenn man für eine wichtige öffentliche Statistik verantwortlich ist, prüft man immer siebenmal, ob nicht irgendetwas komisch ist. Zumindest habe ich das immer so gemacht. Aber man muss auch sagen: Die Aufgabe des Bundesamts für Statistik (BFS) an einem solchen Wahlsonntag ist nicht ganz trivial. Zumal der Zeitdruck gross ist und die Resultate die Bevölkerung brennend interessieren.

Offenbar waren die Daten aus drei kleinen Kantonen anders formatiert, was dann zum Fehler führte. Warum, um alles in der Welt, fällt das niemandem auf?

Naja: Als ich am Montagmorgen privat begonnen habe, die BFS-Daten für meine Berechnungen einzulesen, habe ich schon gemerkt, dass etwas nicht aufgeht. Im langjährigen Vergleich passten die Daten irgendwie nicht zusammen. Es hat mich einen Morgen gekostet, um herauszufinden, was los war: Gewisse Gemeinden waren doppelt oder dreifach drin. Offenbar hat man nun gemerkt, dass sich dies auch bei der Berechnung der nationalen Wähleranteile ausgewirkt hat.

Nochmals: Warum realisierte das beim Bund niemand?

Es ist unbestritten, dass die Kontrollmechanismen versagt haben. Nur lässt sich das im Nachhinein einfach sagen. Zur Verteidigung der Verantwortlichen vielleicht dies: Die Sitzverteilung, also das entscheidende Wahlresultat, war nicht betroffen. Denn diese wird ja von den Kantonen vorgenommen. Die nationalen Wähleranteile der Parteien sind gewissermassen eine fiktive Grösse…

… die sich jedoch stark auf die öffentliche Debatte auswirkt. Ist Die Mitte oder die FDP stärker? Erleben wir einen Rechtsrutsch oder nur ein Rechtsrütschli? Diese Fragen werden medial oft anhand der nationalen Wähleranteile beantwortet.

Das stimmt. Die Frage ist, ob diese Debatten in jedem Fall sinnvoll sind. Im schweizerischen System, in dem sich die Wähleranteile von Wahl zu Wahl jeweils nur geringfügig verschieben, macht man aus einer Mücke teilweise einen Elefanten. Ob jetzt Die Mitte oder die FDP im Nachkommabereich etwas stärker ist, interessiert mich aus analytischer Sicht nicht wahnsinnig. Entscheidend ist die Sitzverteilung, sie ist letztlich das Wahlresultat. Aber klar: Die Zugewinne der Sozialdemokraten hätten vermutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten, wenn die korrekten Zahlen von Anfang an bekannt gewesen wären. Ich verstehe, wenn man sich in der SP nun sehr ärgert.

«In der Schweiz ist es extrem schwierig, die Kantone zu einem einheitlichen Vorgehen zu zwingen.»

Ist Ihnen in der Geschichte der Schweiz eine ähnlich gravierende Wahlpanne bekannt?

Ich könnte mich zumindest an keine erinnern. Dass hingegen einzelne Resultate aus den Gemeinden nachkorrigiert werden müssen, kommt immer wieder vor.

Welche Schritte muss der Bund nun unternehmen? Muss er darauf pochen, dass die Kantone ihre Daten künftig alle im selben Format liefern?

Klar wäre das schön. Ich kann Ihnen aber aus langjähriger eigener Erfahrung sagen: Im föderalistischen System der Schweiz ist es extrem schwierig, die Kantone zu einem einheitlichen Vorgehen zu zwingen. Und wenn man es tut, steigt die Gefahr, dass sich in den Kantonen Fehler einschleichen, bis sich alle an das neue Protokoll gewöhnt haben. Es ist deshalb nur pragmatisch, wenn das BFS sagt: Wir nehmen die Daten, die wir bekommen, und arbeiten damit. 

Dann muss aber gewährleistet sein, dass die Rechenmethode funktioniert.

Hier muss ich vielleicht noch etwas ausholen. Es gibt verschiedene Arten, die Wählerzahlen und damit auch die Wähleranteile auf gesamtschweizerischer Ebene zu berechnen. Eine einfachere, bei der man die Stimmen in den Kantonen durch ihre Sitzzahl dividiert. Und eine kompliziertere, bei der man berücksichtigt, dass Stimmen verloren gehen, wenn Menschen leere Wahlzettel ohne Listenüberschrift benutzen. Das BFS hat sich für die raffiniertere Methode entschieden. Die Ironie ist: Wenn es einfacher gerechnet hätte, wäre ihm der Fehler vielleicht nicht passiert.

Sonst amüsieren wir uns jeweils, wenn solche Dinge im Ausland passieren. Zum Beispiel in Österreich, wo die Sozialdemokraten den falschen Politiker zu ihrem neuen Chef gekürt haben, weil sie im Excel zwei Spalten verwechselt haben. Erinnern Sie sich?

Natürlich. Wenn wir in der Schweiz über die Österreicher lachen können, lassen wir uns das nicht entgehen. Die Fälle sind aber natürlich nur bedingt vergleichbar: Bei uns passierte der Fehler beim Bund, und nicht bei einer Partei. Dafür hatte die Excel-Panne in Österreich materielle Auswirkungen: Dort wurde der falsche Mann zum Gewinner ernannt! Bei uns geht es wie gesagt nur um eine fiktive Zahl, an den Angaben zu den Gewählten ändert sich nichts. Es ist ja nicht so, als hätte man plötzlich gemerkt, dass Daniel Jositsch das absolute Mehr doch nicht erreicht hat!