Statistiker im PorträtEr hätte auch Spion werden können
Peter Moser wird am Sonntag seine letzte Hochrechnung als Chefanalytiker beim kantonalen Statistikamt machen. Nach 23 Jahren macht sich der «Claude Longchamp» von Zürich selbstständig.
Statistisch gesehen halten bestimmt viele Menschen Statistik für etwas wahnsinnig Langweiliges. Peter Moser ist der Ausreisser. Daten sind sein Arbeitsinstrument. Manchmal denkt er sogar in Prozenten. Als er gefragt wird, warum er nach über 20 Jahren beim kantonalen Amt für Statistik seinen Posten als Leiter der Analyseabteilung aufgibt, sagt er: «Wissen Sie, 10 Prozent der 60-jährigen Männer werden nicht über siebzig.» Moser ist erst vor zwei Monaten sechzig geworden, aber er fühle sich «gottlob noch nicht alt». Genau deshalb sei jetzt der Zeitpunkt gekommen, etwas Neues zu beginnen. Moser macht sich selbstständig.
Womit genau, verrät er beim Gespräch in seinem kargen, bereits halb leer geräumten Büro Nähe Stauffacherquai noch nicht. Aber er werde auf seinem Gebiet bleiben. «Ich beginne nicht zu töpfern oder werde Barpianist», scherzt er. Obwohl er Klavier spielen könnte. Er tut es aber nur für sich: in Rüschlikon, wo er lebt. Klar ist aber: Moser wird ein strenger Chef seiner selbst sein, denn er gönnt sich keine Pause zwischen den zwei Jobs. «Am Montag arbeite ich gleich weiter.»
23 Jahre, 80 Analysen
Zuerst wird er aber bei den Wahlen am Sonntag seine letzten Wahlhochrechnungen für den Kanton machen, so wie immer in den letzten 23 Jahren. 8451 Tage hat er die Analyseabteilung beim kantonalen Amt für Statistik geleitet. Dabei etwa 80 Analysen erstellt. Rund 550-mal wurde er in Zeitungen zitiert.
Moser – er ist der Zürcher Claude Longchamp, einfach ohne Fliege. Diese Bezeichnung schmeichelt ihm, dünkt ihn aber etwas übertrieben. «Der Longchamp ist schon ein anderes Kaliber als ich», sagt er, der übrigens eine dezent gepunktete Krawatte zu einem dezent karierten Tschopen trägt.
«Statistik lag in seinem Blut.»
Weil Moser gut mit Zahlen kann, sich aber ungern selber lobt, übernimmt das sein ehemaliger Vorgesetzter. Alt-Regierungsrat und Grünen-Politiker Martin Graf hebt Mosers Hochrechnungen hervor, die stets von höchster Präzision und überaus zuverlässig gewesen seien. «Statistik lag in seinem Blut», schreibt er auf Anfrage.
Martin Graf findet keine Kritik zu Moser. Dass aber ausgerechnet Graf nach einer Rückmeldung gefragt wurde, hat einen Grund: Wegen einer Prognose zu Grafs Wiederwahl kam Peter Moser 2014 in die Bredouille. Wie Moser selber sagt, das einzige Mal in seiner Karriere.
Die verhängnisvolle Prognose
Damals prognostizierte Moser Grafs sichere Wiederwahl. Die NZZ schrieb, es sei eine «kühne Analyse gewesen», die «für Irritation gesorgt hat». Moser war damals dem Justizdirektor Graf unterstellt – und bewertete damit die Wahlchancen seines eigenen Chefs. Zu dieser Zeit war Martin Graf wegen des Falls «Carlos» nicht unumstritten, die NZZ stellte daraufhin die Frage, ob es «angesichts der delikaten Konstellation nicht klüger gewesen wäre, die Analyse unabhängigen Experten zu überlassen».
Heute sagt Moser über den Vorfall, er habe damals zu wenig bedacht, «dass man meine Aussage auch so interpretieren kann.» Denn was er eigentlich gesagt habe, sei «nichts Verrücktes» gewesen, sondern nur, «dass die allermeisten Regierungsräte wiedergewählt werden, was tatsächlich einfach so ist». Graf wurde aber abgewählt, der Fall «Carlos» beeinflusste die Wiederwahl, Graf wurde knapp von SP-Frau Jacqueline Fehr überholt.
Ein Statistiker, der aus dem Rahmen fällt
Will Moser vielleicht selber in die Politik, jetzt, wo ein politisches Amt besser vereinbar wäre mit seinem Beruf? «Vielleicht mal ein Ämtli in der Gemeinde.» Mehr ist ihm dazu nicht zu entlocken. Die persönlichen Fragen mag er wohl genauso wenig, wie sich selber zu loben.
Schliesslich lässt sich Moser aber doch noch zu einer Aussage zu seinen beruflichen Erfolgen hinreissen: «Meine Analysen fielen oft aus dem Rahmen, und das wurde geschätzt.» Damit meint er: Sie waren nicht typisch für die öffentliche Statistik. Moser – der Tausendsassa – hat mit Steuerdaten die Vermögensentwicklung im Lebenslauf untersucht oder eine politische Landkarte des Kantons erstellt. Und sich sogar mal mit der Lautstruktur der Vornamen Neugeborener beschäftigt.
Dabei hat er herausgefunden, dass die Vornamen immer vokalischer, kürzer und kindlicher geworden sind im Verlauf der Zeit: Laras, Mias und Noahs anstatt Kurts, Lukas und Christines.
Mehr Fuchs als Igel
«Und keine Studie ist wie die andere, jede ist ein Einzelstück», sagt er und schwärmt über einen Beruf, bei dem andere gähnen. Eine statistische Analyse sei mehr als nur «ein bisschen Rechnen». Die Resultate müssten richtig interpretiert werden. Der Text sei zentral.
«Meine Analysen fielen oft aus dem Rahmen, und das wurde geschätzt.»
Mosers Interessen sind vielzählig, er sei halt mehr «Fuchs als Igel». Wie es im Sprichwort des griechischen Dichters Archilochus heisse, wisse «der Fuchs viele Dinge, aber der Igel weiss eine grosse Sache». Deshalb habe er auch nie Amtschef werden wollen: zu viel Organisation, zu wenig Inhalt.
Ein Tausendsassa, aber kein Spion
Sein Lebenslauf bestätigt die Fuchs-These. Studiert hat Moser nämlich ursprünglich Germanistik. Er spricht Deutsch, Englisch und Französisch, kann aber auch Texte auf Russisch, Italienisch und Spanisch lesen. Er besitzt ungefähr 3500 Bücher. Moser liebt Literatur. Und Fotografie. Leidenschaftlich gerne fotografiert er Landschaften in Schwarzweiss analog und vergrössert sie eigenhändig.
Promoviert hat Moser aber in Politikwissenschaft. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit den EWR-Verhandlungen. Andere Forschungsprojekte, an denen er an der Universität mitgearbeitet hat, behandeln das Waldsterben, die AKW-Diskussion nach Tschernobyl oder die Informationsbeschaffung in der Schweizer Aussenpolitik. Statistik klingt im Vergleich dazu etwas langweilig, nicht?
«Nein», denn «Daten spiegeln menschliches Verhalten», und Moser ist Sozialwissenschafter. In der neuen Aufgabe beim Statistischen Amt sah er die Möglichkeit, vielfältig zu wirken. Die Alternative damals wäre gewesen, Spion zu werden.
Zeitgleich mit dem Statistischen Amt des Kantons Zürich war Moser nämlich mit dem Nachrichtendienst in Bern im Gespräch, sagte aber ab, als das Statistische Amt zusagte: «Ich wäre sehr abgeschottet gewesen von der Öffentlichkeit, und das hätte mir nicht gefallen.» Bereut habe er den Entscheid nie, immerhin ist er über 20 Jahre im gewählten Job geblieben. Oder wie er es sagt: «Ich habe fast ein Vierteljahrhundert auf dem Amt gearbeitet. Wenn ich also im Ersten Weltkrieg hier angefangen hätte, wäre ich im Zweiten immer noch hier gewesen.»
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