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US-Ermittlungen zu Corona
Stammt das Virus doch aus dem Forschungslabor in Wuhan?

China antwortet nicht auf Fragen: Ein Sicherheitsmann vor dem Institut für Virologie in Wuhan.
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Das inoffizielle Motto der CIA ist ein Bibelzitat. Evangelium des Johannes, Kapitel 8, Vers 32: «Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.» Der US-Auslandsgeheimdienst erzählt zwar nicht immer die Wahrheit. Aber es ist seine Aufgabe, die Wahrheit zu wissen. Erst recht, wenn das Leben von Millionen Amerikanern auf dem Spiel steht.

Insofern war die Presseerklärung, die Joe Biden am Mittwoch herausgegeben hat, bemerkenswert. Der US-Präsident stellte darin offen fest, dass die Geheimdienste seines Landes, allen voran die zuständige CIA, keine verlässlichen Erkenntnisse dazu haben, wie das Virus mit dem Namen Sars-CoV-2 in die Welt gekommen ist, das weltweit bisher mindestens 3,5 Millionen Menschen getötet hat, davon fast 600’000 in den Vereinigten Staaten.

Bericht soll in 90 Tagen vorliegen

Es gebe zu dieser Frage zwar unterschiedliche Szenarien, so Biden, aber keine definitiven Schlussfolgerungen. Er habe die US-Dienste daher angewiesen, noch einmal nachzuforschen und ihm in 90 Tagen Bericht zu erstatten. Bemerkenswert war die Stellungnahme aber auch, weil Biden darin ausdrücklich ein Szenario erwähnte, das politisch extrem heikel ist: die These, dass das Virus nicht auf natürlichem Weg von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist, sondern bei einem Unfall in einem chinesischen Labor. Biden befeuert damit auf höchster politischer Ebene eine Debatte über zwei Fragen, die seit dem Beginn der Pandemie immer wieder gestellt werden: Woher stammt das Virus? Und wie, wo und wann hat es erstmals einen Menschen infiziert? Je nachdem, zu welchen Antworten die US-Dienste kommen, könnten die Folgen erheblich sein.

Bisher haben viele westliche Wissenschaftler sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die These vertreten, dass Sars-CoV-2 sich mit grosser Wahrscheinlichkeit in einem Tier durch natürliche Evolution entwickelt hat, wohl in einer Fledermaus. Von diesem Tier soll es auf den Menschen übergesprungen sein, entweder durch direkten Kontakt, weil sich beide in vielen Teilen der Welt immer häufiger zu nah kommen. Oder auf dem Umweg über ein weiteres Wirtstier.

Einen nahen Verwandten des Virus haben chinesische Wissenschaftler vor Jahren in Fledermäusen im südchinesischen Yunnan sichern können.

Solche sogenannten zoonotischen Infektionen sind nicht ungewöhnlich. Ebenso ist bekannt, dass Coronaviren, wie Sars-CoV-2 eines ist, in Fledermäusen vorkommen. Einen nahen Verwandten des Virus haben chinesische Wissenschaftler vor Jahren in Fledermäusen im südchinesischen Yunnan sichern können, ebenso wie den Vorgänger Sars-CoV-1, der die Erkrankung Sars auslöst.

Seit einigen Wochen wird in Fachkreisen aber zunehmend eine zweite These zum Infektionsweg für plausibel gehalten. Danach hat die erste Infektion eines Menschen mit Sars-CoV-2 nicht irgendwo in der freien Natur oder auf einem Tiermarkt stattgefunden, sondern in einem Labor des Instituts für Virologie in Wuhan. Zwar gibt es derzeit nach allem, was öffentlich bekannt ist, keine Belege dafür, dass das Virus in einem Labor künstlich hergestellt oder genetisch manipuliert wurde, etwa im Rahmen eines Biowaffenprogramms. Auch Präsident Biden erhebt diesen Vorwurf nicht.

Kampfansage an China: Joe Biden. 

Aber denkbar ist, dass chinesische Wissenschaftler in dem Wuhaner Institut an natürlich entstandenen Coronaviren geforscht haben, die sie zuvor aus Fledermäusen in Südchina isoliert hatten. So eine Forschungsarbeit hat in den Laboren in Wuhan nachweislich stattgefunden. Wissenschaftler könnten dabei auch mit dem Virus gearbeitet haben, das später als Sars-CoV-2 bekannt wurde. Bei dieser Arbeit könnten die Forscher sich aus Versehen infiziert und dann das Virus nach draussen getragen haben.

Zwei Hinweise stützen diese These. Erstens: US-Diplomaten, die das Institut in Wuhan besuchen durften, haben offenbar schon vor Jahren vor schweren Sicherheitsmängeln dort gewarnt. Zweitens: Laut dem US-Aussenministerium erkrankten bereits im Herbst 2019 mehrere Mitarbeiter des Wuhaner Instituts. Ihre Symptome sollen denen einer Covid-19-Infektion geglichen haben. In den sozialen Medien in China wurde bereits zu Beginn der Corona-Krise so heftig über eine mögliche Verwicklung des Labors gestritten, dass Zensoren einschritten und Begriffe rund um die Forschungsarbeit löschten.

Chinesische Vorwürfe an die USA

Laut Joe Biden gibt es unter den diversen amerikanischen Geheimdiensten keine einheitliche Meinung, welches Szenario zutrifft. In seiner Stellungnahme vom Mittwoch schrieb er, dass zwei Dienste einen natürlichen Infektionsweg für wahrscheinlicher hielten, ein anderer Dienst neige dagegen zu der These, es habe einen Laborunfall in Wuhan gegeben. Alle drei Dienste seien von der These ihrer Wahl jedoch «kaum oder nur mässig» überzeugt. Das heisst: Im Grunde haben die USA keine Ahnung, unter welchen Umständen die Pandemie begonnen hat. Aber der Präsident nimmt die These vom Laborunfall offensichtlich ernst.

Von den Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung des Virus hängt viel ab. Sollte sich herausstellen, dass die Übertragung des Virus auf den Menschen kein natürlich verursachtes Ereignis ist, ein zufälliger Akt Gottes sozusagen, sondern durch Schlamperei in einem chinesischen Labor angestossen wurde, wären die politischen Folgen für die Kommunistische Partei Chinas kaum abzusehen. Der Sprecher des chinesischen Aussenministeriums Zhao Lijian war der Erste, der öffentlich die Vermutung äusserte, das Virus komme aus den USA und sei von Amerikanern nach Wuhan eingeschleppt worden. Eine Behauptung, die heute von einem grossen Teil der Chinesen geglaubt wird. Am Donnerstag wiederholte der Ministeriumssprecher diesen Verdacht: «Es gibt viele Zweifel über Fort Detrick», sagte Zhao Lijian über ein Labor des US-Militärs. «Wie viele Geheimnisse halten die USA zurück?» Die Pläne von Präsident Biden für neue Ermittlungen lehnte er hingegen ab. Washington versuche, die Suche zu politisieren und China die Schuld an der Pandemie zu geben, sagte Zhao.

Dass China jetzt erneut in der Herkunftsfrage unter Druck gerät, hat es sich aus Sicht der Europäer auch selbst zuzuschreiben. Trotz massiven Drängens habe das Land eine Untersuchung zunächst um Monate verzögert und einer dann angereisten Kommission der WHO nicht alle notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt.