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Bemerkenswerter Konsens im Parlament
Stalking soll in der Schweiz strafbar werden

Silhouette of a suspicious strange man looking out the window in a scary dark attic of an old abandoned house in the darkness, thriller horror style
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Der 33-jährige Mann hatte seine ehemalige Vorgesetzte bereits derart aufsässig ausspioniert und verfolgt, dass sie ihr Auto und ihre Wohnung wechselte. Nach einer Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs änderte er seine Taktik und beobachtete die Wohnung der Frau von einer benachbarten Baustelle aus – mit Feldstecher und Teleskop ausgestattet und im Schutz eines grossen Baustellenfahrzeugs. Dort fand ihn dann die Polizei. Trotz allem darf sich der Mann der Frau weiterhin ungestraft nähern. Der vorsitzende Richter am Zürcher Obergericht erklärte das Urteil den Anwesenden vor wenigen Monaten so: Stalking sei in der Schweiz halt nicht strafbar. 

Das soll sich nun ändern. Die Rechtskommission des Nationalrats feilt am Donnerstag an einem neuen Gesetzesartikel, der Stalking zum eigenen Straftatbestand erklärt. Ausser der SVP sind alle Parteien grundsätzlich dafür. «Als Anwalt sehe ich immer wieder, dass hier eine Lücke besteht», sagt FDP-Nationalrat Philippe Nantermod. Und Mitte-Nationalrätin Maya Bally, die vor Jahren selber einmal gestalkt wurde, sagt: «Ich werde mich für eine starke Formulierung einsetzen.» Die grüne Nationalrätin Sibel Arslan gab vor ein paar Jahren den Anstoss zum Stalking-Verbot. «Es ist erfreulich und wichtig, dass eine grosse Mehrheit den Handlungsbedarf erkannt hat», sagt sie. In der Kommission geht es nun noch um verschiedene Details und Formulierungen. Ziel ist es, dass der Nationalrat im Juni über den neuen Gesetzesartikel entscheiden kann. 

Dieser breite grundsätzliche Konsens ist bemerkenswert. Der Bundesrat hat sich nämlich gegen einen neuen Straftatbestand ausgesprochen. Die Landesregierung argumentiert sehr ähnlich wie die SVP: Man anerkenne das Leid der Opfer. Doch der Schutz vor Stalking sei bereits genügend geregelt, ein neuer Gesetzesartikel sei unnötig und hätte Abgrenzungsprobleme zu anderen Strafnormen zur Folge. Mit ähnlichen juristischen Argumenten sind in den letzten 15 Jahren verschiedene Bemühungen gebodigt worden, Stalking per se strafbar zu machen.

«Täter lachen sich ins Fäustchen»

Just aus Juristenkreisen kommen nun aber die engagiertesten Stimmen für einen neuen Straftatbestand. Im Sommer lancierten der Forensiker Frank Urbaniok und die Zürcher Staatsanwältin Sabine Tobler mit Mitstreiterinnen eine entsprechende Online-Petition.

Tobler, die seit 20 Jahren als Staatsanwältin arbeitet, hatte selber viele Stalking-Fälle auf dem Tisch. Sie sagt: «Die einzelnen Handlungen eines Stalkers sind oft nicht so schlimm und folglich auch nicht strafbar. Aber in der Häufigkeit, Dauer und Intensität sind sie für die Opfer extrem belastend und können diese in den Wahnsinn treiben.»

Für die Täter hingegen sei das Risiko heute gering, bestraft zu werden: «Weil sie dies ganz genau wissen, lachen sich viele Täter ins Fäustchen.» Zum Argument der Abgrenzungsprobleme sagt sie: «Da wird es sicher Bundesgerichtsentscheide brauchen. Nach einigen Jahren wird es eine gefestigte Gerichtspraxis geben.»

Zu den häufigsten Stalking-Handlungen gehören aus Toblers Erfahrung das Verfolgen und das Beobachten einer Person: «Es ist ja nicht verboten, sich jeden Tag zur Feierabendzeit vor dem Büroeingang einer bestimmten Person herumzutreiben», sagt die Staatsanwältin. Ebenfalls häufig komme es vor, dass Stalker im Namen ihrer Opfer dauernd Dinge bestellten – Pizzas oder Sexspielzeuge beispielsweise.

Das häufigste Motiv von Stalkern sei verschmähte Liebe, aber Tobler kennt auch Stalkerinnen und Stalker, die ihren Physiotherapeuten, die Nachmieterin der Wohnung oder die Vorgesetzte belästigten.

Auch Nachbarn sind Stalker

Schweizweite Zahlen zu Stalking-Fällen fehlen. Die Stadt Bern führt seit einigen Jahren eine Statistik zur Anzahl der Beratungen ihrer Fachstelle. Von den 120 Stalking-Fällen im Jahr 2022 waren zu 85 Prozent Frauen betroffen. Gut die Hälfte der Stalker waren Ex-Partner oder ehemalige intime Bekanntschaften. Seit der Pandemie sind die Fälle von Nachbarschafts-Stalking gestiegen. 2022 betrafen diese 13 Prozent der erfassten Fälle. 

In mehr als der Hälfte aller Fälle war es gemäss der Berner Statistik gar nicht möglich, eine Anzeige zu machen, weil die Stalker keine strafbaren Handlungen begingen. 

Der Stalking-Artikel, den die Rechtskommission des Nationalrats zurzeit berät, würde es den Richtern ermöglichen, viele einzeln harmlos erscheinende Handlungen zusammengefasst als Stalking zu erfassen und die Täter entsprechend zu verurteilen.

Im Entwurf, den die Kommission noch bearbeiten wird, steht: «Wer jemanden beharrlich verfolgt, belästigt oder bedroht und ihn dadurch in seiner Lebensgestaltungsfreiheit beschränkt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Umstritten sind unter anderem die Beschreibung der Tathandlung und die Frage, ob Stalking ein Offizialdelikt sein soll.

Natalie Schneiter berät im Auftrag der Stadt Bern Stalking-Opfer. Sie befürwortet einen Straftatbestand Stalking, weil sie sich eine abschreckende und entsprechend präventive Wirkung erhofft. «Gerade verschmähte Ex-Partnerinnen und Ex-Partner verrennen sich häufig in eine Art emotionalem Tunnel, aus dem sie kaum mehr herausfinden», sagt sie. Die Erfahrung zeige, dass solche Leute aber aufwachten, wenn sie von einer Behörde angesprochen würden.