Spionagehochburg SchweizDer kleinste Geheimdienst Europas unter Druck
Die Schweiz hat nur eine kleine Spionageabwehr – aber ist für Spione ein attraktives Ziel. An einem Podium in Zürich kamen gut gehütete Geheimdienst-Geheimnisse ans Licht.
- Die Schweiz gilt als attraktiver Standort für Spionage aufgrund ihrer zentralen Lage.
- Der NDB in der Schweiz ist der kleinste Nachrichtendienst in Europa.
- Eric Schmidt-Eenboom kritisiert die schwache Schweizer Spionageabwehr.
- Der BND führte gesetzeswidrig Abhöraktionen in der Schweiz durch.
Die Schweiz ist ein wahres Paradies für Agentinnen und Agenten – denn die Schweizer Spionageabwehr ist schwach. Die These vertritt der bekannte deutsche Publizist und Geheimdienstexperte Eric Schmidt-Eenboom.
Auf Einladung des «Tages-Anzeigers» traf Schmidt-Eenboom am Montagabend auf eine Vertreterin genau dieser Spionageabwehr: Juliette Noto. Sie ist Direktionsmitglied des Schweizer Nachrichtendiensts – und als Schweizer «Topagentin» hatte sie ihren ersten Auftritt in der Öffentlichkeit.
Anlass für die Podiumsdiskussion im ausverkauften Zürcher Kaufleuten war die Vernissage des neuen Buchs des «Tages-Anzeiger»-Reporters Thomas Knellwolf: «Enttarnt. Die grössten Schweizer Spionagefälle».
Schweiz hat den kleinsten Nachrichtendienst
Juliette Noto gab gleich zu Beginn des Podiums unverblümt zu, dass der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) «ein eher kleiner Dienst» sei. Sie erwähnte aber auch, dass er jährlich rund 20’000 Meldungen von anderen Diensten erhält. Das sei für einen kleinen Player im Spionagegeschäft sehr viel.
Schmidt-Eenboom setzte die Grösse des Schweizer Nachrichtendienstes ins Verhältnis: Mit seinen rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist er winzig im Vergleich zum deutschen Auslandsgeheimdienst BND und dem Verfassungsschutz mit zusammen rund 11’000 Beschäftigten. «Nur Luxemburg hat einen kleineren Geheimdienst als die Schweiz.»
Noto widersprach – mit einer überraschenden Aussage: «Luxemburg hat unterdessen aufgestockt, die Schweiz hat heute den kleinsten Nachrichtendienst in Europa!» Notos Statement passt zur öffentlichen Forderung ihres Chefs. NDB-Direktor Christian Dussey möchte angesichts der aktuellen Bedrohungen den Nachrichtendienst um 150 Stellen aufstocken.
Spionagedrehscheibe Schweiz
Noto wies darauf hin, dass es auch noch andere Gründe gibt, warum sich viele Spione in der Schweiz tummeln: die zentrale Lage in Europa, die starke, hochmoderne Wirtschaft (was die Schweiz für Wirtschaftsspionage attraktiv macht) und die zahlreichen internationalen Organisationen.
Von Moderator Thomas Knellwolf gefragt, warum die Schweiz nicht mehr tue, um die Spionagetätigkeit einzudämmen, sagte Noto: «Das ist eine hoch politische Frage.» Was sie meinte: Es ist eine Frage, die sie als Frau an der Geheimdienstfront weder beantworten darf noch kann.
Klartext sprach dagegen Schmidt-Eenboom. «Russland sieht die Schweiz schon lange nicht mehr als neutrales Land an.» Damit sei auch die Voraussetzung gegeben, um aktiver gegen russische Geheimaktivitäten hierzulande vorzugehen.
Klartext sprechen kann aber auch Noto: «Russland führt einen Krieg gegen den Westen.» Konkret spürbar in der Schweiz sei, wie das Putin-Regime die gesellschaftliche und politische Situation durch Desinformation zu destabilisieren versuche. Da müsse die Schweiz wachsam sein, sagte Noto und wies nachdrücklich darauf hin, dass der russische Propagandasender RT (früher Russia Today) hierzulande nicht verboten ist.
Als Deutsche in der Schweiz spionierten
Schmidt-Eenboom gilt als wandelndes Lexikon der Geheimdienstaffären der letzten Jahrzehnte. Speziell für sein Schweizer Publikum erzählte er auf dem Podium eine bemerkenswerte Anekdote: In den 1980er-Jahren, während des Kalten Krieges, schickte der deutsche Auslandsgeheimdienst BND Abhörfahrzeuge in die Schweiz – mit ausdrücklicher Bewilligung der Schweizer Geheimdienstler.
Peter Huber, damals Chef der Schweizer Bundespolizei, kam laut Schmidt-Eenboom bei einem Besuch des BND in Deutschland mit diesen Fahrzeugen in Kontakt. Er wurde in ein spezielles Gebäude geführt, in dem die sogenannte Tempest-Technik entwickelt wurde.
Mit dieser Technik konnte man elektromagnetische Wellen, die von Computern und anderen Geräten ausgesendet werden, abfangen und die unverschlüsselten Daten auslesen. «Für den BND war das ein Durchbruch», erklärte Schmidt-Eenboom, «denn diese Abstrahlungen lieferten wichtige Informationen.»
Huber war beeindruckt von den Möglichkeiten des BND und stimmte einer Zusammenarbeit zu – auch wenn diese gegen Schweizer Gesetze verstiess. So wurde vereinbart, dass der BND Abhöraktionen auf Schweizer Boden durchführen durfte, und dafür wurden die Abhörfahrzeuge dann auch eingesetzt.
«So hatte der deutsche Nachrichtendienst mit den Schweizer Behörden eine gemeinsame Leiche im Keller», erklärte Schmidt-Eenboom. Beide Seiten wussten von den geheimen Abhöraktionen des BND auf Schweizer Boden, aber sie bewahrten darüber Stillschweigen – im gegenseitigen Interesse.
150 Stellen mehr reichen nicht
Juliette Noto mochte sich nicht dazu äussern, ob die Schweiz solche Aktionen befreundeter Dienste heute noch erlaubt oder erlauben würde. Nur so viel: «Dass es gemeinsame Operationen gibt, ist ja kein Geheimnis.»
Einig waren sich Schmidt-Eenboom und Noto zum Schluss des Abends in einem: Eine Aufstockung um 150 Stellen kann für die Schweiz nur ein Anfang sein, um im Wettbewerb der Geheimdienste und im internationalen «Basar» um Staatsgeheimnisse konkurrenzfähig zu sein.
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