Kommentar zu den BundesfinanzenViele Sparvorschläge sind sinnvoll – fallen aber im Realitätscheck durch
Theoretisch haben die Finanzexperten recht: Beim Bund liesse sich sehr viel Geld einsparen. Praktisch dürften jedoch drei Hürden verhindern, dass das Problem allein mit Kürzungen gelöst wird.
Bis zu 4,9 Milliarden Franken. So viel Geld will die Expertengruppe um den früheren Gewerkschafter Serge Gaillard künftig pro Jahr einsparen. In der Theorie sind die meisten dieser Budgetkürzungen sinnvoll. Sie reichen von der Asylpolitik über die Kinderbetreuung bis hin zur AHV. Und sie könnten funktionieren – in einer Welt, in der Volksentscheide ausgeblendet werden können, in der keine Parteipolitik existiert und in der die Kantone gerne die volle Verantwortung tragen. In der realen Welt wird es schwieriger.
Realitätscheck eins: die Kantone. In den letzten Jahren musste der Bund oft für die Kantone einspringen. Er gab mehr aus für den Finanzausgleich. Und er beteiligt sich schon lange an den Kita-Kosten, obwohl dafür eigentlich die Kantone allein zuständig wären. Im Grunde hat die Expertengruppe also recht, wenn sie sagt: Der Bund soll damit aufhören, für die Kantone zu zahlen, wo er nicht zuständig ist. Zumal viele Kantone hohe Überschüsse verzeichnen.
Nur ist jetzt schon klar, dass sich die Kantone erbittert gegen die Kürzungen wehren werden. Und dabei wohl auf die Hilfe ihrer Ständeräte zählen können. Funktioniert das nicht, dürften sie versuchen, Kosten zu streichen oder anderweitig abzuwälzen. Stellt der Bund etwa seine Kita-Finanzierung komplett ein, wie es die Expertengruppe fordert (statt sie etwa an die Forderung zu knüpfen, dass die Kantone ihrerseits mehr Geld investieren), hat er keinerlei Druckmittel mehr. Dann muss er das Risiko in Kauf nehmen, dass am Ende nicht die Kantone stärker belastet werden. Sondern die Eltern.
Realitätscheck zwei: die Parteipolitik. Die Expertengruppe geht davon aus, dass sämtliche Parteien für ihre Klientel Abstriche machen müssen. Gaillard nennt das «Opfersymmetrie». Sprich: weniger Regional-Darling-Projekte bei Bahn und Strasse, ein tieferer Bundesbeitrag an die AHV, weniger Geld für Bundespersonal, keine Steuergeschenke für die Hotellerie und so weiter. Doch dass im Parlament eine Mehrheit diese Art der Opfersymmetrie mitträgt, scheint unwahrscheinlich. Von den beiden Polen kommt bereits harte Kritik an den Sparvorschlägen – insbesondere von links.
Realitätscheck drei: die Bevölkerung. In der Klimapolitik schlägt die Gruppe vor, dass der Bund Private und Unternehmen nicht mehr direkt unterstützen soll beim Umbau von Gebäuden zugunsten der Energiewende. Stattdessen soll er auf Lenkungsabgaben und härtere Vorschriften setzen, weil diese effizienter seien und sich viel Geld einsparen liesse.
In der Theorie mag das stimmen. Nur hat die Bevölkerung genau solche Massnahmen abgelehnt, als sie 2021 über das CO₂-Gesetz abstimmte. Und stattdessen das Klimaschutzgesetz unterstützt, welches Subventionen vorsieht. Nach dem Motto: lieber Zustüpfe als Abgaben. Auch hier sind die politischen Vorzeichen also denkbar schwierig.
Am Ende gibt es dann vielleicht doch eine «Opfersymmetrie».
Die Expertengruppe hat einen Puffer eingebaut – und höhere Kürzungen vorgeschlagen, als nötig wären, um das Budget ins Lot zu bringen. Aber in der Realität wird sich wohl zeigen, dass deutlich mehr wegfällt als nur der Puffer. Gleichzeitig plant das Parlament, das Armeebudget schneller zu erhöhen, als es die Expertengruppe vorsieht.
Es wird einige Monate dauern, bis die Realitätschecks abgeschlossen sind. Ist das aber einmal passiert, dürfte so mancher Parlamentarier, der sich heute noch gegen Mehreinnahmen sträubt, seine Meinung ändern. Am Ende gibt es dann vielleicht doch eine «Opfersymmetrie»: eine Kombination aus Kürzungen und Steuererhöhungen.
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