Ausserordentlicher Bundesanwalt in speSonderermittler ermittelt bereits sonderbar
Ein unerfahrener Staatsanwalt soll ab Mittwoch gegen Ex-Bundesanwalt Michael Lauber vorgehen. Er hat schon unorthodox losgelegt – mit Filzstift und Post aus Deutschland.
Den wohl heissesten Ermittlerjob der Schweiz soll ein Jurist bekommen, der über null Erfahrung als ziviler Staatsanwalt verfügt. Alles sieht danach aus, dass die Vereinigte Bundesversammlung am Mittwoch Stefan Keller zum ausserordentlichen Bundesanwalt wählt. Der Richter aus Obwalden soll eine Strafuntersuchung wegen der Geheimtreffen des abgetretenen Bundesanwalts Michael Lauber mit Fifa-Präsident Gianni Infantino führen.
Infantino bekam Militärpost
Gegen Infantino hat Keller bereits losgelegt. Die ersten Amtshandlungen muten unkonventionell an. So verwendete Keller, der auch Militärgerichtsschreiber ist, für Briefe an Verfahrensparteien Militärcouverts. Den Aufdruck «Schweizerische Eidgenossenschaft» liess er stehen, «Militärsache» strich er mit Filzstift durch. Zudem verschickte er aus den Ferien staatsanwaltschaftliche Post. Schreiben mit Vermerk «Sarnen, den…» waren mit deutschen Briefmarken und Poststempeln versehen.
Ordentliche Staatsanwälte würden weder das eine noch das andere tun, doch Keller war nie ordentlicher Staatsanwalt. In seinen 44 Lebensjahren hat er viele Tätigkeiten ausgeübt. Sein Curriculum Vitae, neun Seiten lang, umfasst Tätigkeiten wie wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Wettbewerbskommission, Gerichtsschreiber in der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts oder Präsident des Mieterverbands Deutschfreiburg.
Heute erlaubt ein 55-Prozent-Pensum als Obergerichtspräsident in Obwalden Keller das Schreiben einer Habilitation. Thema: Gesamtarbeitsvertrag. Seine Dissertation trug den Titel: «Der flexible Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe». An Hochschulen lehrt Keller Sozialversicherungs- und Kartellrecht.
Nun aber soll ausgerechnet der Schaffhauser, der in Sachseln OW lebt, mit der wohl exponiertesten Strafuntersuchung der Schweiz betraut werden. Die Wahl zum Sonderermittler für die Geheimtreffen Laubers und Infantinos scheint Formsache. Gegenkandidaten gibt es keine.
Die Gerichtskommission kam «nach der Anhörung und der Prüfung des Dossiers von Herrn Keller zum Schluss, dass dieser über die nötigen beruflichen Erfahrungen und Qualitäten verfügt, um die Aufgaben als ausserordentlicher Bundesanwalt ausführen zu können». Welche Fähigkeiten das sind, steht im Kommissionsbericht nicht.
«Grosse Fälle sind keine Jagdtrophäen»
Keller sagte kürzlich gemäss «Obwaldner Zeitung», dass er «das nötige Rüstzeug» zum ausserordentlichen Bundesanwalt als Gerichtsschreiber und als Richter sowie «als militärischer Untersuchungsrichter und Staatsanwalt» erworben habe. «Entsprechend konnte ich mit gutem Gewissen zusagen.»
Tatsächlich war er vier Jahre lang militärischer Auditor.* Auditoren üben in der Regel im Milizsystem staatsanwaltliche Funktionen aus und bekommen dafür Offiziersgrade verliehen. Die eigentlichen Strafuntersuchungen werden aber nicht von ihnen, sondern von Profis der Militärpolizei geführt. Die Polizisten arbeiten den Untersuchungsrichtern zu. Die Auditoren kommen erst später, zum Beispiel für Anklagen, zum Zug.
Die Fälle der Militärjustiz sind meist überschaubar. Selten kommt es zu grösseren Strafuntersuchungen.
Doch wie war es bei Keller? Dieser will keine Auskunft gegeben. «Grosse Fälle», schreibt er nur, «die es zweifellos gegeben hat, sind keine Jagdtrophäen, die man – und ich schon gar nicht – öffentlich ausbreitet.»
Eine Übersicht des Oberauditorats über rund fünfzig Verfahren, die Major Keller in den Jahren 2013 bis 2016 abschloss, gibt für grössere Fälle keine Anhaltspunkte. Beim Grossteil der Verfahren ging es um Angehörige der Armee, welche einen Dienst versäumt oder verweigert hatten. Hinzu kamen Delikte wie Fahren in angetrunkenem Zustand oder Verletzung von Verkehrsregeln oder Diebstähle in Uniform. Das allermeiste erledigte Keller mit Strafbefehlen, was bei weniger schweren Gesetzesbrüchen möglich ist.
Rund ein halbes Dutzend Fälle kam vor Gericht. Zweimal klagte Keller dort schwere Körperverletzungen an, beide Male sahen die Richter aber nur einfache Körperverletzungen als gegeben.
Gänzlich unbefangen
In früheren Fällen von Ermittlungen gegen Staatsanwälte des Bundes kamen jeweils erfahrene kantonale (Ex-)Staatsanwälte zum Zug. Die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz führt eine Liste möglicher ausserordentlicher Verfahrensleiter. Die rund fünfzig aufgeführten Fachleute haben bereits medienträchtige und politisch heikle Fälle untersucht. Keller gehört nicht dazu.
Aus Sicht der AB-BA scheint dies ein Vorteil zu sein. Die Aufsichtsbehörde schreibt, sie habe «im vorliegenden Fall die Kriterien des fehlenden Interessenkonflikts und der Unabhängigkeit besonders hoch» gewichtet. Lauber war zuletzt Vizepräsident der Staatsanwälte-Konferenz. Die Konferenz hatte ihn vergangenes Jahr auch zur Wiederwahl empfohlen.
Auch die Gerichtskommission ist laut ihrem Präsidenten Andrea Caroni angetan von der «hohen Unabhängigkeit» Kellers. Daneben spielten Kriterien wie Kontinuität und «strafrechtliches Fachwissen» eine entscheidende Rolle für die Nominierung.
Der Verteidiger von Gianni Infantino hat die Behörden mehrfach danach ersucht, einen erfahrenen Staatsanwalt einzusetzen. «Es geht uns nicht um die Person Keller und nicht darum, das Verfahren zu verhindern», sagt Anwalt David Zollinger. «Aber Staatsanwalt ist ein Beruf, der eine Ausbildung und bei komplexeren und exponierteren Fällen Erfahrung voraussetzt.»
* Dieser Abschnitt ist ergänzt worden mit einer genaueren Beschreibung des Funktionierens der Militärjustiz. Die frühere Angabe, die Auditoren seien im WK im Einsatz, war missverständlich.
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