Analyse zur EnergiewendeSommaruga redet die Realität schön
Für die Energieministerin zeigt der Ukraine-Krieg: Die Schweiz muss sich von fossilen Energien lösen. Doch auch die Energiewende bringt Abhängigkeiten und Risiken.
Kriege schaffen einen Nährboden für Propaganda. Das zeigt sich aktuell nicht nur in der Ukraine, sondern auch in der Schweiz. Simonetta Sommaruga nimmt die russische Invasion zum Anlass, die Energiewende voranzubringen, ihr Prestigeprojekt. Lauthals beklagt sie die Abhängigkeit der Schweiz von fossilen Energien, die teils auch aus Russland stammen, und fordert als Reaktion den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien. Von fossilen Energien wegzukommen, sei nicht nur aus Klimaschutzgründen wichtig, sondern auch wegen der Versorgungssicherheit.
Es stimmt: Mit dem Kauf von russischem Öl und Gas finanzieren wir Putins Angriffskrieg mit. Wir haben uns abhängig und damit erpressbar gemacht. Das gilt aber auch und ausgerechnet für den – nebst der Wasserkraft – wichtigsten Pfeiler in der Energiestrategie des Bundes: die Fotovoltaik. 70 Prozent der Solarmodule stammen aus China, einem Land also, das wie Russland unsere freiheitlichen, demokratischen Werte nicht teilt. Der Import seiner Solarmodule ist ethisch heute schon zumindest fragwürdig, dazu muss China keinen Angriffskrieg starten: Menschenrechtsorganisationen vermuten Zwangsarbeit, namentlich in der autonomen uigurischen Region Xinjiang, wo ein Grossteil des Siliziums für die Solarpanels verarbeitet wird.
Die Energiewende führt nicht automatisch zu mehr Unabhängigkeit.
Diese unangenehme Wahrheit wischen Klimaschützer dieser Tage gern unter den Tisch. Stattdessen dampfen sie die komplexe energiepolitische Lage, in der sich die Schweiz befindet, auf eine einfache Formel ein: Unsere Antwort auf Putins Krieg ist die Energiewende!
Zumindest Sommaruga müsste es als Energieministerin besser wissen. Doch lieber verwedelt sie, als dass sie aufklärt. Es gibt in der Tat Solarmodule «made in Switzerland», wie Sommaruga unlängst in einem Interview mit dieser Zeitung sagte. Doch es sind verschwindend wenige – was sie unerwähnt liess. Und ja, es gibt Bestrebungen, die Solarindustrie nach Europa zurückzuholen – doch bis wann und zu welchem Preis? Zudem: Wie viel Schweiz, wie viel Europa kann jemals in Solarmodulen stecken? Bei der Produktion von Silizium ist Chinas globale Dominanz ebenfalls erdrückend. Und schliesslich: Wird es je ohne China gehen – gerade wenn man bedenkt, welch gigantische Solaroffensive nötig sein wird, um die Energiewende zu schaffen?
Kurzum, die Energiewende führt nicht automatisch zu mehr Unabhängigkeit. Sie kann im Gegenteil neue Abhängigkeiten schaffen oder bereits bestehende zementieren. Das Megaprojekt deswegen nicht voranzutreiben, wäre zwar falsch. Es braucht aber eine ehrliche Debatte über die Risiken, Kosten und Unwägbarkeiten, die selbst bei bester Planung bleiben. Sonst droht dereinst ein böses Erwachen, so wie jetzt beim russischen Gas und Öl.
Fehler gefunden?Jetzt melden.