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Härtefall-Urteil des Bundesgerichts
Verurteilter Kosovare hat schwerst­behinderten Sohn – Gericht muss Landes­verweisung erneut überprüfen

Der Spazierhof im Flughafengefaengnis am 14. Januar 2016.
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Das Solothurner Obergericht muss die Landesverweisung eines Kosovaren erneut prüfen. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Der Mann wurde wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt. Der Vollzug der Landesverweisung nach Verbüssung der Strafe würde einem Kontaktabbruch zu seinem schwerstbehinderten Sohn gleich kommen.

Der Sohn lebt in einem Heim und kann keine eigenständigen sozialen Kontakte pflegen. Dies geht aus einem am Mittwoch publizierten Urteil des Bundesgerichts hervor. Der Vater besuchte seinen Sohn – das älteste von vier volljährigen Kindern – regelmässig. Die Mutter der Kinder ist 2013 verstorben.

Bezüglich der Landesverweisung hat das Bundesgericht den Entscheid der Vorinstanz aufgehoben. Es führt aus, dass deren Vollzug in der vorliegenden Konstellation einen persönlichen Härtefall für den Beschwerdeführer darstelle.

Der Kontakt zwischen Vater und Sohn falle in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Reise des Sohnes ins Ausland sei nur unter extrem erschwerten Bedingungen möglich.

Rückfallgefahr entscheidend

Das Obergericht muss nun die Interessen des Mannes am Verbleib in der Schweiz gegenüber dem öffentlichen Interesse abwägen. Dabei wird es prüfen müssen, ob beim Verurteilten eine konkrete Rückfallgefahr für Gewalttaten besteht. Dieser hatte ausser eines Bagatelldelikts keine Vorstrafen, wie das Bundesgericht schreibt.

Das Amthaus 1, Sitz des Obergerichts, aufgenommen, am Samstag, 28. Mai 2022 in Solothurn. (KEYSTONE/Anthony Anex).

Der Kosovare griff im September 2020 einen Kollegen mit einem Messer an, der auf der gleichen Baustelle arbeitete. Das Opfer erlitt lebensbedrohliche Verletzungen und wäre ohne Behandlung gestorben. Den Messerstichen ging ein seit längerer Zeit schwelender Konflikt voran. Das Bundesgericht schliesst nicht aus, dass es sich bei der Tat um ein einmaliges Ereignis handelte.

Der Beschwerdeführer wurde zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt und es wurde eine Landesverweisung von zehn Jahren angeordnet.

Drei Viertel der Landesverweisungen werden vollzogen

Dass die Landesverweisung nicht vollzogen wird, kommt häufig vor, wie neue Zahlen zeigen. 2023 wurde bei 2250 Personen eine vollziehbare Landesverweisung angeordnet. Von diesen haben bis Mitte 2024 rund 73 Prozent die Schweiz kontrolliert oder polizeilich begleitet verlassen. Rund ein Drittel der kontrollierten Ausreisen erfolgte freiwillig, in zwei Drittel aller Fälle wurde diese unter Zwang vollzogen. Gut ein Drittel der ausgereisten Personen stammte aus EU/Efta-Staaten.

Am häufigsten handelte es sich um Staatsangehörige von Rumänien, Frankreich und Italien. Die des Landes verwiesenen Personen aus Drittstaaten stammten am häufigsten aus Albanien, Algerien und Marokko. Mehr als 90 Prozent aller ausgereisten Personen waren Männer.

Die Quote der vollzogenen Landesverweisungen lag laut SEM Ende 2023 bei 68 Prozent. Da ein Teil der Landesverweisungen aber erst gegen Ende des Jahres 2023 angeordnet wurde, konnten diese erst im Laufe des Jahres 2024 vollzogen werden. In den ersten sechs Monaten haben gemäss einer ersten, provisorischen Auswertung rund 140 weitere Personen die Schweiz kontrolliert verlassen, die 2023 des Landes verwiesen worden waren. Die Vollzugsquote für 2023 hat sich deshalb bis Mitte 2024 gemäss dieser Auswertung auf rund 73 Prozent erhöht und wird noch weiter steigen, da weitere Vollzüge geplant sind.

Laut SVP wird Härtefallklausel zu oft angewendet

Die Härtefallklausel, die in besonderen Fällen Ausnahmen bei der Ausweisung erlaubt, sorgt im Parlament regelmässig für Diskussionen. Insbesondere die SVP kritisiert, dass sie zu oft angewendet werde und forderte in der Vergangenheit mit der Durchsetzungsinitiative schärfere Regelungen, was jedoch 2016 vom Volk abgelehnt wurde. Die Partei zweifelt seither weiterhin an einer konsequenten Umsetzung der Ausschaffungsinitiative und bezeichnet die aktuellen Daten als unzureichend. Der frühere FDP-Ständerat Philipp Müller sprach in der «Aargauer Zeitung» von einer «dürren Statistik ohne Informationen zur Härtefallklausel», welche das SEM vorlege. Ausserdem habe es zehn Jahre gedauert und 26 Vorstösse der SVP gebraucht, bis das Amt die Daten nun vorgelegt habe.

SDA/step