Pro und Kontra KonzernverantwortungSollen Konzerne für Menschenrechtsverletzungen haften?
Unternehmen Vorschriften zu ihrem Verhalten im Ausland machen: Ist das nötig? Über diese Frage streitet derzeit die Schweiz. Und auch auf unserer Redaktion ist eine Debatte entbrannt.
Ja
Will die Schweiz für einmal Vorreiterin sein – oder wie meist bei wirtschaftsethischen Fragen erst reagieren, wenn es nicht mehr anders geht? Das ist die Kernfrage der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative. Nach einem Ja am 29. November könnte die Schweiz eine «Vorbildrolle» einnehmen. Sie würde neue «Standards» dafür setzen, wie Unternehmen dazu gebracht werden, Menschenrechte und Umweltstandards weltweit einzuhalten. Ihre eigene Wirtschaft könnte diese Standards «als Gütesiegel verwenden».
Es sind nicht die Initianten, die das schreiben, sondern der Bundesrat in seiner Botschaft zur Initiative. Das veranschaulicht sein Dilemma. Der Bundesrat lehnte die Initiative zwar vor drei Jahren ab, auch weil die Verbände der Grossunternehmen viel Druck ausgeübt hatten. Aber gleichzeitig teilt er ihre zentralen Anliegen. Am Ende blieb die wenig überzeugende Haltung, dass die Schweiz eigentlich mehr tun sollte für eine saubere Wirtschaft – aber bitte nicht als Vorreiterin, sondern schön abgestimmt gemeinsam mit den anderen Staaten der Ersten Welt. Alles aus Angst, hiesige Unternehmen könnten gegenüber der internationalen Konkurrenz benachteiligt werden.
Kann es falsch sein, Vorreiterin für den Schutz von Mensch und Umwelt sein zu wollen? Das Konzept der Initiative war vor einem Jahrzehnt entwickelt worden, lanciert wurde sie vor fünf Jahren. Inzwischen zeigt sich: Die Initiative geht im internationalen Vergleich zwar noch immer weit, doch die Welt ist nicht stehen geblieben. Mehr und mehr Länder machen ihren Unternehmen immer strengere Vorschriften. Die Erwartung an die Schweiz, als einer der wichtigsten Standorte für Konzerne ebenfalls zu handeln, ist da.
Die Konsumenten des 21. Jahrhunderts wollen saubere Produkte.
Erst das Parlament und später auch der Bundesrat haben das erkannt: Doch das, was sie dem Stimmvolk als Alternative präsentieren – für den Fall, dass es die Initiative ablehnt –, ist angesichts der internationalen Entwicklung schon jetzt nur noch eine Minimallösung. Ihr Gegenvorschlag wird in kürzester Zeit überholt sein. Diese Prognose ist alles andere als gewagt. Parlament und Bundesrat setzen vor allem auf eine Berichterstattungspflicht für Grossunternehmen. Alleine ist dieses Instrument wirkungslos. Das haben die Erfahrungen der EU damit gezeigt.
Nehmen die Schweizerinnen und Schweizer dagegen die Initiative an, nutzen sie die Chance, lange haltbare Regeln aufzustellen. Konkret: Grossunternehmen sowie kleine und mittlere Betriebe aus Risikobranchen wie dem Rohstoffhandel würden per Gesetz dazu verpflichtet, ihre Lieferketten zu durchleuchten. Käme es trotzdem zu einer Menschenrechtsverletzung, wären Haftungsklagen in der Schweiz möglich.
Das sind Regeln, die zwar einigen Aufwand verursachen, vor denen sich aber kein seriös arbeitendes Unternehmen sorgen muss. Und wie es der Bundesrat bereits in seiner Botschaft angedeutet hat: Gut vermarktet, kann sich der vermeintliche Standortnachteil einer scharfen Gesetzgebung für Konzerne am Ende sogar auszahlen. Die Konsumenten des 21. Jahrhunderts wollen saubere Produkte.
Nein
Die Konzernverantwortungsinitiative wolle nur eine Selbstverständlichkeit, sagen die Befürworter, nämlich dass Schweizer Unternehmen Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland einhalten müssten. Das tönt gut und ist tatsächlich selbstverständlich.
Doch die Initiative will etwas anderes. Der Initiativtext will, dass Verstösse gegen Menschenrechte und Umweltstandards nicht nur dort vor Gericht gezogen werden können, wo sie geschehen sind, sondern zusätzlich auch in der Schweiz. Und dass dafür nicht nur die Firmen haftbar gemacht werden können, die sie begangen haben, sondern auch deren Muttergesellschaften und wichtige Abnehmer in der Schweiz. Die Justiz in diesen Ländern funktioniere eben nicht, sagen die Initianten, und Schweizer Firmen würden mit der Missachtung von Menschenrechten ihre Profite maximieren.
Diese Argumentation strotzt vor westlicher Arroganz und ideologischem Schwarzweissdenken. Selbst bei den von den Initianten präsentierten Beispielen, sei es in Kolumbien, in Nigeria oder in Indien, zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die Wirklichkeit komplizierter ist, als sie uns aufgetischt wird.
Der Gegenvorschlag ist der wirksame Weg, etwas für Menschenrechte und Umwelt in Entwicklungsländern zu tun.
Ob mit Klagen in der Schweiz an den Zuständen in Entwicklungsländern tatsächlich etwas verbessert wird, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass sich Schweizer Firmen zweimal überlegen, wo sie Geld investieren, und anderen Investoren, zum Beispiel aus Russland oder China, den Vortritt lassen. Damit ist niemandem geholfen. Am allerwenigsten hilft das dem Rechtsstaat und dessen Institutionen vor Ort. Doch an ihnen führt kein Weg vorbei. Sie sind nötig, um Korruption zu bekämpfen. Sie schützen Grundrechte, Freiheiten und das Eigentum in diesen Ländern. Das ist die Voraussetzung für Entwicklung, nicht ferne Schweizer Richter, die ihre Fälle vor Schweizer Gerichten verhandeln.
Das Parlament diskutierte zweieinhalb Jahre über einen Gegenvorschlag. Die Initianten machten dabei klar, dass ihnen eine Sorgfaltspflicht auf keinen Fall genügt, sondern dass sie unbedingt Schweizer Firmen vor Gericht stellen wollen. Die Rechtskommission des Ständerates wollte deshalb Klagen in der Schweiz zulassen, falls ein sauberes Verfahren im Heimatstaat des Klägers nicht möglich ist. Die Initianten lehnten dies vehement ab. Das zeigt: Es geht ihnen nicht um die Menschenrechte und Umweltstandards vor Ort, sondern um die Klagemöglichkeit hier.
Die Initiative und ihre Befürworter sind viel ideologischer, als sie sich geben. Sie bekämpfen Schweizer Unternehmen und deren Investitionen im Ausland. Und damit die Wirtschaftsentwicklung im globalen Süden. Das Parlament stellt der Initiative einen Gegenvorschlag entgegen, der auf diese zusätzliche Klagemöglichkeit verzichtet, aber umfangreiche Sorgfaltspflichten vorschreibt. Er tritt in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird. Der Gegenvorschlag ist der weniger spektakuläre, weniger moralisch und ideologisch aufgeladene, aber der wirksame Weg, etwas für Menschenrechte und Umwelt in Entwicklungsländern zu tun.
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