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Comeback des UNO-Pakts
So will Cassis den Migrationspakt doch noch durchboxen

Aussenminister Ignazio Cassis richtet am UNO-Sitz in Genf seine Worte an den UN-Menschenrechtsrat (26. Februar 2018).
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Spät, aber doch noch: Eigentlich hätte Ignazio Cassis dem Parlament bis Ende 2019 den umstrittenen UNO-Migrationspakt vorlegen sollen. Jetzt, mit einem Jahr Verspätung, hat der Aussenminister den Auftrag erfüllt. Auf seinen Antrag hat der Gesamtbundesrat den Pakt ans Parlament weitergeleitet. Dieses muss nun beraten, ob die Schweiz dem «Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration» endlich beitreten soll – so wie das über 150 Länder schon lange getan haben.

Damit kommt ein Thema wieder aufs Tapet, das 2018 für heftige Debatten geführt hat. Die Kritik am UNO-Pakt war damals derart gross, dass der Bundesrat darauf verzichten musste, an die Unterzeichnungszeremonie nach Marrakesch zu reisen. Später, in der UNO-Generalversammlung, gehörte die Schweiz zu jenen 17 Staaten, die den Pakt ablehnten oder sich der Stimme enthielten. Ihnen gegenüber standen 152 Länder, die Ja sagten. Die Stimmenthaltung der Schweiz war spektakulär, weil ausgerechnet der damalige Schweizer UNO-Botschafter Jürg Lauber bei der Ausarbeitung des Pakts eine entscheidende Rolle gespielt hatte.

Lauber selber wurde Opfer einer Diffamierungskampagne. Österreichische Rechtsradikale druckten Flyer, auf denen sie Lauber vorwarfen, die westlichen Länder für «242 Millionen globale Migranten» zu öffnen. SVP-Nationalrat Andreas Glarner reichte gegen Lauber sogar eine Strafanzeige ein.

Im Visier von Rechtsradikalen: Botschafter Jürg Lauber, einer der Väter des UNO-Migrationspakts.

Seither ist es ruhig geworden um den UNO-Pakt, doch die Kritik ist nicht verschwunden. Das offenbarte sich am Mittwoch: Ueli Maurer (SVP) wollte den Beitritt der Schweiz schon im Bundesrat mit einem vertraulichen Mitbericht stoppen – vergeblich. Am Nachmittag doppelte Maurers SVP nach. In einer Medienmitteilung sprach sie von einem «Migrations-Mogelpakt». Das Argument, es handle sich dabei um rechtlich nicht verbindliches Soft Law, sei «reine Augenwischerei». Die Erfahrung zeige, dass aus Soft Law Rechtsansprüche abgeleitet würden und «sich plötzlich fremde Richter in Ausländerfragen einmischen», so die SVP.

Die Skepsis ist auch in den anderen bürgerlichen Parteien verbreitet. «Wir müssen den Text ganz genau anschauen, um herauszufinden, ob er dereinst rechtlich verbindliche Wirkung für die Schweiz entfalten könnte», sagt Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. «Der Teufel liegt meist im Detail», deshalb könne sie sich heute nicht festlegen. Cassis’ FDP-Fraktion hat sich schon 2018 mehrheitlich gegen den Pakt ausgesprochen, mit dem Argument, die politischen Risiken seien grösser als der Nutzen. Wie die FDP sich heute positionieren werde, sei schwierig vorauszusagen, sagt Ständerat Damian Müller. Er – und wohl auch seine Fraktionskollegen – würden nun «eine differenzierte Auslegeordnung» machen, sagt Müller. «Aber die Grundhaltung zum Pakt ist kritisch.»

«Die Grundhaltung zum Pakt ist kritisch.»

Damian Müller, FDP-Ständerat

Im Moment ist eine Subkommission beider Räte dabei, die Problematik des immer wichtigeren Soft Law (zu Deutsch etwa: weiches Völkerrecht) grundsätzlich zu untersuchen. Sie will herausfinden, wie die Schweizer Politik in Zukunft mit solchen internationalen Übereinkommen umgehen soll. Der Schlussbericht dürfte auch die Debatte um den Migrationspakt beeinflussen.

Doch was würde passieren, wenn die Schweiz den Pakt ablehnte? Das wollte Innenminister Alain Berset (SP) im Bundesrat wissen.

In seiner schriftlichen Antwort warnte Cassis davor, eine Ablehnung könnte dem internationalen Genf schaden. Tatsächlich wäre es brisant, wenn ausgerechnet die Schweiz dem Migrationspakt dauerhaft fernbleiben würde. Denn die Internationale Migrationsorganisation (IOM) und auch das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge haben ihren Sitz in Genf. Zudem hielt Cassis in seiner Antwort an Berset fest, ein Nein könnte auch die Schweizer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat negativ beeinflussen.

Cassis’ anfängliche Zweifel

Dass sich Cassis für den Migrationspakt starkmacht, war nicht immer klar. Im Herbst 2018 erweckte er im Bundesrat, aber auch mit öffentlichen Äusserungen den Eindruck, er selber zweifle an dem Abkommen.

Jetzt betont sein Departement jedoch, der Pakt sei «im Interesse der Schweiz». Rechtlich sei er für die Schweiz «nicht verbindlich», es bestehe «keine Grundlage dafür, dass der UNO-Migrationspakt Teil des Völkerrechts werden kann». Das heisst: Auch in Zukunft könne die Schweiz über das Ausmass ihrer Zuwanderung selber entscheiden, so das EDA.

«Die Zustimmung zum UNO-Migrationspakt ist im Interesse der Schweiz.»

Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Im Gegenzug hofft das EDA, dass der Pakt weniger entwickelten Staaten Impulse für ein effizienteres Migrationssystem geben kann. Davon könnte auch die Schweiz profitieren, etwa indem Rückschaffungen abgewiesener Migranten künftig vereinfacht würden.

Dass der Bundesrat einen solchen Pakt überhaupt dem Parlament vorlegt, ist in der Verfassung gar nicht vorgesehen. Doch Ende 2018 haben beide Kammern den Bundesrat mittels Motionen dazu gezwungen. Umgesetzt wird dieser Auftrag nun mit einem staatspolitischen Murks: Der Bundesrat legt dem Parlament einen Bundesbeschluss vor, der nur wenige Zeilen umfasst. Sein Kernsatz lautet: «Die Bundesversammlung unterstützt es, dass die Schweiz dem UNO-Migrationspakt zustimmt.»

Doch selbst wenn das Parlament Nein sagen würde, könnte der Bundesrat dem Pakt immer noch beitreten. Das hält der Gesamtbundesrat explizit fest. Dass die Landesregierung einen solchen Entscheid aber gegen den Willen der Parlamentsmehrheit treffen würde, scheint ziemlich unwahrscheinlich. Umso heftiger könnte die Debatte im Parlament werden.