Skirennen am ChuenisbärgliSchneemangel? «Chunt guet», sagen die Adelbodner zu ihrem Rennen
Am Wochenende fahren die besten Skifahrer der Welt den Hang hinunter. Mit 25’000 Zuschauern und auch dieses Jahr: wenig Schnee. Wieso hält ein Dorf an einem solchen Rennen auf 1300 Metern fest?

Weiss auf Grün. Es ist eine Farbkombination, die Willy Schranz nicht besonders mag.
Gerade in diesen Tagen, kurz vor dem wichtigsten Anlass des Jahres, sieht der neue Gemeinderatspräsident von Adelboden ständig Weiss auf Grün. Gegenüber vom Dorf, auf der anderen Talseite, liegt ein Band Kunstschnee am ergrünten Chuenisbärgli.
Am Samstag sollen dort am Hang Marco Odermatt und Co. den legendären Riesenslalom fahren, angefeuert von 25’000 Menschen. Ein Skifest. Beste Werbung für Adelboden – im Idealfall.

«Chunt guet», sagt Schranz und blickt zum Hang hinüber. Schon oft wurde das Chuenisbärgli im letzten Moment fit fürs Rennen gemacht. Willy Schranz hat es hautnah miterlebt. Er war selbst lange im Organisationskomitee und weiss: «Das sind fähige Leute, die alles Menschenmögliche machen werden.»
So wie der Gemeinderatspräsident denkt die Mehrheit im Dorf – entspannt und voller Vertrauen in die eigenen Leute. Der fehlende Schnee kurz vor dem wichtigsten Anlass des Jahres macht hier kaum jemanden wirklich nervös. Ebenso wenig die Schlagzeilen.
«Schneemangel am Chuenisbärgli macht Sorgen» titelt der «Blick» kurz vor Silvester, dazu gibt es die entsprechenden Bilder – mit dem weissen Schneeband. Es ist gleichzeitig der Tag der Schneekontrolle durch den Ski-Weltverband FIS. Sie fällt positiv aus. Alles in Ordnung.
Zu viel Kreativität
Christian Haueter klappt seinen Laptop auf. Bis Juni 2023 war er Geschäftsführer der Ski-Weltcup Adelboden AG und OK-Präsident in einem, mittlerweile sind die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt. Dunkel- und hellblaue Schattierungen sind auf seiner Grafik zu sehen, sie zeigen die Schneemenge, die auf der Strecke liegt. Je dunkler die Farbe, desto mehr Schnee.
Als das Wetter ideal war, wurde am Hang Schnee in Massen produziert, rund 35’000 Kubikmeter sind nötig für die 1,2 Kilometer lange Strecke. Die Kreativität für die Schneeproduktion überschoss in der Vergangenheit auch schon mal.

1998 haben die Adelbodner mit Hunderten Lastwagenfahrten 4000 Kubikmeter Schnee vom eineinhalb Stunden entfernten Grimselpass herangekarrt. Einmal produzierten sie im nahen und schattigen Engstligental Tonnen von Schnee, um ihn aufwendig zur Strecke zu transportieren und ihn darauf zu verteilen.
Oder sie füllten vor dem Winter kurzerhand das Schwimmbad im Ort. So konnten sie Schnee produzieren, ohne in der Weihnachtszeit für Wassermangel im Dorf zu sorgen. Heute sind solche Übungen undenkbar, schon allein wegen der Aussenwirkung.
Die Reserven reichen aus
Seit 2017 ist die Beschneiungsanlage entlang des Chuenisbärglis auf dem neusten Stand. Die Depots, die Haueter auf seinem Laptop zeigte, sind auf der Strecke nicht zu sehen – und doch teils drei Meter tief in grossen Gräben angelegt. Die Touristen befahren die Piste, vor dem Zielhang ziehen sie links hinunter nach Boden. Der berühmt-berüchtigte Schlussabschnitt wird jeweils erst kurz vor den Rennen präpariert. Die Reserven auf der Strecke reichen dafür aus.
Bisher haben sie es in Adelboden meist irgendwie hingekriegt. Selbst 2023, als die Wetterlage noch viel ungemütlicher war und die Temperaturen deutlich höher waren. Die Fahrer schwärmten gar von der hervorragenden Unterlage.

Verantwortlich für diese ist seit drei Jahrzehnten Pistenchef Toni Hari. Als er anruft, rauscht es, Hari wässert die Piste. Das Wasser wird dabei in den Schnee gepresst und verteilt sich am Untergrund. Wegen der unterschiedlichen Temperaturen von Wasser und Schnee verdunstet das Wasser, es entsteht eine Verdunstungskälte, die die Piste frieren lässt. Die Masse wird kompakt und hält selbst Regen aus. Bis ein Rennen abgesagt werden muss, braucht es viel.
Denselben Effekt wie das Wässern hat Salz. Bis zu 500 Kilo werden jeweils auf der Strecke verteilt. Klingt nach viel, auf den Quadratmeter gerechnet sind es sieben Gramm. Toni Hari, selbst Bauer, sagt: «Fünf Prozent davon gelangen überhaupt in den Boden, der Rest verdunstet.»
Gleichwohl würde er lieber mit Harnstoff arbeiten, der wie Salz wirkt, aber den Pflanzen auch noch Dünger liefern würde. Das aber ist verpönt.
Ein Wochenende zur Unzeit
Für die Adelbodner findet das Rennen eigentlich zur Unzeit statt. Weihnachts-Tauwetter nennen sie das hier oben. Es beginnt Ende Dezember und dauert bis in den Januar hinein. Plusgrade, Südwestwind, Föhnlage, so ist das oft um den Jahreswechsel herum. Der Klimawandel sorgt dafür, dass diese Phasen tendenziell noch länger dauern.
Früher oder später, alles wäre besser als dieses erste Wochenende im Jahr. Doch der Weltcupkalender ist dermassen vollgepackt, dass den Adelbodnern kein anderes Datum bleibt.
Die warmen Tage, der wenige Schnee: Adelboden ist mit seinem Problem nicht allein. Das Dorf liegt auf 1300 Metern über Meer, und wie anderswo stellt sich auch hier die Frage immer dringlicher: Wie lange kann auf dieser Höhe überhaupt noch Ski gefahren werden?
Reto Knutti ist Klimaforscher der ETH, er ist in Gstaad aufgewachsen, 40 Kilometer Luftlinie entfernt von Adelboden. Sein Vater war Skilehrer, er selbst fährt bis heute gern Ski. In sich das Wissen und der Schmerz, dass es damit einmal vorbei sein könnte.
Knutti sagt, dass die Schneefallgrenze seit dem Jahr 1900 um 400 Meter gestiegen sei. «Und sie wird bis 2050 noch einmal 400 Meter hochgehen.»
Es wird immer schwieriger
Er sieht für die Skigebiete drei Probleme. Erstens: der Schneemangel. Zweitens: das Finanzielle. Kunstschnee kostet viel Geld, gerade bei steigenden Energiepreisen, zugleich fahren immer weniger Leute Ski. Und drittens: die Temperatur. Ist es noch kalt genug, um überhaupt Kunstschnee zu produzieren? Knutti sagt: «Es wird dafür immer schwieriger. Die drei Punkte bringen die Frage auf: Wie zielführend ist es noch, in tieferen Lagen bis 1500 Metern in den Wintersport zu investieren?»
Diese Exegese der Klimadaten kommt nicht überall gut an. Manche sehen den ETH-Professor als Nestbeschmutzer. Knutti sagt dann jeweils: «Mir müsst ihr nicht glauben. Doch mit der Physik könnt ihr nicht verhandeln.»
Der Grüne im Dorf
Die Worte kommen bei der Bergbevölkerung bisher mässig an. Ein Indiz dafür sind vergangene Abstimmungsresultate. Der Wintersportort Adelboden, der darauf angewiesen ist, dass die Klimaerwärmung nicht weiter ansteigt, verwarf das CO2-Gesetz und die Klimaschutzinitiative mit 77,3 Prozent respektive bis zu 73,3 Prozent.
Zu den Befürwortern damals gehörte auch Roland Teuscher. Es gibt im Dorf den Bergbahnchef, die Hotelière, den Sportgeschäftsbesitzer, die Bäckerin, den Feuerwehrkommandanten – und eben auch ihn, den Grünen. Der 78-Jährige sagt: «Ich war aber einer, der für Lösungen stand.»

Teuscher war knapp 40 Jahre der Sekundarlehrer im Dorf. Und seit fast 50 Jahren ist er Präsident des Natur- und Heimatschutzvereins Adelboden. Er hat das Skigebiet und das Dorf wachsen gesehen. Er diskutierte mit, wenn man neue Alpstrassen und Bahnen plante. Er wurde beigezogen, wenn man neue Häuser baute – es waren in den vergangenen Jahren so einige.


Diese beiden Dinge, der Tourismus und die Baubranche, sie hängen zusammen. Mit den Touristinnen kamen auch die Zweitwohnungsbesitzer, mit dem Häuserbau die Arbeitsplätze. Teuscher als Vertreter des Heimatschutzes schaute, dass die neuen Bauten dem Ortsbild entsprachen. «Mehr konnte ich nicht tun.» Es gab höher gewichtete Interessen.
Ähnlich ist es beim Schnee. Der Schneemangel sei in Adelboden nicht erst seit kurzem ein Thema, sagt Teuscher. «Das wissen hier alle. Doch ich habe das Gefühl, man will es nicht so recht wahrhaben.» Als er einmal entlang der Wanderwege Tafeln aufstellen wollte, die den Zusammenhang von CO2 und Methan mit der Klimaerwärmung aufzeigten, beschied ihm die Gemeinde: Das kannst du vergessen!
Er stellte sie dann trotzdem hin, auf dem Land eines Kollegen.
Auch die Bauern leben vom Tourismus
Teuscher glaubt nicht daran, dass Adelboden einfach so den Skitourismus aufgeben wird. «Da bin ich zu realistisch. Zu viele Arbeitsplätze sind davon abhängig. Und wer beschneidet sich schon selbst?» Zudem seien die Touristiker knallharte Rechner. Der Skitourist bringe nun einmal am meisten Geld, deutlich mehr als die Wanderin, der Langläufer oder neuerdings der Mountainbiker.
«Es hängt zudem viel mehr am Tourismus dran, als man denkt», sagt er und verweist auf die Landwirtschaft. Ohne den Tourismus könnten viele Bauern nicht überleben. Sie werden entschädigt, wenn die Pisten über ihr Land führen, sie arbeiten im Winter als Skilehrer oder bei den Bergbahnen, sie verdienen Geld auf dem Bau, der wiederum wegen des Tourismus floriert.
Der Neue ist einer von hier
Willy Schranz läuft durch die Hauptgasse von Adelboden. «Salü!», tönt es von überall her, unablässig wird er gegrüsst. Schranz ist einer von hier, ein Ur-Adelbodner, jahrelang Gemeinderat. Und seit dem 1. Januar zudem offiziell Gemeinderatspräsident von Adelboden. Der EDU-Politiker hat die Wahl gegen einen Vertreter der SVP, der stärksten Partei, gewonnen.
Eigentlich will der Ratspräsident dem Besucher aus dem Unterland erklären, wie eng das Dorf und das Rennen zusammenhängen; wie sehr beide Seiten profitieren und warum ein solcher Grossanlass und in einer so kleinen Gemeinde möglich ist. Doch wieder ruft einer von der anderen Seite: «Salü, wie gehts?»

Dabei sind gar nicht viele Worte nötig. Es gibt kaum jemanden, der die wechselseitige Beziehung von Dorf und Rennen besser verkörpert als Willy Schranz. Er war über zehn Jahre im Organisationskomitee des Weltcuprennens, dort als Gemeinderat auch für den Austausch zwischen Gemeinde und Event zuständig. Als neuer Gemeinderatspräsident, oder Obmann, wie es im Berner Oberland auch heisst, rattert er darum die Zahlen zu dieser Langzeitbeziehung routiniert herunter.
Mit 200’000 Franken unterstütze Adelboden das Rennen, die Hälfte davon mittels Leistungen. Gleichzeitig betrage die Wertschöpfung laut einer Studie aus dem Jahr 2021 für die Region bis zu 18 Millionen Franken. «Es ist hier eigentlich allen klar, dass die Vorteile überwiegen», sagt er.
Schranz, jahrelang der Vermittler vom Dienst, ist sich durchaus auch der Nachteile bewusst. Er weiss von den Bauern, die um ihre Bodenverdichtung fürchten. Er kennt die Autokolonne, die sich am Renntag durch die Gassen schiebt. Und er sieht, wie die Bewohner von Adelboden einiges auszuhalten haben.
Stresstest für die Einheimischen
Das gilt besonders für jene Menschen im Wohnquartier Boden. Dort in der Talebene befindet sich der Festbereich mit den grossen Sponsorenzelten, das Zielgelände mit seiner 18 Meter hohen Tribüne für über 5000 Menschen. Stützen der Stahlkonstruktion stehen auf privaten Garagenplätzen, wie selbstverständlich führen die Wege durch Gärten und Vorplätze, die mit schwarzen Bodenplatten belegt sind. 70 Anwohner und Eigentümer stellen ihr Land zur Verfügung.
«Natürlich ist das ein Stresstest für die Anwohner», sagt Willy Schranz. «Aber der Anlass ist breit abgestützt und akzeptiert.»

Das sieht auch Haueter so, der Geschäftsführer der Rennen. Als Beweis dient ihm die Abstimmung an der Gemeindeversammlung 2020, als sich eine grosse Mehrheit dafür aussprach, einen Fixbetrag von 100’000 Franken für die Rennen zu sprechen. Auch das half Haueter dabei, die Gesundung der Finanzen zu erreichen. Als er 2019 begann, standen die Rennen auf der Kippe, Jahr für Jahr deckten Gönner aus dem Ort das Minus im sechsstelligen Bereich. Heute kann Haueter sagen: «Nach einem guten Wochenende können wir etwas auf die Seite tun, bei einem schlechten stemmen wir die Verluste aus eigener Kraft.»
Das Budget hat sich im letzten Jahrzehnt auf knapp 8 Millionen Franken fast verdreifacht. Das Angebot wurde über die Jahre immer vielfältiger, die VIP-Bereiche wurden optimiert, die Essensstände ausgebaut. Die Organisation wurde schlanker und effizienter, der Ganzjahresbetrieb ist auf 450 Stellenprozent aufgeteilt.
Fans am Gartentisch
Willy Schranz sitzt mittlerweile im Wohnzimmer von Emanuel Aellig. Ein Spontanbesuch. Der Blick geht hier direkt auf die Rückseite der Tribüne, die ein Steinwurf entfernt in den Himmel ragt. Absperrgitter umzäunen Aelligs Gartensitzplatz. «Sonst sitzen mir die Fans wieder am Gartentisch», sagt der Hausbesitzer lachend. Schranz lächelt.
Der Gemeinderatspräsident weiss: In diesem Wohnzimmer wird nichts grundsätzlich infrage gestellt. Der Gastgeber war selbst lange Teil der Skifamilie. Als Bauchef verantwortete Emanuel Aellig die Konstruktion, die ihm jetzt die Sicht auf das Chuenisbärgli nimmt. Natürlich sagt er: «Die Vorteile überwiegen. Und wenn es ein Problem gibt, sind die Wege ja kurz.»
Es geht dann meist um Dinge wie Verkehrssicherheit. Oder einen abgeknickten Rosenstrauch während der Aufbauarbeiten. Alles lösbare Probleme für die Verantwortlichen.
In Adelboden ist kaum ein kritisches Wort zum Grossanlass mit der immensen Werbewirkung zu hören. Zu abhängig sind sie, zu eng sind alle im Tal mit dem Rennen verbunden.

Ernsthafte Probleme macht am Chuenisbärgli nur der Schnee. Das Thema werden sie hier nicht los. Das Ziel des Rennens im Boden liegt auf gerade mal 1290 Metern über Meer.
Das führe dann, erzählen Aellig und Schranz bei Kaffee und Weihnachtsguetsli, immer wieder zu diesen Bildern mit der für sie unvorteilhaften Farbkombination. Weiss auf Grün. «Dabei sind nur wenig weiter oben, auf 2000 Metern, die Bedingungen im Skigebiet bestens.»
Was kommt?
Die beiden Adelbodner ärgern sich über die verkürzte Darstellung der Situation vor Ort. Gleichzeitig sehen auch sie, wie der Klimawandel die Natur verändert und das Wintergeschäft unsicherer macht, komplizierter und damit teurer. Willy Schranz sagt: «Wir planen jeweils in einem Fünfjahresplan. Weiter hinaus wollen und können wir nicht vorausschauen.»
Und was kommt danach? Die beiden Männer zucken mit den Schultern. «Wer weiss das schon.»
Draussen beginnt es in diesem Moment tatsächlich zu schneien. Das Chuenisbärgli – plötzlich Weiss auf Schneeweiss. Die beiden Männer, 67 und 55, freuen sich. Diese Farbkombination soll bis zum Rennen am Samstagvormittag halten. Hoffentlich.
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