Marco Odermatt exklusiv«Ich brauche meine Freundin nicht den Medien zum Frass vorzuwerfen»
Der Nidwaldner ist der grosse Abräumer des Winters. Im Interview redet er über Zeit mit seiner Freundin, Partys, wilde Fahrten und sein Verhältnis zu Roger Federer.
Marco Odermatt, Sie haben in dieser Saison 13-mal gewonnen. Haben Sie die Schweizer Nationalhymne allmählich satt?
Bis jetzt noch nicht.
In Kitzbühel waren Sie mit Konkurrent Cyprien Sarrazin nach dem letzten Rennen im Ausgang und versuchten, ihm die Hymne beizubringen. Hat es geklappt?
Ich glaube nicht, er hat sie wohl schon wieder vergessen. (lacht)
Sie waren auf einem Video zu sehen, wie Sie gemeinsam mit ihm feiern und Bier trinken. Sind solche Bilder gut für Ihr Image als lockerer Sportler, der ganz und gar nicht verbissen ist?
Mich stören solche Bilder nicht, es zeigt mich, wie ich bin. Manchmal gehe ich in den Ausgang, mache ein bisschen Party, trinke etwas, so wie es grad passt und meine Emotionen sind. Deshalb stört mich nicht, wenn ich dabei fotografiert werde und was über mich geschrieben wird – nach einem guten Rennen erst recht nicht.
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Wie wild war denn diese Party am Samstag nach der Abfahrt auf der Streif?
Ich hatte schon wildere, ich war bis um eins, zwei in der Früh da, ging dann aber, weil ich als Einziger noch zum Riesenslalom in Schladming vom Dienstag reisen musste. Der eine oder andere Abfahrer hat sicherlich bis am Morgen durchgezogen.
Gehen Sie auch privat aus, oder nur so, in einer Art geschütztem Rahmen?
Mit dem geschützten Rahmen ist es mittlerweile ohnehin schwierig. Die paar Momente, in denen ich in diesem Winter gefeiert habe, entstanden aus den Emotionen heraus, nach den Rennen, in Kitzbühel oder in Wengen, wo wir auch noch etwas gefeiert haben. In Schladming ist die Party vorprogrammiert, weil wir wissen, dass wir noch eine Nacht bleiben. Während des Winters daheim auch noch auszugehen, hat keinen Platz.
Sie sagten vor dem Wochenende in Kitzbühel, auf der Streif zu gewinnen, sei Ihr letztes verbliebenes Ziel. Sind Sie Sarrazin dankbar, dass er zweimal siegte und Sie noch eine Aufgabe haben?
Dankbar ist vielleicht übertrieben, aber sicher bleibt der Sieg in Kitzbühel ein grosses Ziel, und das habe ich nun auch für nächstes Jahr.
Sie sind erst 26 und sagen, Sie hätten nur noch ein Ziel in Ihrer Karriere. Macht es Ihnen Angst, daran zu denken, was ist, wenn Sie dieses auch erreicht haben?
Zurzeit noch nicht. Ich glaube schon, dass ich noch ein paar Jahre Ski fahren werde, hoffentlich habe ich auch noch ein paar Jahre Spass. Darum werde ich mich sicher auch dann motivieren können, wenn ich in Kitzbühel irgendwann gewonnen haben sollte, die Emotionen des Sports erlebe ich auch künftig gerne.
Sorgen Sie sich wegen der klimatischen Veränderungen um die Zukunft Ihres Sports?
Dass es immer schwieriger wird, Pisten für gute Rennen herzurichten, hat dieses Jahr gezeigt. Und das wird sicher nicht einfacher. Wir müssen uns einfach anpassen. Im März in Kranjska Gora auf 800 Metern fahren zu wollen, während auf 2000 Metern viel Schnee liegt, macht vielleicht in Zukunft keinen Sinn mehr.
Die Rennen in Slowenien letzte Woche wurden abgesagt. Wie kommt Ihre Freundin damit zurecht, dass Sie zuletzt so viel zu Hause waren?
(lacht) Ich glaube, das ist nicht so schlimm für sie.
Was ist Ihnen im Winter lieber: Renntage oder freie Tage?
Beides. Bin ich im Rennmodus, fahre ich gerne, freue mich aber gleichzeitig auf zwei, drei Tage Pause. Und sind keine Wettkämpfe, freue ich mich auf die Reise und die Rennen. So viele Pausen wie in diesem Winter brauche ich aber nicht, gerade den Unterbruch zuletzt nicht. Da wird mir schnell einmal langweilig.
Konnten Sie dank der Absagen Dinge tun, die sonst in Ihrem Winter keinen Platz haben?
Das sicher. Wobei, seit dem Saisonstart in Sölden im Oktober hatte ich vielleicht zwei Wochen, in denen weniger lief: als Chamonix abgesagt wurde und jüngst Kranjska Gora. Chamonix kam mir entgegen, ich war ziemlich kaputt nach dem strengen Januar mit Adelboden, Wengen, Kitzbühel, Schladming, Garmisch. Ich brauchte die Erholung extrem und ging Wellnessen mit meiner Freundin. Bei der jüngsten Pause war ich aktiv, war auf Skitouren oder Tiefschneefahren.
Sie halten Ihre Freundin grösstenteils von der Öffentlichkeit fern. Weshalb?
Sie ist etwas vom Einzigen in meinem Leben, worüber man noch nicht alles weiss. Ich will das bewahren. Keiner braucht zu wissen, wo genau wir wohnen, Homestorys wird es von uns nie geben. Das muss ich nicht auch noch nach aussen verkaufen. Bei allem anderen dreht es sich um mich, mit den Auftritten verdiene ich indirekt auch mein Geld. Aber die Freundin, die Familie, die Schwester, die Eltern, die brauche ich nicht auch noch den Medien zum Frass vorzuwerfen. Das war jetzt böse gesagt. Aber sie haben ja nichts davon.
Über Sponsoren haben Sie ab und zu Kontakt mit Roger Federer. Er und seine Frau Mirka handhabten das ähnlich: War er diesbezüglich Ihr Vorbild?
Wir machten das von Anfang so, als ich noch nicht wusste, dass Mirka keine Interviews gibt und sich öffentlich nicht äussert. Aber ja, vielleicht bestärkte mich sein Vorgehen in meiner Entscheidung.
Lernen Sie von ihm, wie Sie mit Popularität umgehen können?
Es ist jetzt nicht so, dass wir fünfmal privat essen gegangen wären. Unsere Treffen sind verbunden mit Shootings von Sponsoren, mit Arbeit. Wir hatten noch nicht viel Zeit, über Privates zu reden. Am Anfang war der Respekt meinerseits ohnehin sehr gross. Beim letzten Treffen haben wir etwas ausführlicher reden können.
Nimmt Ihre Popularität stets zu?
Ja. Logisch, daheim in der Region ist das schon länger so, nun nimmt das aber auch im Ausland zu. Mittlerweile wollen mich die Fans bei jedem Rennen sehen, den – blöd gesagt – Star. Selbst in den USA, wo die Leute sicher nicht die besten 30, nicht einmal die besten 10, ja selbst den Zweiten und Dritten nicht kennen, spüre ich das. Ich werde viel öfter erkannt.
Odi-Hype überall?
Das schon nicht. Jüngst hatten wir in Palisades Tahoe ein extrem cooles Rennen mit sehr vielen Zuschauern. Aber die waren einfach da, weil sie eben gerade da waren, die waren froh, dass etwas läuft. Dort kann ich in Ruhe durchs Dorf laufen, ich werde kaum wahrgenommen.
Viele Kinder träumen von einem Dasein als Star: Geniessen Sie es?
Nein, das ist das, was ich am wenigsten vermissen würde. Natürlich ist es toll, schnell Ski zu fahren und dann am Abend auf der Bühne gefeiert zu werden. Aber das Gefühl, ein Star zu sein, brauche ich nicht.
Apropos Bühne: In Wengen waren drei Rennen in drei Tagen, Sie schafften es jedes Mal auf das Podest, entsprechend viele Verpflichtungen hatten Sie. Wie anstrengend war diese Woche?
Das hat sehr viel Kraft gekostet, das sind die längsten Tage, die man sich vorstellen kann. Am Morgen sind wir früh auf der Piste, das Rennen startet aber spät, erst um 12.30 Uhr. Dann dauerte alles noch länger wegen der Stürze und Unterbrüche, um vier stand ich noch im Ziel, um auf die Siegerehrung zu warten. Dann ging ich zurück ohne Mittagessen und musste vor dem Znacht schon wieder an die Startnummernauslosung und Rangverkündigung. Das Rahmenprogramm verschlang sehr viel Energie.
Wird übertrieben, oder verdient es der Ski-Fan schlicht, Sie so oft zu sehen?
Es müsste einen Mix geben. Allen ist klar, dass man an diesen Orten mit vielen Zuschauern so etwas macht, das ist auch toll, gerade für Athleten, die nur eine Disziplin fahren. Auch für die Veranstalter ist es super, die viel investieren und so neben den Rennen auch andere Höhepunkte präsentieren können und damit auch Geld verdienen.
Aber?
Nehmen wir das Beispiel Gröden und Alta Badia: Da bestritt ich, der drei Disziplinen fährt, fünf Rennen in fünf Tagen. Da braucht es doch nicht jeden Tag eine öffentliche Startnummernauslosung oder eine Siegesfeier, was bis zu zwei Stunden dauert. Ein Event pro Rennort müsste reichen, aber nicht drei Tage hintereinander wie in Wengen. Das war brutal für mich.
In Wengen gaben auch die vielen und teils heftigen Stürze zu reden. Viele Athleten schauen jeweils weg. Sie?
Ich nicht, meist schaue ich mir die Stürze nach dem Rennen nochmals an, ab und zu kann ich aus ihnen etwas lernen. Ich schaue sie nicht siebenmal, aber sicher einmal, damit ich Bescheid weiss, was passiert ist.
Auch Ihr guter Freund Marco Kohler stürzte: Wie sehr nahm Sie das mit?
Das war sehr schlimm. Wenn es Fahrer trifft, die mir nahe sind, nimmt mich das noch mehr mit als bei anderen. Und doch habe ich auch da eine gewisse Distanz. Am Renntag bin ich mit mir selbst beschäftigt. Vor dem Start kommt ohnehin nichts an mich ran.
Und im Ziel?
Da bin ich empfänglicher für solche Emotionen. Und doch ist Renntag, ist ein Abstand da. Zu Hause auf dem Sofa Stürze zu sehen, ist schlimmer, weil ich da nicht in diesem Tunnel bin.
Sie sahen den schlimmen Sturz von Kilde im Ziel-S von Wengen, wie er lange dalag und versorgt wurde. Was machte das mit Ihnen?
Das sind nicht Bilder, die ich sehen will. Es hat auch lange gedauert, bis erste Helfer bei ihm waren. Man macht sich da schon Gedanken, was wäre, wenn es lebensbedrohlich wäre.
Er veröffentlichte danach Bilder seines komplett aufgeschnittenen Unterschenkels …
… das habe ich gesehen …
… schwer verdaulich, oder?
Ich fragte mich schon, wieso er das veröffentlichen musste. Es waren wüste Bilder.
Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?
Leider habe ich einen Kollegen, der sein Bein fast verloren hätte nach einem Sturz. Das sah von der Schnittwunde her ähnlich aus.
Denken Sie, Kilde wird jemals wieder ein ernst zu nehmender Gegner für Sie?
Ich mache mir nicht riesige Sorgen um ihn. Klar, das mit den verletzten Nerven muss wieder gut kommen, aber wenn das klappt, ist es eine Wunde, die, wie alles andere, was nicht den Kopf betrifft, wieder heilen kann. Ich glaube schon, dass er zurückkommt. Ich hoffe es jedenfalls sehr.
Bald wird der Airbag Pflicht, auch die schnittfeste Unterwäsche soll obligatorisch werden. Begrüssen Sie das?
Ich trage ohnehin schon beides. Ob es zur Pflicht werden soll, darüber kann man streiten, letztlich müssen die Produkte so gut sein, dass der Athlet sie tragen will. Entsteht aber ein aerodynamischer Nachteil dadurch, ist es nicht verkehrt, das Tragen obligatorisch zu machen, damit alle die gleiche Ausgangslage haben.
Kilde, Schwarz, Pinturault und Sarrazin fielen zuletzt aus, überhaupt sind viele Gegner verletzt: Ist das gut für Sie, oder bedauern Sie die Ausfälle?
Verletzungen wünsche ich niemandem, aber jeder konzentriert sich auf sich selbst, auf seine Karriere, jeder kämpft mit dem gleichen Risiko, der eine geht grössere Risiken ein, der andere kleinere, passieren kann immer etwas. Aussenstehende machen sich da viel mehr Gedanken als wir Athleten. Wir wollen einfach nicht, dass sich jemand verletzt, ob es jetzt Gegner weiter hinten trifft oder Top-Fahrer, spielt keine Rolle. Für den Fan und den Sport ist es natürlich schlimmer, wenn es die Besten trifft.
Brauchen Sie Gegner auf Augenhöhe, um sich weiter verbessern zu können?
Die sind sehr wichtig. Ich merke, was noch möglich ist, wenn andere gewisse Abschnitte schneller fahren als ich oder auch einen ganzen Lauf. Duelle machen den Sport spannend, erzeugen Emotionen.
Sie dagegen dominieren Ihren Sport, Ihr Ausfall im Riesenslalom von Saalbach ist eine riesige Seltenheit. Gehen Sie bei Ihren Fahrten ans Limit?
Bei jedem Rennen gehe ich irgendwie ans Limit, aber schon nicht immer gleich stark. In den drei Rennen zuletzt in den USA musste ich aber extrem an die Grenze gehen.
In Aspen fuhren Sie einen wilden zweiten Riesenslalom-Lauf, hatten einen riesigen Fehler – und siegten doch. Wie machen Sie das?
Ich kann es nicht erklären. Solche Fahrten lassen auch mich selbst ungläubig zurück. Zwei-, dreimal brauchte ich Glück in dieser Saison – und es ging auf. Ich habe vor den Läufen einen Plan im Kopf, weiss, dass es reicht, wenn ich normal fahre. Oder eben wie in Aspen, als ich nach dem ersten Lauf Dritter war, dass ich deutlich mehr Gas geben muss. Passiert mir dann ein Fehler, weiss ich unterbewusst sowieso, dass ich noch viel mehr pushen muss.
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In Aspen siegten Sie zweimal vor Teamkollege Loïc Meillard. Es wirkte im Ziel, als würde er Ihnen leidtun.
Das schon nicht gerade, aber ich muss ja nicht noch jubeln wie ein Affe und ihm den Sieg unter die Nase reiben. Es war klar, dass irgendwann sein nächster Sieg im Riesenslalom kommen wird, nun ist es in Saalbach passiert.
Kann Siegen unangenehm sein?
Da bin ich ein zu grosser Egoist: Ich geniesse das Siegen!
Was machen Sie, damit die Triumphe nicht zur Selbstverständlichkeit werden?
Von aussen sieht das viel selbstverständlicher aus als für mich. Ich weiss, wie viel Arbeit in jedem Rennen steckt, wie viele Überlegungen, wie viel Energie sowohl mental als auch körperlich, wie viel Risiko. Daher ist kein Sieg für mich selbstverständlich.
Sie befinden sich trotz der gerissenen Siegesserie im Riesenslalom auf Rekordjagd, stehen bald wieder bei 2000 Punkten: Überrascht Sie das?
Sehr. Nach dem letzten Winter mit den 2042 Punkten dachte wohl niemand, dass ich das noch toppen kann. Aber jetzt bin ich noch einmal besser, theoretisch könnte ich bei noch mehr Punkten stehen, berücksichtigt man die sieben Rennen, die in meinen Disziplinen abgesagt wurden. Das ist schon verrückt.
Dabei sagt Ihr Trainer Helmut Krug, Sie hätten sich vor der Saison nicht einmal gut gefühlt.
Das ist so, im letzten Trainingscamp in Copper Mountain fühlte ich mich schlechter als im Vorjahr, obwohl die Vorbereitung eigentlich gut gewesen war. Dank der guten Rennen gleich zu Beginn kam das Vertrauen aber schnell zurück.
Haben die vielen Absagen auch mit dem Rennkalender zu tun?
Wir Athleten werden nächste Woche beim Final in Saalbach mit Leuten der FIS zusammensitzen und Vorschläge machen. Über den Saisonstart in Zermatt müssen wir nicht immer diskutieren, dort zu fahren, wird auch in den nächsten 50 Jahren schwierig sein. Dagegen hat es sich gezeigt, dass es nicht unklug ist, im Frühjahr ein zweites Mal in die USA zu reisen. Wir hatten dort fünf Superrennen, es ist schneesicher, winterlich, während es in Mitteleuropa schon schwierig wird. Es kann entweder keinen Schnee haben oder dann so viel, dass man auch nicht fahren kann.
In Zermatt war die letzten beiden Jahre der Speed-Start geplant, alle Rennen der Frauen und Männer mussten abgesagt werden. Würden Sie am liebsten nicht mehr hingehen?
Gegenüber Zermatt bin ich sehr neutral, weil ich weiss, welch enormer Aufwand hinter diesem Event steckt. Aber wenn es nach den anderen Athleten geht, den Nicht-Schweizern: Von denen würden wohl nur noch wenige freiwillig nach Zermatt gehen.
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