Skandal nach WM-FinalGeküsste Weltmeisterin fordert «exemplarische Massnahmen»
Der spanische Verbandschef leistet sich eine Entgleisung gegen Starspielerin Jenni Hermoso, die sich nun erstmals zu Wort meldet. Der Druck auf den Übeltäter steigt. Auch die Fifa reagiert.
In der «Kuss-Affäre» wird die Luft für den affärenumtosten spanischen Verbandschef Luis Rubiales immer dünner. In einer Mitteilung, die am Mittwoch von der Spielerinnengewerkschaft FutPro verbreitet wurde, forderte Weltmeisterin Jenni Hermoso «exemplarische Massnahmen» gegen Rubiales. Sie war bei der Siegerehrung der Frauen-WM in Sydney auf dem Podest von Rubiales auf den Mund geküsst worden.
Damit bricht eine der letzten denkbaren Verteidigungslinien von Rubiales in sich zusammen. Er sieht sich seit Tagen einer Reihe von Rücktrittsforderungen aus Politik und Medien, von Sportfunktionären und sogar von klassischen Gewerkschaftsbossen ausgesetzt. Inzwischen hat auch die Fifa ein Disziplinarverfahren eingeleitet. «Die Fifa bekräftigt ihr uneingeschränktes Bekenntnis zur Achtung der Integrität aller Personen und verurteilt deshalb jedes gegenteilige Verhalten aufs Schärfste», teilte der Weltverband am Donnerstag mit. Bis zur «endgültigen Entscheidung» würden keine weiteren Auskünfte erteilt.
Der Verband RFEF bestätigte ebenfalls, eine Untersuchung des Vorfalls eingeleitet zu haben. «Natürlich warten wir darauf, dass etwas passiert. Wenn das nicht der Fall ist, wird die Regierung handeln», sagte Präsidentschaftsminister Félix Bolaños vor der ausserordentlichen Generalversammlung des spanischen Verbandes RFEF an diesem Freitag in Madrid, bei der es bis zuletzt als sicher galt, dass die Regionalfürsten Rubiales stützen werden. Denn die Zuwendungen für die Regionalverbände haben sich seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2017 multipliziert.
Die Positionierung von Hermoso könnte die Lage noch ändern. Schliesslich steht ausserdem der Vorwurf im Raum, dass eine angebliche Stellungnahme von Hermoso, die unmittelbar nach Ausbruch der Affäre vom Verband an die Medien verschickt worden war und den Vorfall herunterspielte, nicht mit ihr abgesprochen war. Zudem soll sie gedrängt worden sein, in dem Video aufzutreten, in dem Rubiales halbherzig um Entschuldigung bat. Dies lehnte Hermoso ab.
Vier Anzeigen gegen Rubiales
Ärger droht Rubiales auch auf sportrechtlicher Ebene. Der Chef der obersten spanischen Sportbehörde, Víctor Francos, bestätigte, dass vier Anzeigen gegen Rubiales eingegangen seien – unter anderem von der stellvertretenden Ministerpräsidentin Yolanda Díaz. Ihr Ziel: der Entzug der Befähigung, einen nationalen Sportverband zu führen. Diese Entscheidung kann das oberste spanische Sportgericht TAD treffen – auf Antrag der Regierungsbehörde CSD. Rubiales selbst lehnt einen Rücktritt ab. Sein Jahressalär als RFEF-Präsident beläuft sich auf 675’000 Euro.
Im Lichte der Vorwürfe – sowie seinem wilden Griff an sein Geschlechtsteil auf der Ehrentribüne – erhielten alte Sexismus-Vorwürfe gegen Rubiales neue Aktualität. So meldete sich Tamara Ramos, die frühere Marketing-Leiterin der Spielergewerkschaft AFE zu Wort, die Rubiales leitete, ehe er 2018 an die Spitze des Fussballverbandes rückte.
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Der Vorfall überrasche sie nicht, er passe zu ihren Erlebnissen mit Rubiales, so Ramos. Zu den «sendefähigen» Kommentaren, die sie ertragen habe müssen, habe Rubiales' Bemerkung gezählt, dass sie «hergekommen sei, um sich Knieschoner überzuziehen» – und Fragen nach der Farbe ihrer Unterwäsche. Ramos hatte die AFE nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Mobbings verklagt.
«Ich muss mich entschuldigen, es bleibt mir ja nichts anderes übrig, oder?»
Zuvor war Rubiales in der Heimat auch politisch immer stärker unter Druck geraten. Nach einer Visite beim Staatsoberhaupt König Felipe sagte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez am Dienstag, die späte Bitte um Entschuldigung durch Rubiales sei «nicht ausreichend» und «nicht adäquat» gewesen. Rubiales hatte sich am Montag auf der Rückreise aus Australien per Videobotschaft zu Wort gemeldet: «Ich muss mich entschuldigen, es bleibt mir ja nichts anderes übrig, oder?», hatte er bei einer Zwischenlandung in Doha in eine Kamera gesagt.
Das Online-Portal «Relevo»hatte berichtet, dass der Rückflug der spanischen WM-Delegation extrem spannungsgeladen gewesen sei. Vor allem aber, dass sich Hermoso geweigert habe, einer Bitte von Rubiales nachzukommen: sich auf dem «Entschuldigungsvideo» an der Seite des Präsidenten zu zeigen.
Den Angaben des Blattes zufolge sei der ebenfalls umstrittene Weltmeistertrainer Jorge Vilda auf dem Flug nach Doha drei Mal an den Sitz von Hermoso gegangen, um sie zu beknien, die Rechtfertigungsversuche des Verbandschefs zu flankieren. Ohne Erfolg. Vilda, gegen den vor Monaten gut ein Dutzend Spielerinnen rebelliert hatten und der während des Finals mit einem Griff an die Brust einer Co-Trainerin selbst für einen Eklat sorgte, soll auch bei der Spielführerin Ivana Andrés interveniert haben.
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Nachdem sich zuerst ein Video des Kuss-Eklats in den sozialen Netzwerken verbreitet und nahelegt hatte, dass Hermoso über den Zwischenfall alles andere als erbaut war, versandte der Pressestab des spanischen Verbandes RFEF eine angebliche Stellungnahme von Hermoso an die Nachrichtenagenturen. Darin wurde sie mit den Worten zitiert, dass es eine «auf Gegenseitigkeit beruhende» Geste der Zuneigung unter Freunden gewesen sei, die dem Überschwang geschuldet gewesen sei. Nahezu zeitgleich meldete sich der völlig siegestrunkene Rubiales in diversen Radiointerviews zu Wort. Und erklärte, dass er nicht willens sei, vor «den Idioten und Dummköpfen» zu Kreuze zu kriechen, die ihn eines sexuell konnotierten Übergriffs beschuldigten.
Die Schelte des Ministerpräsidenten
Danach bekam er die Rückmeldung des sozialistischen Ministerpräsidenten Sánchez: «Das war eine vollkommen inakzeptable Geste.» Sánchez rief Rubiales dazu auf, «weitere Schritte zu tun, um aufzuklären, was wir in den Medien gesehen haben». Die amtierende Vizeministerpräsidentin Yolanda Díaz von der Linkspartei Sumar forderte offen den Rücktritt von Rubiales – einem Mann, «der eine Frau angegriffen und erniedrigt hat».
Diese Worte hallten auch noch nach, als Sánchez die Weltmeisterinnen am Dienstag an seinem Amtssitz empfing, dem Regierungspalast Moncloa. Während er die Spielerinnen herzlich begrüsste und – nach der Sitte des Landes – auf die Wange küsste, fiel der Handschlag mit Rubiales eisig aus. Stunden später, nach dem Besuch beim König, wurde Sánchez deutlich: «Die Spielerinnen haben alles getan, um zu siegen. Aber es hat auch Verhaltensweisen gegeben, wie jene des Herrn Rubiales, die darlegen, dass es in unserem Land in Sachen Gleichheit und Respekt zwischen Männern und Frauen noch einen langen Weg zurückzulegen gilt.»
Auch die konservative Opposition forderte Konsequenzen. Die Fraktionschefin der Partido Popular, Cuca Gamarra, erinnerte Rubiales daran, dass alle Personen, die eine Institution vertreten, verpflichtet seien, «beispielhaft zu sein». Dazu zähle auch der Respekt vor Frauen. «Was wir im Final gesehen haben, war beschämend – mindestens.»
Rubiales ist ein affärengestählter Verbandschef. Vor geraumer Zeit geriet er in die Schlagzeilen, weil er eine Feier abrechnete, auf der auch die Dienste von sogenannten Escort-Damen auftauchten. Rufen nach einer Ablösung von Rubiales erteilte Sánchez eine Absage. Dies liege nicht in der Hand der Regierung. Allerdings hat Spaniens Oberster Sportrat CSD, der Teil der Regierung ist, in der Vergangenheit Verbandschefs abgesetzt – darunter den Rubiales-Vorgänger Ángel María Villar im Jahr 2017.
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