Schlüsselprozess im SportSind die Russen tatsächlich die Bösen?
Diese Woche wird der wichtigste Rechtsstreit im Sport seit Jahren verhandelt: Kann Russland wegen Dopens für vier Jahre verbannt werden? Drängende Fragen und Antworten.
![Da war die russische Sportwelt noch in Ordnung: Alexander Legkow jubelt bei der Medaillenfeier nach seinem Langlauf-Sieg über 50 km – Teamkollegen Wilegschanin (links) und Tschernussow holen sich an den Spielen von 2014 Silber und Bronze.](https://cdn.unitycms.io/images/F8DqC5Smair9XS3WbZEk0C.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=hp1cEWXt6Sk)
Um was geht es?
Ab Herbst 2014 wurde klar, dass Russland rund um die eigenen Olympischen Winterspiele von 2014 in Sotschi systematisch betrog. Eine von der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada eingesetzte Kommission unter dem kanadischen Rechtsprofessor Richard McLaren überprüfte die Medien-Vorwürfe und bestätigte sie in zwei Berichten von 2016 detailliert.
Was war die Folge?
Die Wada suspendierte die russische Anti-Doping-Agentur (Rusada) und knüpfte die Aufhebung an zahlreiche Vorgaben. Diese erfüllte die Rusada in zentralen Punkten nicht, als Folge verhängte die Wada im Dezember 2019 verschiedene Sanktionen. Die wichtigsten:
• Russische Athleten dürfen die nächsten vier Jahre nicht unter eigener Fahne an Grossanlässen teilnehmen. Sie müssen als Neutrale starten, sofern sie ihre Unschuld belegen können.
• Gleiches gilt für Trainer und Betreuer. Als Grossanlässe gelten: die Sommerspiele 2021, die Winterspiele 2022 sowie globale Titelkämpfe von Sportarten, die sich dem Wada-Code verpflichtet haben. Ausgenommen sind kontinentale Meisterschaften wie die Fussball-EM.
• Russland darf keine Grossveranstaltungen ausrichten oder sich dafür bewerben. Das Land darf sich nicht für die Spiele und die Paralympics 2032 als Ausrichter bewerben.
• Russische Regierungsvertreter dürfen in dieser Zeit nicht an Sitzungen von Vorständen oder Ausschüssen internationaler Sportorganisationen dabei sein oder in diese Gremien gewählt werden. Sie dürfen nicht an Olympische Spiele, Paralympics sowie andere Grossevents reisen.
Auf welchen Informationen basiert der Sanktionsentscheid?
Zu den wertvollsten zählt eine Kopie aller vom Anti-Doping-Labor in Moskau gesammelten Informationen der Jahre 2011 bis 2015. Vor rund drei Jahren spielte ein Whistleblower der Wada die Daten zu. Die Wada aber wollte das Original, es ist bei Rechtsfällen entscheidend. Die Russen willigten ein, diese Datenbank auszuhändigen, manipulierten sie aber gar noch, als ein Spezialteam der Wada im Januar 2019 in Moskau die Daten absaugte.
Warum manipulierten die Russen diese Datenbank?
Sie versuchten 20’000 Dokumente, die mindestens 298 auffällige Athletenproben belegten und in der Datenbank des Moskauer Labors registriert waren, zu löschen – oder zumindest so zu verändern, dass aus den auffälligen Proben unauffällige wurden. 145 Fälle konnten die Wada-Ermittler sowie zugezogene Forensik-Experten zweifelsfrei Athleten zuweisen. Von diesen 145 Athleten sind gemäss Wada noch circa 30 Prozent aktiv.
Die verdächtigen Spuren der 153 anderen Russen aber sind durch die Manipulationen zerstört worden. Diese Sportler haben folglich keine Konsequenzen zu befürchten. Zugleich bedeutet das Verwischen der Spuren: Anhand der Datenbank kann generell kein russischer Athlet mehr seine Unschuld beweisen.
Für die Chef-Betrüger ist allerdings wichtiger, dass dank ihrer Eingriffe sehr viele gedopte russische Athleten schlicht nicht überführt werden können. Und diese folglich als neutrale Athleten an Grossanlässen startberechtigt sind – falls sie ihre Sauberkeit durch andere, negative Dopingproben belegen können.
Kommen die Russen mit diesem Kniff vor dem Sportgerichtshof durch?
Es ist die entscheidende Frage. Zumal die russischen Vertreter in diesem Rechtsstreit exakt diese Strategie verfolgen. Sie argumentieren: A) Man kann kein Land abstrafen, wenn einzelne Athleten betrogen haben. B) Sportler dürfen nur bestraft werden, wenn sie zweifelsfrei als Doper überführt sind.
Was hält die Welt-Anti-Doping-Agentur dagegen?
Sie versucht zu zeigen, wie verzahnt der Sport in Russland ist – dazu zählt der Umgang mit den Schlüsseldaten: Die Datenbank war nach dem Auffliegen des Skandals vom russischen Staat weggesperrt worden. Ergo hatten bloss Insider Zugang zu ihr und damit Manipulationsmöglichkeiten.
Dass Russen die Schlüsseldaten abänderten, bestreiten nicht einmal die Russen. Was sie können – und tun: den Fall anders darstellen. Gemäss ihnen handelt es sich nicht um Manipulation, sondern um menschliches Versagen. Die offizielle russische Version lautet: Die Daten seien aus Unachtsamkeit gelöscht worden.
Was müssen die Sportjuroren nun entscheiden?
Ob die Welt-Anti-Doping-Agentur die erwähnten Sanktionen anhand ihres Regelwerks und der Faktenlage sprechen kann. Kassiert der Sportgerichtshof den Wada-Entscheid, käme das Verdikt einem GAU in der Dopingbekämpfung gleich. Man wüsste dann zwar, dass Russland zwischen 2011 und 2015 breit dopte, man das Land als Nation dafür aber nicht belangen kann. Der Prozess begann am Montag und läuft bis Donnerstag. Das Urteil wird eher in Wochen als Tagen erwartet.
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