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Kommunistische Partei Chinas
Siegesfeier nach hundert Jahren Krise

Wall of fame: Mann vor einer Wand mit Bildern des Führers der Chinesischen Kommunistischen Parteoi, Xi Jinping.
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Über Pekings Himmel kreisen bereits die Helikopter. Sie üben ihren Formationsflug, gemeinsam bilden sie die Zahl 100. In den Buchhandlungen stapeln sich die Neuerscheinungen, 22 Filme laufen dieses Jahr in den Kinos an. Sie alle kennen nur eine Thema: Der 100. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei (KP), den Chinas Herrschaftspartei am 1. Juli feiert. Zehntausend Jahre lebe die KP, verkünden rote Banner.

Der Geburtstag ist für das Regime das zentrale politische Ereignis dieses Jahrzehnts. Die Kommunistische Partei Chinas blickt auf ein Jahrhundert existenzieller Krisen zurück. Nach einem unerbittlichen Kampf um die Macht brachte Staatsgründer Mao unbegreifliche Not über die junge Volksrepublik. Millionen Menschen starben während seiner brutalen Kampagnen. Nach Maos Tod schossen seine Nachfolger 1989 auf das eigene Volk.

Weltweit beliebteste App stammt aus China

Dennoch wird die Partei den Jahrestag als eine Siegesfeier inszenieren. Und ganz falsch ist es nicht: Nach jeder Katastrophe hat sie sich wieder aufgerappelt, ihre Feinde ausgeschaltet und jede Kritik überdauert. Nun sieht sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht.

Sie hat nicht nur widerlegt, dass ein autoritäres Regime zwangsläufig wirtschaftlich weniger erfolgreich sein muss als freie Gesellschaften. (Mehr dazu: Wir oder die Welt – China zwingt ausländische Firmen, sich zu entscheiden). Das Land ist zu einem globalen Führer in Zukunftstechnologien aufgestiegen. Die weltweit beliebteste App im Jahr 2020 – das Videoportal Tiktok – stammt aus China. Vor ein paar Tagen haben Astronauten die erste chinesische Raumstation bezogen. Chinas Flagge weht jetzt dauerhaft im All.

Und die Unterstützung der Bevölkerung? Nicht jeder mag Parteipatriot sein. Dennoch war der Zuspruch wohl seit Jahrzehnten nicht so gross. Kunstvoll hat die KP den Nationalismus in den letzten Jahren angeheizt. Die Erzählung ist so einfach wie bekannt: Wir sind jetzt wieder wer. Und die da draussen, die gönnen uns den Erfolg nicht. Wir – das ist das chinesische Volk. Die da draussen, das sind die westlichen Mächte unter Führung der USA.

In den Köpfen vieler Chinesen hat sich inzwischen eine der wichtigsten Propaganda-Botschaften der KP fest verankert: Demnach ist dem Land nicht trotz der autokratischen Alleinherrschaft sein Aufstieg zu einer globalen Wirtschaftsmacht gelungen, sondern allein wegen dieser. In ihren Augen ist die KP auf dem Weg, eine chinesische Hoffnung zu erfüllen, die viel älter ist als die kommunistische Idee: Nach dem so genannten »Jahrhundert der Demütigung» durch ausländische Mächte ist China wieder reich, mächtig und respektiert in der Welt.

Peking wirkt zuweilen regelrecht besoffen von seinem Erfolg, entsprechend überheblich ist der Ton.

Bald soll die aus chinesischer Sicht historische Anomalie korrigiert sein, in der das Land nicht das stärkste der Erde ist. Und die Welt nicht allein nach seinen Regeln spielt. Immer wieder verweisen die Staatshistoriker darauf, dass dies einst anders gewesen sei. Die KP weiss gleichzeitig den Stolz vieler Menschen für sich zu nutzen, den diese – gänzlich unabhängig von Nationalismus und Geschichtsklitterung – zu recht für ihr Geleistetes empfinden.

Es sind Erfolge wie die Landung auf dem Mond, die Chinas Parteiführung heute davon überzeugen, dass ihr Regierungsmodell des Parteienstaates den liberalen Demokratien überlegen ist. Peking wirkt zuweilen regelrecht besoffen von seinem Erfolg, entsprechend überheblich ist der Ton.

Verstärkt wird diese Haltung durch globale Entwicklungen, die Chinas Führung im Rest der Welt zu beobachten meint. Angefangen mit der Finanzkrise ab 2007 bis zum katastrophalen Management der Covid-19-Krise in vielen Demokratien. Peking ist sich sicher, dass der Niedergang des Westens nur noch eine Frage der Zeit ist. «Niemand kann uns (mehr) schlagen, niemand kann uns zerstören», protzt Parteichef Xi Jinping.

Allein als politische Organisation ist die KP ein einzigartiges Konstrukt. Sie ist mit 92 Millionen Mitgliedern die grösste Partei der Welt. Gleichzeitig regiert sie zum größten Teil aus dem Verborgenen. In Peking mag neben dem US-Präsidenten der mächtigste Mann der Erde regieren. Wie seine Regierung aber funktioniert und welche politischen Figuren abseits von Xi über den Kurs des Landes entscheiden, dazu ist kaum etwas bekannt.

China mag es gross: Denkmal in Form der Flagge der Kommunistischen Partei in Peking.

Auch wenn das kommunistische Regime die Planwirtschaft vor langer Zeit aufgegeben hat und die Diskrepanz zwischen offizieller Ideologie («Nur Sozialismus kann China retten!») und, nun ja, der Realität des chinesischen Turbokapitalismus häufig kaum grösser sein könnte. Der marxistische Theoretiker Wladimir Iljitsch Lenin dürfte wichtige Teile seiner Ideen in dem Regierungsmodell wiederfinden, das Peking bis heute verfolgt.

Im Kern geht es um die drei Säulen der Herrschaftsstruktur, wie Chinakenner Richard McGregor in seinem Buch «Der rote Apparat» schreibt. Die Partei beruft sämtliche politische Schlüsselpositionen im Land, kontrolliert die Medien (sowie das Internet) und hat die alleinige Gewalt über die Volksbefreiungsarmee (die in China der Partei untersteht). Das Netz aus Geheimpolizei und innerer Sicherheit erstreckt sich von Chinas Grossmetropolen bis in das kleinste Dorf. Jegliche Organisation ausserhalb der Partei ist verboten, die Macht liegt allein in ihren Händen.

Dabei ist ihr Netzwerk so eng mit jedem Aspekt des chinesischen Lebens verflochten, sie besitzt so viel Erfahrung und Einfluss, dass ein Regieren ohne sie nicht mehr möglich erscheint. Ihre Herrschaft hat etwas «natürliches, nicht hinterfragbares und zwangsläufiges», wie der Sinologe Frank Pieke schreibt. Vergleichbar mit der Demokratie in der Schweiz. An dieser übten viele Kritik, eine Alternative sei aber kaum vorstellbar. In der Corona-Krise zeigte sich die Stärke dieses Netzwerks besonders deutlich. Millionen Blockwarte der in China immer noch üblichen Nachbarschaftskomitees setzten damals die Anweisungen der Partei im ganzen Land durch, im Zweifel mit gröbster Gewalt.

Richard McGregor spricht von einem Zirkelschluss. Die Kommunistische Partei, so zitiert er einen bekannten Professor aus Shanghai, habe folgende Einstellung: «Ich kann es und du kannst es nicht. Und weil du es nicht kannst, werde ich es tun.» Aus Sicht Pekings kann es keine Alternative zu seiner Herrschaft geben, weil es keine andere zulässt. Die zentrale Rechtfertigung für ihre Alleinherrschaft ist dementsprechend das Versprechen von Stabilität.

Während Peking sich am 1. Juli triumphierend geben wird, arbeitet die Partei längst daran, sich auf die nächsten 100 Jahre vorzubereiten. Bis heute ist die Angst vor einem Machtverlust, wie ihn einst die Sowjetunion erlebte, der wichtigste Treiber für die Führungsspitze. Diese Furcht spiegelt sich besonders stark im Kurswechsel wider, den Parteichef Xi Jinping mit seinem Amtsantritt 2012 einleitete. Die Jahre davor waren von vergleichsweise großer Freiheit geprägt. Mit dem Internet entstand neuer Raum für Debatten. Die chinesische Mittelschicht wurde selbstbewusster und entwickelte ein zunehmendes Bedürfnis, die Gesellschaft mitzugestalten. Eine gefährliche Atmosphäre für die Partei, die um ihre Kontrolle fürchtete. Xi drehte viele Reformen zurück, hierarchisierte Entscheidungsprozesse wieder stärker, hob die Trennung zwischen Staat und Partei auf, zentralisierte immer mehr Macht auf sich. Chinaexperte David Shambaugh schreibt, die Partei habe sich unter Chinas neuem starken Mann zu einer «Robotermaschine» gewandelt. Nun sei sie fast wie das Militär organisiert mit strikter Disziplin und nach dem Prinzip des Durchregierens von oben nach unten. Es ist ein wohl überlegter, langfristiger Versuch, den Parteienstaat als Regierungssystem zu festigen. Ziel ist ein resilienter und lernfähiger Staat.

Dass Peking das gelungen sein könnte, verdeutlichte die wohl größte Kraftprobe der jüngeren Parteigeschichte: der Ausbruch des Coronavirus. Als im Frühjahr 2020 Millionen Menschen gegen die Vertuschung der Regierung protestierten, sahen Beobachter eine Art Tschernobyl-Moment gekommen. Ein Schock, von dem sich die Partei nicht mehr erholen könnte. Heute ist jegliche Erinnerung an die Proteste gelöscht. Die Corona-Maßnahmen inszeniert die KP als Beleg für die Überlegenheit ihres Systems. Die Partei hat eine weitere Katastrophe überlebt.