TV-Kritik «Tatort»Sie tat alles, um Geflüchteten zu helfen
In Göttingen geht ein Vergewaltiger um – aber ist er auch der Mörder einer aktivistischen Studentin? Lindholm und Schmitz recherchieren im «Tatort» gegeneinander an.
Alles echt im neuen «Tatort» aus Göttingen. Oder jedenfalls alles, was die Sache so akut macht. Wie ermitteln, wenn Geflüchtete als Verdächtige in den Fokus geraten? Wie darüber reden, ohne in die Rassismusfalle zu tappen? Wie ohne Pauschalisierungen die Frauenfeindlichkeit aufs Tapet bringen? Und was läuft schief bei der Integration?
Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten – und Drehbuchautor Daniel Nocke stützt sich in «Die Rache an der Welt» auf die hitzigen Debatten rund um die brutale Vergewaltigung und Ermordung einer 19-jährigen Medizinstudentin in Freiburg i. Br. 2016: ein Fall, der international Aufmerksamkeit erregte. Als Täter entpuppte sich ein afghanischer Flüchtling, der sich als unbegleiteter Minderjähriger ausgegeben hatte. In Nockes Drehbuch wird gleichfalls eine Studentin missbraucht und ermordet. Sie hatte sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, hatte für ihre Schützlinge gar einen Rekordversuch im Dauerfussball organisiert, der bei ihrem Tod noch läuft.
War es einer dieser jungen Männer, der Miras gutherzige Art womöglich missverstanden hat und ein «Nein» nicht akzeptieren konnte? Oder wars der deutsche Triebtäter, der zur gleichen Zeit junge Frauen in Göttingen mit seinen Übergriffen terrorisiert, bis anhin aber nicht getötet hat?
Die deutschen Figuren erweisen sich als Gefangene mal ihrer Vorurteile, mal ihrer Schuldgefühle.
Die biodeutsche Lindholm – Maria Furtwängler hat ihr 20-Jahr-«Tatort»-Jubiläum – und ihre schwarze Kollegin Schmitz (Florence Kasumba) recherchieren hier zeitweilig gegeneinander an; Lindholm beauftragt gar, und ausgerechnet via Schmitz’ Ehemann, ein niederländisches Institut mit der in Deutschland verbotenen Herkunftsanalyse der Täter-DNA.
Fussballrekord und Verbrechensermittlung, das alles braucht Zeit, und Carsten Meyer lässt im Soundtrack vernehmlich die Uhr ticken. Klar, dass es im Finale noch zu einer Rettung in allerallerletzter Minute kommt. Aber das eigentlich Interessante in der von Regisseur Stefan Krohmer eher schlicht und ein wenig langsam gefilmten Story – Krohmer und Nocke sind ein eingespieltes Duo – ist weniger das Whodunit als das Werdarfsgewesensein.
Diesbezüglich hat auch die bemerkenswerte Mala Emde als Jelena, Mitbewohnerin des Mordopfers, starke Sprüche drauf. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um den Sexismus mancher Geflüchteter, aber auch ums Machotum gewisser Einheimischer geht. Immerhin, Jelena differenziert – so, wie es der ganze Film tun will, wenn er verschiedenste Stereotype anhand seines Personals sowohl illustriert wie dekonstruiert, teils grossartig und vielschichtig, teils ein klitzekleines bisschen plump.
Die deutschen Figuren erweisen sich dabei als Gefangene mal ihrer Vorurteile, mal ihrer Schuldgefühle. Und wenn Jelena der Lindholm entgegenwirft «Ich schlaf’ mit ’nem ganzen Asylantenheim, wenn ich unrecht habe», ist das witzig und schrecklich zugleich.
Die blonde Ermittlerin hat ihrerseits Mühe, von ihren diversen Verdächtigen respektiert zu werden. Kurz: Ein Wohlfühl-«Tatort» war das nicht, einer mit diskursivem Mehrwert aber sehr.
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