Abgang von Andy Kistler Sie nannten ihn «Mister Hakle»
Der Equipenchef der Schweizer Springreiter verabschiedet sich mit grossartiger Bilanz, aber ohne Brimborium. Einmal war er heuer sogar etwas neidisch – wegen Toilettenpapier.
Als die Gier nach Toilettenpapier unser Land anfangs der Covid-19-Krise beherrschte, nahm er das aus der Distanz interessiert wahr. Andy Kistler wurde lange «Mister Hakle» genannt, schliesslich arbeitete er über drei Jahrzehnte in der Hygienepapierindustrie. Nun also dieser Run auf sein einstiges Produkt. «Es gibt psychologische Gründe, dass die Bevölkerung in Krisenzeiten Toilettenpapier hamstert», sagt er, «aber so krass habe ich das noch nie erlebt.» Mit einem Schmunzeln sagt er auch, er sei etwas neidisch gewesen: «Das ist der Traum für jeden Geschäftsmann.»
Zu jenem Zeitpunkt musste er sich auch mehr und mehr damit auseinandersetzen, dass wegen Covid-19 sein letztes Jahr als Equipenchef komplett ausfallen würde. Geplant gewesen war ein Schlussfeuerwerk, beginnend mit dem Weltcup-Final. Gleich vier Schweizer – Steve Guerdat, Martin Fuchs, Pius Schwizer und Newcomer Bryan Balsiger hatten sich für Las Vegas qualifiziert, die Siegeschancen wären respektabel gewesen. Dann der würdige Abschied von jenen Orten, wo der Springsport gelebt wird wie im schwedischen Falsterbo, La Baule, Aachen und Dublin und als krönender Abschluss die Olympischen Spiele in Tokio, in einem Land, in dem Kistler noch nie gewesen ist.
Es ist ein grosses Geschenk für den Reitsport und den Schweizer Sport allgemein, dass wir zwei solche Athleten wie Steve Guerdat und Martin Fuchs haben.
Vor seinem letzten offiziellen Arbeitstag am Montag und der Stabübergabe an Michel Sorg seien die Emotionen da, räumt Kistler ein: «In den letzten Tagen wurde ich schon etwas sentimental.» Verständlich, er war sieben Jahre Equipenchef, davor drei Jahre Assistent. Viele Erfolge fielen in diese Zeit, etwa: die ersten WM-Einzelmedaillen von Schweizer Reitern, durch Fuchs und Guerdat an der WM 2018 in Tryon, die drei Weltcupfinal-Siege Guerdats, das EM-Gold von Fuchs in Rotterdam, Balsigers Premierentriumph in Oslo. Zudem hat Kistler es geschafft, dass aus einer Gruppe von Einzelkämpfern ein echtes Team gewachsen ist. «Insgesamt hatte ich eine grossartige Zeit», fasst er zusammen.
Eng zusammen hängt dies mit der Tatsache, dass er die Nummern 1 und 2 der Welt in der Equipe hat. Zwei befreundete Athleten, die der Königsdisziplin hohe Bedeutung beimessen, dem Nationenpreis. Kistler weiss um dieses Privileg. «Es ist ein grosses Geschenk für den Reitsport und den Schweizer Sport allgemein, dass wir zwei solche Athleten wie Steve Guerdat und Martin Fuchs haben.»
Die perfekte Kombination
Der Schwyzer aus Reichenburg war durch seine Zwillingstöchter, die beide in Nachwuchsnationalkadern waren, zum Reiten gekommen. Kistler stammt aus einer Radfahrerfamilie, seine Passion galt aber primär dem Langstreckenlauf. Dass er ein Quereinsteiger ist und keiner der vielen Interessengruppen angehört, sei ein Vorteil: «Ich konnte unbefangen an die Aufgabe herangehen.» Diese war nicht immer einfach, ein Equipenchef muss auch unbequeme Entscheide treffen und diese dann überbringen. Er habe immer zuerst die schlechten und dann die guten kommuniziert, sagt Kistler.
In seiner Arbeit wurde er von Thomas Fuchs unterstützt, dem vielleicht besten Trainer der Welt. Für Kistler war diese Konstellation das Geheimnis des Erfolgs: «Wir harmonieren sehr gut und sind auch Freunde geworden.» Vor allem Freundschaften werden ihm in Erinnerung bleiben, wie diese mit Fuchs, «und viele Gespräche, die weit über das Reiten hinausgehen.»
An der Schweizer Meisterschaft in Humlikon wird Kistler in den kommenden Tagen verabschiedet, ansonsten ist kein Abschiedsfest geplant. Der 65-Jährige geht ja auch nicht in Rente. Im kommenden Januar ist er erstmals Turnierpräsident des CSI Basel. Falls Covid-19 es zulässt.
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