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Schweizer Informatik­branche
Sie haben eine Lösung für den Fachkräftemangel

Ein Ökonom und ein Flüchtling gründen ein Start-up: Christian Hirsig (links) und Hussam Allaham im «Impact Hub» in Bern.
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Bevor sich ihre Wege kreuzten, konnten die Lebensläufe von Hussam Allaham und Christian Hirsig unterschiedlicher kaum sein. Allaham war ein Flüchtling aus Syrien, Hirsig ein Unternehmer aus Bern. Ihre Unterschiedlichkeit nutzten sie, um voneinander zu lernen und daraus etwas Neues zu erschaffen. Das war im Jahr 2021. Die beiden steckten die Köpfe zusammen und gründeten das Start-up Remotecoders.

Das Prinzip ist einfach: Es geht darum, Nachfrage und Angebot zusammenzubringen. Oder anders gesagt, in den Worten von Allaham: «In Ägypten finden die talentiertesten Programmierer und Software-Entwicklerinnen keinen Job, während die Schweizer Informatikbranche unter einem Fachkräftemangel ächzt.»

In der hiesigen ICT-Branche (Informations- und Kommunikationstechnologie) werden bis 2030 mehr als 40’000 Stellen unbesetzt bleiben, so die Schätzung des Verbands ICT-Berufsbildung Schweiz. Zwar studieren immer mehr junge Menschen Informatik, der Bedarf steigt aber noch schneller aufgrund von Wirtschafts­wachstum und Digitalisierung. Der einheimische Nachwuchs reicht nirgends hin. 

Diese Entwicklung haben Allaham und Hirsig bei ihrer Firmengründung vor zwei Jahren antizipiert. Heute zählen neun Schweizer Unternehmen zu ihrer Kundschaft, wie zum Beispiel WWF oder Brack.ch. Die Firmen zeigen sich zufrieden: «Unsere Betreuung in Ägypten ist kompetent und die Einarbeitung ging schnell voran», sagt Daniel Rei von Brack.ch. Mittlerweile seien die ersten kleineren Aufträge erfolgreich ausgeführt worden. Und bei WWF Schweiz heisst es: «An der Zusammenarbeit schätzen wir unter anderem die hohe Motivation und Lernbereitschaft der Personen.»

Mehr als nur ein Job

Das Start-up Remotecoders ist nicht gewinnorientiert und zählt mittlerweile 35 ICT-Spezialisten in Ägypten, davon 9 Frauen. Jeder Kunde wird von einem Teamleiter betreut, der zwei bis drei Praktikanten führt. Die angebotenen Dienstleistungen erstrecken sich von Data Science über Frontend- und Backend-Entwicklung bis hin zu umfassendem Testing.

Zur Hälfte wird das Unternehmen von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit getragen. Die Finanzierung läuft von 2021 bis 2024 und umfasst 1,2 Millionen Franken. «Danach müssen wir auf eigenen Beinen stehen», sagt Christian Hirsig.

«Die Ausbildung und die Arbeitsqualität unserer Mitarbeitenden in Ägypten stehen dem Schweizer Niveau in nichts nach.»

Hussam Allaham, Mitgründer Remotecoders

Sorgen macht er sich keine, denn er kennt sich aus. Bereits 2007 gründete er ein Start-up und verkaufte es 2013. Danach machte der studierte Betriebswirt eine Auszeit, schrieb ein Kochbuch und braute Bier, bevor er sich wieder ins Unternehmertum stürzte. Er weiss, wie die hiesige Branche funktioniert und wie man eine Firma zum Fliegen bringt. Nebst Remotecoders gründete er 2016 Powercoders, ebenfalls ein ICT-Unternehmen. So lernte er Hussam Allaham kennen. «Wir wurden zuerst Freunde und erst später Geschäftspartner», so Hirsig.

Die beiden ergänzen sich in ihrer Eigenständigkeit. Im Gegensatz zu Hirsig, der im unternehmerischen und wirtschaftlichen Bereich spezialisiert ist, kennt Allaham die Situation im Nahen Osten, die Jugend­arbeitslosigkeit, und gleichzeitig weiss er um das grosse Know-how in der Informatikbranche. «Die Ausbildung und die Arbeitsqualität unserer Mitarbeitenden in Ägypten stehen dem Schweizer Niveau in nichts nach», sagt er. Im Gegenteil: Sie seien immer wieder überrascht, wie motiviert und fleissig ihre Remotecoders auf dem anderen Kontinent seien. «Für sie ist der Job mehr als nur Arbeit, sie stecken Herzblut rein und wollen die Besten sein.»

Hier unbesetzte Stellen, dort grosse Talente

Hussam Allaham hat eine bewegte Geschichte. 2011 schloss er seinen Master in englischer Literatur an der Universität Damaskus ab. Er war neu verheiratet und frischgebackener Vater, als der Krieg ausbrach. Mit seiner kleinen Familie floh er in den Libanon. «Wir dachten, in ein paar Wochen wäre alles vorbei und wir kehren nach Syrien zurück.»

Doch aus Wochen wurden Monate, und dann waren es fast vier Jahre. Allaham hatte sich für diverse Resettlement-Programme beworben und wurde immer verzweifelter. Bis er eines Tages den Entschluss fasste, mit seiner Familie in den Sudan zu fliehen und von dort regulär nach Ägypten zu migrieren.

Alles war parat für die gefährliche Reise mit den zwei kleinen Töchtern. Als plötzlich ein Anruf aus der Schweizer Botschaft kam: Er war ausgewählt worden, im Zuge eines Resettlement-Programms in die Schweiz zu kommen. Im Oktober 2015 landete die Familie Allaham am Flughafen Zürich. Sie waren 4 von 502 Personen, die zwischen November 2013 und Dezember 2015 in die Schweiz einreisen konnten.

«Beide Seiten haben jeweils das, was die andere sucht.»

Hussam Allaham, Mitgründer Remotecoders

«Ich hatte Glück, denn ich habe mit eigenen Augen gesehen, welch grosse Talente da draussen sind, die keine Chance erhalten», sagt Allaham. Dabei werden sie hierzulande händeringend gesucht. «Beide Seiten haben jeweils das, was die andere sucht – sie müssen einander nur finden.» Er erzählt von einem jungen Mann, der in Ägypten auf dem Absprung war, illegal nach Europa zu reisen. «Durch unsere Arbeitsvermittlung konnten wir ihn davon abhalten, die gefährliche Flucht anzutreten.» Allaham selbst weiss am besten, dass die Menschen am liebsten in ihrer Heimat bleiben wollen, wenn sie nicht vertrieben werden – sei es durch Krieg, Armut oder Perspektivlosigkeit.

Allaham weiss durch seine Geschichte, dass Pläne ordentlich durcheinandergeraten können. Trotzdem hat er einen Plan: Er möchte eines Tages nach Syrien zurückkehren und beim Wiederaufbau des Landes helfen. Von dort würde er remote für sein Schweizer Unternehmen arbeiten.