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Abrechnung von Dominic Cummings
«Johnson wollte sich das Virus live im TV injizieren lassen»

Der Ex-Berater des britischen Premierministers Johnson, Dominic Cummings, gab in der 10 Downing Street eine Erklärung ab. (26. Mai 2021)
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Der britische Premierminister Boris Johnson hat nach Aussagen seines ehemaligen Beraters Dominic Cummings, der als «graue Eminenz» der Downing Street galt, das Coronavirus zu Beginn der Pandemie völlig unterschätzt. Cummings wurde am Mittwochmorgen von zwei Parlamentsausschüssen zur Krisenpolitik der Regierung zu Beginn der Corona-Pandemie befragt.

Der Regierungschef habe sich mit Corona infizieren lassen wollen, um zu zeigen, dass das Virus nicht gefährlich sei, sagte Cummings am Mittwoch vor Parlamentsabgeordneten in London. Johnson infizierte sich später tatsächlich mit dem Virus und musste tagelang auf einer Intensivstation behandelt werden.

Cummings sagte aus: «Im Februar (2020) dachte Boris Johnson, es sei nur eine Gruselgeschichte. Er dachte, das sei die neue Schweinegrippe.» Weiter behauptete er, Johnson habe gesagt: «Ich werde (den medizinischen Chefberater) Chris Whitty dazu bringen, mir das Coronavirus live im Fernsehen zu injizieren, damit jeder merkt, dass es nichts ist, vor dem er Angst haben muss.»

Der 49-Jährige galt lange als einflussreichster Berater Johnsons. Er verliess die Regierung im November im Streit. Regierungsmitglieder werfen ihm vor, nun einen Rachefeldzug zu führen.

Beobachter: Ohne Cummings kaum eine Entscheidung von Tragweite

In zahlreichen Twitter-Nachrichten legt Cummings seit gut einer Woche Rechenschaft ab über seine damaligen Handlungen und wirft der Regierung Untätigkeit vor. Zuletzt hatte er sich wiederholt kritisch über den Umgang von Johnsons Kabinett mit der Pandemie geäussert. Allerdings weisen politische Beobachter in London darauf hin, dass ohne Cummings kaum eine Entscheidung von Tragweite getroffen wurde. Auch deshalb wirkt es wie ein Rachefeldzug: Denn Cummings hatte seinen Berater-Posten im vergangenen November im Streit verlassen (lesen Sie dazu: Weshalb Cummings gehen musste – Chefberater nannte Johnsons Partnerin «durchgedrehte Prinzessin»).

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Um Cummings kümmern sich die Unterhaus-Ausschüsse für Gesundheit und Wissenschaft. Erwartet wird, dass sich die Befragung letztlich auf vier Kernbereiche konzentriert: die Vorbereitung der Regierung sowie der erste Lockdown, das als ineffektiv kritisierte milliardenschwere Test- und Nachverfolgungsprogramm, die Impfkampagne und der zweite Lockdown im Herbst.

Skandalträchtige Johnson-Aussagen

Mit Spannung wurde zudem erwartet, ob Cummings aus dem Nähkästchen plaudern wird. So gab es unlängst Berichte über skandalträchtige Johnson-Aussagen. Lieber nehme er in Kauf, dass sich «die Leichen zu Tausenden auftürmen», als einen weiteren Lockdown durchzusetzen, soll der Premier gesagt haben. Auch soll Johnson fünf Corona-Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats (Cobra) zur Pandemie verpasst haben – angeblich, weil er an einer Biografie über den legendären Dichter William Shakespeare arbeitete. Noch offen ist zudem, ob zunächst – entgegen der Bestimmungen – ein Grossspender der Konservativen Partei für die teure Renovierung von Johnsons Amtswohnung aufkam.

Wie der Sender Sky News berichtete, dürfte die Befragung mehrere Stunden dauern – und sich vermutlich mit der sogenannten Prime Minister’s Question Time überschneiden. Dort stellt sich Johnson traditionell regelmässig am Mittwoch (13.00 Uhr MESZ) den Fragen des Parlaments. Es ist davon auszugehen, dass Oppositionsführer Keir Starmer und andere Labour-Abgeordnete die Chance nutzen werden, um Johnson sofort mit Aussagen von Cummings zu konfrontieren.

Ablenkmanöver von Johnson erwartet

Mit mehr als 150’000 Menschen, die an oder mit Covid gestorben sind, ist Grossbritannien eines der von der Pandemie am schwersten betroffenen Länder Europas. Die Regierung steht in der Kritik, besonders mit der Verhängung des ersten Lockdowns zu lange gezögert zu haben.

Cummings zufolge lag das auch an der zunächst verfolgten Strategie, ähnlich wie in Schweden die Ausbreitung des Virus nicht gänzlich zu unterdrücken, sondern auf eine allmählich einsetzende Immunität in der Bevölkerung zu hoffen. Beteuerungen von Regierungsmitgliedern, das sei nicht der Fall gewesen, bezeichnete er als «Bullshit». Arbeitsministerin Thérèse Coffey widersprach ihm erst am Dienstag energisch.

Ansonsten gab sich «Number 10» zu Cummings Vorwürfen zuletzt demonstrativ schweigsam. Die Tweets seien «revisionistisch», hiess es in der «Times», allerdings nur als Zitat einer ungenannten Regierungsquelle. Cummings sei heuchlerisch, stand dort zu lesen. Politische Beobachter schliessen zudem nicht aus, dass Johnson am Mittwoch mit einem Manöver von der Befragung ablenken will. Sogar ein Kabinettsumbau steht im Raum.

Cummings war in weiten Teilen der Bevölkerung regelrecht verhasst. Doch als er Hunderte Kilometer zu seiner Familie nach Durham fuhr und damit offenkundig die Corona-Regeln brach, stellten sich Johnson und weitere Regierungsmitglieder hinter den Berater. Cummings selbst gab im Rosengarten der Downing Street eine skurrile Pressekonferenz und verteidigte sich. Nun, fast auf den Tag genau ein Jahr später, steht er wieder im Rampenlicht.

SDA/step