Serie «Neustart»«Wenn ich meine Träume jetzt nicht umsetze, ist es plötzlich zu spät»
Als Leiterin Recht spielte Cécile Thomi bei der Stiftung für Konsumentenschutz eine tragende Rolle. Jetzt wagt die Juristin einen Neuanfang als selbstständige Ernährungsberaterin.
Der Wunsch nach einer Veränderung war schon lange da, am Ende gibt der Tod ihres Ex-Mannes im April 2022 den Ausschlag. Die Juristin Cécile Thomi kündigt ihre Stelle als Leiterin Recht bei der Schweizerischen Stiftung für Konsumentenschutz per Ende Oktober des gleichen Jahres und beginnt eine einjährige Ausbildung zur Ernährungsberaterin. Gleichzeitig mit der ganz anderen beruflichen Tätigkeit wagt sie den Umstieg von der Angestellten in die Selbstständigkeit, mit der sie ein unternehmerisches Risiko eingeht.
Der Tod des Ex-Mannes hat zwar den Ausschlag gegeben, den lang gehegten Berufswunsch in die Tat umzusetzen. Den Weg dazu geebnet hat jedoch die Geburt ihrer gemeinsamen Tochter vor gut 19 Jahren. Sie kam mit einer körperlichen Beeinträchtigung zur Welt. «Das hat mir neue Sichtweisen eröffnet», sagt Thomi.
Für die Behandlung ihrer Tochter tauscht sich Thomi mit Fachleuten aus, mit denen sie bisher nie in Kontakt gestanden ist. «Wenn eine sehr sozial eingestellte Therapeutin nur das Beste für das eigene Kind will oder wenn eine alternative Behandlung hilft, dann lässt man sich darauf ein», erzählt sie.
Zuerst begann Thomi selbst Joghurt herzustellen. Schrittweise eignet sie sich mehr Wissen an. Zunächst autodidaktisch über Bücher und Informationen aus dem Internet. Dann besucht sie Seminare und probiert Verschiedenes aus, wie beispielsweise eine Darmentschlackungskur.
Was die Krankheit bewirkt hat
Der entscheidende Schritt folgt aber wie erwähnt mit dem Tod ihres Ex-Mannes, der an Krebs gestorben ist. Cécile Thomi ist überzeugt, dass die richtige Ernährung das Immunsystem stärkt und so hilft, selbst schweren Krankheiten vorzubeugen. Insofern hat die schwere Krankheit des früheren Lebenspartners ihrer Motivation für die Ernährung zusätzlichen Schub verliehen. Thomi will das aber nicht so verstanden haben, dass auf diese Weise Krebs geheilt werden könnte, wie das gelegentlich von umstrittenen Quellen ohne medizinisch-wissenschaftliche Grundlage behauptet wird.
Der Todesfall stellt das Leben von Thomi und ihrer Tochter unter anderem organisatorisch auf den Kopf. Immerhin bringt die Witwenrente etwas mehr finanziellen Spielraum. «In diesem Moment wurde mir klar, dass ich meinen Traum vom Berufswechsel jetzt umsetzen muss, weil es sonst dafür plötzlich zu spät ist», sagt die 55-Jährige.
Thomi hat bei der Stiftung für Konsumentenschutz eine spannende Stelle aufgegeben, bei der sie unter anderem mit Parlamentariern und dem Bundesrat zusammenarbeiten konnte. Sie berichtet nur Gutes von dieser Arbeit, bereut den Ausstieg aber nicht. Von ihrem Umfeld hat Thomi bisher nur positive Rückmeldungen erhalten: «Alle finden es cool – vielleicht träumen einige von ihnen auch von einer beruflichen Veränderung.»
Demnächst möchte Cécile Thomi eine einjährige Ausbildung zur Ernährungsberaterin abschliessen. Die Website Thomivital.ch steht, einen Praxisraum hat sie bereits gemietet und mit ersten Personen aus dem erweiterten Bekanntenkreis Beratungsgespräche geführt.
Bei Wildpflanzen gerät sie ins Schwärmen. Auf einem kurzen Spaziergang offeriert Thomi die Samen von Brennnesseln und streicht den hohen Gehalt an Kalzium und Vitamin C dieser Pflanze heraus. «In der Natur gibt es gratis Lebensmittel, die deutlich mehr wichtige Vitamine und Mineralstoffe enthalten als alle im Detailhandel erhältlichen Gemüse», sagt Thomi. Zudem profitiere der Körper beim Einsammeln in der Natur von etwas Bewegung.
Sie räumt allerdings auch ein, dass dies nicht jedermanns Sache sei und einzelne Nachbarinnen und Nachbarn dem Ernten von Lebensmitteln in der Umgebung des Quartiers mit Skepsis begegnen: «Ich hab auch schon das Wort Kräuterhexe gehört – ich kann gut damit leben, aber für manche braucht es dafür vielleicht auch ein bisschen Mut.»
Zu Hause in der Küche stehen Gläser mit Gemüse, das Cécile Thomi in Salzlake ohne Zusatzstoffe fermentiert. Das Salz dient dazu, den Inhalt zu konservieren. Beim Fermentieren geht es ihr insbesondere um die Milchsäurebakterien: «Sie tragen zu einer besseren Verdauung bei.» Das sollte nicht unterschätzt werden, weil der Darm das Zentrum der Immunabwehr sei, meint Thomi.
Ein wesentlicher Teil der Arbeit soll das Coaching sein. Dazu gehört die Unterstützung, eine gute Balance zu finden und bei der täglichen Nahrungsaufnahme den Anteil an Kohlehydraten zu reduzieren. Beim Thema Kohlehydrate wählt Cécile Thomi auch mal Worte, die wie radikale Ernährungsvorschriften wirken: «Der Industriezucker ist weisses Gift, das viele negative Prozesse befeuert», sagt sie.
«Wie wäre es mit einem Red Bull?»
Am Ende des Gesprächs steht Thomi vor dem offenen Kühlschrank und überlegt, welches Getränk sie noch anbieten könnte. Schliesslich fragt sie: «Wie wäre es mit einem Red Bull?» Nach der Warnung vor dem «weissen Gift» und vielerlei Ratschlägen zu einem gesunden Umgang mit Nahrung kommt dieser Vorschlag einigermassen überraschend.
Thomi verfolgt die Ernährungsregeln nicht mit dogmatischem Eifer. Sie trinkt selbst hie und da einen Energydrink, wenn sie trotz Müdigkeit noch arbeiten muss. Weil das nur selten vorkommt, erzielt der Wachmacher in solchen Momenten die gewünschte Wirkung.
«Ich esse gelegentlich auch Pommes Chips, obwohl das zum Schlimmsten zählt, das es gibt.»
In der Küche finden sich weitere zuckerhaltige Getränke, die ihre Tochter schätzt. Und gelegentlich geniesst Thomi eine selbst gemachte Schoggimousse, obwohl die nur «aus Zucker und ungesunden Fettsäuren» besteht. Auch Pommes Chips isst sie gelegentlich, obwohl das ernährungstechnisch «zum Schlimmsten zählt, das es gibt».
Verbissenheit sei nie gut, Essen und Trinken müsse auch Spass machen, meint Thomi. «Aber dummerweise macht Ungesundes mehr Spass.» Eine Umstellung des Ernährungsstils und der damit verbundenen Gewohnheiten trage immerhin dazu bei, den ungesunden Teil zu reduzieren.
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