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Schweizer Secondos
Gökcen, Pecorelli und Yasseri wollen ins Bundeshaus

Ihre Eltern sind eingewandert, nun wollen sie hier die Politik aufmischen: Secondos und Secondas wie Sinem Gökçen (SP), Alessandro Pecorelli (SVP) und Noor Yasseri (FDP) kandidieren für den Nationalrat.
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Müller. Das ist der häufigste Nachname unter den aktuellen Kandidierenden für den Nationalrat. 52 Personen heissen so. Knapp dahinter: 49 Meiers. Das hat das Newsportal «Watson» ausgewertet. Doch auf den Wahllisten stehen auch andere Namen. Namen wie Gökçen, Yasseri oder Pecorelli. 

Secondas und Secondos jeglicher politischer Couleur kandidieren derzeit für den Nationalrat. Noch nie waren es wohl so viele, Tendenz steigend. Was treibt sie an? Und was würden sie anders machen, wenn sie ins Parlament einzögen? Zwei Secondas und ein Secondo aus Zürich, Zug und dem Aargau erzählen.

Alessandro Pecorelli, SVP Kanton Zürich: «Mein politisches Vorbild ist Ueli Maurer»

NR Kandidat Alessandro Pecorelli, SVP, Zürich, 19.9.2023, Foto Dominique Meienberg

Er hat das Zeug zum neuen Shooting Star der Zürcher SVP. Die Partei hat den 36-jährigen Alessandro Pecorelli auf den ersten und zweiten Platz der sogenannten Secondo-Liste gesetzt. Der Bülacher fährt zwar ein Elektroauto und ist das Kind von spanischen und italienischen Einwanderern. Doch seine Werte lassen keinen Zweifel an seiner Parteizugehörigkeit: Sein politisches Vorbild ist Ueli Maurer. Pecorelli fliegt viel (in einem Jahr nahm er 92-mal das Flugzeug, erzählt er stolz), er isst lieber Fleisch statt Gemüse, trinkt Kuh- statt Hafermilch. Von Frauenquoten hält er nichts. Und er glaubt an eine starke Wirtschaft. «Viele Secondos haben Eltern, die Armut erlebt haben und wissen, wie wichtig eine gesunde Ökonomie ist», sagt er.

Als Nationalrat würde er sich für die Schweizer KMU einsetzen wollen. Dass die SVP die Partei ist, die sich stets gegen Ausländer und Einwanderung wendet, erachtet er als zu kurz gegriffen: «Die SVP-Politik ist viel mehr als das, wird aber häufig nur darauf reduziert.» Er schätzt an der SVP, dass es innerhalb der Partei vielseitige Positionen gebe. «Wir diskutieren viel und argumentieren hart, ohne jemanden auszuschliessen.»

 «Den Schweizer Pass muss man sich verdienen»

Alessandro Pecorelli, SVP Kanton Zürich

Der Bülacher betont, dass für ihn Leistung mehr zähle als die Herkunft. Deshalb ist er auch gegen die erleichterte Einbürgerung. «Den Schweizer Pass muss man sich verdienen», so seine Überzeugung. Für die meisten Secondos sei das auch kein Problem: «Sie sind fleissig und haben gelernt, Eigenverantwortung zu übernehmen.» Das habe er auch in seiner Zeit als Panzergrenadier in der Schweizer Armee beobachtet, wo viele Wehrpflichtige einen Migrationshintergrund gehabt hätten. Pecorelli wünscht sich, dass durch seine Kandidatur mehr Secondos zur SVP stossen, denn «sie passen wirklich gut in diese Partei».

Der Softwareentwickler ist Mitgründer von mehreren Techunternehmen. Er hat eine Lehre als Informatiker absolviert und früher viel Eishockey gespielt. «Ein sehr schweizerischer Sport», wie er sagt, durch den er auch in Kontakt mit bürgerlichen Kreisen kam. Die Mehrheit seiner heutigen Freunde kenne er aus dem Eishockey. Aber: Einer der wichtigsten politischen Türöffner sei sein Hund, ein Dalmatiner namens Mila: «Beim Gassigehen treffe ich auf die unterschiedlichsten Menschen, komme mit ihnen ins Gespräch und erfahre, wo ihnen der Schuh drückt.» 

Sinem Gökçen, SP Kanton Aargau: «Mein Werdegang hat mich für weniger privilegierte Menschen sensibilisiert»

Migranten ins Bundeshaus! Noch nie wollten so viele Menschen mit Migrationshintergrund ins Bundeshaus. 

Sinem Gökcen aus dem Aargau
Untersiggenthal, 18.9.2023

Sie hat eine abenteuerliche Laufbahn. Gleichzeitig haben viele Secondas hierzulande eine ähnliche Biografie. Sinem Gökçen war dreijährig, als sie in die Schweiz kam. Der Vater arbeitete 15 Jahre lang in der Aargauer Kanalreinigung, bevor er sich als Pizzaiolo selbstständig machte. «Er hatte keine Ahnung von diesem Business, aber er hat es geschafft, die Familie damit über Wasser zu halten», erzählt sie mit Bewunderung in der Stimme. Die Mutter kümmerte sich um die sechs Kinder, obwohl sie zeitlebens mit Rückenproblemen zu kämpfen hatte. Gökçen ist ein Spreiti-Kind, das heisst: aufgewachsen in Spreitenbach, einem Dorf, das schweizweit für seinen hohen Ausländeranteil bekannt ist. Eingebürgert wurde sie mit 16 Jahren. Sie sagt, das habe einen grossen Unterschied gemacht, weil sie sich danach «etwas mehr aufgenommen fühlte».

«Als Kind von Flüchtlingen mit Jobs in der Tieflohnbranche sind viele Selbstverständlichkeiten verschoben»

Sinem Gökçen, SP Kanton Aargau

Chancengleichheit und Bildung seien Herzensthemen für die SP-Politikerin. Später im Gespräch zeigt sich auch, warum. Sie durchlief alle möglichen Stationen: Realschule, Sekundarschule, Bezirksschule. «Ich verlor jedes Mal ein Jahr und war dann immer die Älteste in der Klasse.» Dann folgten eine KV-Lehre, ein Studium an der Fachhochschule in Wirtschaftsrecht und zum Schluss noch ein Masterabschluss in Rechtswissenschaft an der Universität Luzern. Eine Odyssee, wie sie sagt. Zum Glück habe sie immer das Jus-Studium vor Augen gehabt und sei nicht von ihrem Ziel abgewichen. Aber: «Mein Werdegang hat mich für die Belange von weniger privilegierten Menschen sensibilisiert.» Als Kind von kurdischen Flüchtlingen mit Jobs in der Tieflohnbranche seien «viele Selbstverständlichkeiten verschoben». Zum Beispiel: Skifahren zu lernen, ist zu teuer und liegt nicht drin. Und das Zimmer mit zwei jüngeren Geschwistern zu teilen, ist normal.

Gökçen brennt aber auch für andere Themen, die sie vermehrt auf der nationalen Agenda sehen möchte. Zum Beispiel «alles rund um die Gleichstellung». Sie, die kurz vor ihrem Masterabschluss zur Alleinerziehenden eines zweijährigen Buben wurde, kennt sich damit aus. «Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist hierzulande noch immer ein Problem.» Politik und Persönliches seien für Gökçen eng verknüpft. Deshalb kandidiert sie für den Nationalrat. Ihr politisches Vorbild? Ruth Dreifuss. «Sie hat wirklich viel erreicht und viele gläserne Decken durchbrochen.»

Noor Yasseri, junge FDP Kanton Zug: «Sorry, wenn es arrogant tönt, aber ich bin mein eigenes Vorbild»

NR Kandidatin Noor Yasseri, juge FDP, Zürich, 19.9.2023, Foto Dominique Meienberg

Wirklich, die Rentnerinitiative? Ja, für dieses Thema brennt die 18-jährige Noor Yasseri am meisten. So sehr, dass sie in der Schule darüber einen Vortrag gehalten hat. Die Altersvorsorge beschäftigt sie, weil ihre «Generation am meisten davon betroffen sein wird». 

Die Zugerin kandidiert auf der Stammliste der jungen FDP für den Nationalrat. Warum? «Es gibt im Parlament keine Frau, die so aussieht wie ich», sagt sie und zeigt auf ihr Kopftuch. Dabei leben in der Schweiz 500’000 Musliminnen und Muslime. Als Vergleich: Die Zahl der Menschen jüdischen Glaubens liegt bei etwa 20'000. «Die Leute haben sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass eine ganz normale Frau ein Kopftuch tragen kann», sagt sie. Ihr seien schon Schnupperlehren verwehrt worden, und im Bus habe sie Anfeindungen erlebt. Das müsse sich ändern. Schliesslich sei ein Kopftuch nur eine Äusserlichkeit, so wie eine Brille oder ein Kreuzsymbol an der Halskette. Angesprochen auf ihr politisches Vorbild, sagt sie mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Verlegenheit: «Sorry, wenn das arrogant tönt, aber ich bin mein eigenes Vorbild.» 

Noor Yasseri ist in Dubai geboren und kam als Vierjährige mit ihrer Familie in die Schweiz. Die Eltern sind im Immobilienmanagement tätig und liessen sich vor drei Jahren einbürgern. Yasseri erinnert sich, dass sie bei der Prüfung gefragt worden sei, was ein Alphorn ist. Trotzdem ist sie nicht generell für eine erleichterte Einbürgerung. «Wer straffällig ist, sollte den Schweizer Pass nicht bekommen», sagt sie.

 «In der Gleichberechtigung gibt es definitiv noch Luft nach oben»

Noor Yasseri, junge FDP Kanton Zug

Yasseri stiess zur FDP, weil sie sich mit der Partei identifiziert: «Die Freisinnigen setzen sich für eine offene Gesellschaft und eine starke Wirtschaft ein», sagt die KV-Lernende im zweiten Lehrjahr. Sie habe aus der Partei viel Zuspruch erhalten für ihre Kandidatur. Die meisten hätten ihr gesagt, dass sie Mut beweise. Nur wenige aus der Partei hätten sich kritisch gezeigt. Sie findet, wenn sich jemand an ihrer Erscheinung störe, sage das mehr über den Kritiker aus als über sie.

In ihrer Freizeit spielt Yasseri Fussball beim Frauenverein in Baar oder geht segeln. Sollte sie eines Tages ins Bundeshaus gewählt werden, wolle sie sich für eine moderne Familienpolitik starkmachen. «Die aktuellen Gesetze begünstigen Gefüge, in welchen der Mann der Hauptverdiener ist. In der Gleichberechtigung gibt es definitiv noch Luft nach oben.»

*In einer früheren Version stand, dass doppelt soviele Musliminnen und Muslime wie Jüdinnen und Juden in der Schweiz leben. Dabei sind es 500'000 zu 20'000.