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Abschied eines Leaders
Yann Sommer tritt zurück und sagt: «Es ist gut»

Switzerland's goalkeeper Yann Sommer reacts after the draw (1-1) during a Group A match between Scotland and Switzerland at the Euro 2024 soccer tournament in Cologne, Germany, Wednesday, June 19, 2024. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Da ist sie doch noch, im Moment seines Abschieds. Eine kurze Unachtsamkeit, die eigentlich so gar nicht zu ihm passt. Aber dann gelingt Yann Sommer in letzter Sekunde die Rettungstat. Wie so oft in den letzten zehn Jahren, in denen er die Nummer 1 im Schweizer Tor gewesen ist. Er erinnert sich an den goldenen Legostein, den ihm seine Tochter für diesen schwierigen Moment mitgegeben hat, und legt ihn wie aufgetragen vor sich auf den Tisch.

Sommer hat aber schon ohne die herzige Seelenstütze recht souverän gewirkt an diesem Montagmorgen im siebten Stock eines Flughafenhotels. Das wiederum passt zu ihm und seiner abgeklärten Art. Dabei ist es eine durchaus emotionale Botschaft, die er verkündet: Eine Ära geht zu Ende. Yann Sommer ist ab sofort nicht mehr Torhüter der Schweizer Nationalmannschaft.

Das Ende im Nationalteam ist bei einem Goalie immer abrupt. Es gibt keinen Rückzug auf Raten wie bei Feldspielern. Ein Torwart kann nicht in den letzten Minuten eingewechselt werden, um der Mannschaft mit seiner Erfahrung noch einmal einen Schub zu geben. Darum sind solche Ablösungen immer schwierig und selten frei von atmosphärischen Störungen.

Yann Sommer zum Leak: «Das fand ich sehr unnötig»

Trotzdem hätte man Sommer gewünscht, dass er einen eleganteren und würdigeren Abgang geschafft hätte. Einen von ihm exklusiv verkündeten. Das aber haben sein Zögern nach der Europameisterschaft und ein Leck verhindert, das diesen eigentlich sehr intimen Entscheid frühzeitig öffentlich werden liess. Seine Ablösung durch Gregor Kobel war letzte Woche dem Newsportal Bluewin.ch durchgesteckt worden.

«Das fand ich sehr unnötig, das muss ich zugeben», sagt Sommer dazu. Und erklärt, warum er sich nach der EM so viel Zeit gelassen hat mit der Entscheidung. Erst habe er sich «mit vollem Fokus» auf das Turnier konzentrieren wollen: «Danach bin ich in den Urlaub gefahren und habe mir viele, viele Gedanken gemacht.»

Switzerland's goalkeeper Yann Sommer attends a press conference to announces his retirement from the Swiss national football team, on Monday August 19, 2024 in Zurich, Switzerland. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

Vor zwei Wochen dann kam es zu einem Treffen mit Patrick Foletti in Mailand. Sommer kam mit dem Gefühl ins Gespräch, dass er zurücktreten wolle. Und der Goalietrainer des Nationalteams brachte ihm keine Botschaft, die ihn auf andere Gedanken gebracht hätte.

Im Gegenteil. «Man hat mir nicht mehr versichern können, dass ich in Zukunft die Nummer 1 sein werde.» So formuliert das Sommer. Es ist ihm wichtig, zu betonen, dass er durch diese Nachricht nicht in seinem Stolz gekränkt worden ist: «Das ist part of the business. Ich bin 35. Das ist normal. Das ist gut so. Es war mir sehr wichtig, dass sie mir das sehr ehrlich mitgeteilt haben.» Und eben: die grundsätzliche Entscheidung? «Die war für mich schon vorher klar.»

Die Parade gegen Mbappé für die Ewigkeit

Sowieso ändert die Art des Abgangs nichts an der Bedeutung, die Yann Sommer in den letzten zehn Jahren und an fünf grossen Turnieren für das Nationalteam gehabt hat. Er war der Goalie, mit dem die Schweiz erstmals in der modernen Fussballgeschichte an grossen Turnieren Spiele in einer K.-o.-Runde gewinnen konnte.

Seine Parade gegen den Elfmeter von Weltstar Kylian Mbappé im EM-Achtelfinal 2021 wird so lange unvergessen bleiben, wie es eine Schweizer Nationalmannschaft gibt. Die Jubelbilder danach haben sich tief ins nationale Bewusstsein gegraben.

BUCHAREST, ROMANIA - JUNE 28:  Yann Sommer of Switzerland celebrates after saving the decisive penalty taken by Kylian Mbappe of France to win the UEFA Euro 2020 Championship Round of 16 match between France and Switzerland at National Arena on June 28, 2021 in Bucharest, Romania. (Photo by Justin Setterfield/Getty Images)

Während 94 Partien hütete Yann Sommer das Schweizer Tor. Und es war schon bei seinem ersten Auftritt bei einer 0:1-Niederlage in Luzern in einem Testspiel gegen Rumänien vielen klar, dass da eine langjährige Nummer 1 seine ersten Schritte im Nationaltrikot tat.

Er war zwar nur einer von vielen Debütanten damals. Michel Morganella, Alain Wiss und Adrian Winter aber haben keine tiefen Spuren im internationalen Fussball hinterlassen. Sommer schon. Weil er einer war, ja eigentlich immer noch ist, auf den die Wörter Leader oder Führungsspieler wirklich zutreffen.

Nur bei den Bayern war Sommer machtlos

20 Jahre lang ist er für Nationalteams im Tor gestanden. Von der U-16 bis ins A-Team. 2011 erreichte er mit der U-21-Auswahl den EM-Final, der gegen Spanien verloren ging. Sommer plante seine Karriere von Anfang an mit äusserster Sorgfalt. Vom Nachwuchs über die Challenge League zur Nummer 1 bei seinem Stammclub FC Basel und schliesslich mit dem Wechsel zu Gladbach in die Bundesliga. Jeder Schritt war bedacht. Nichts schien überhastet.

Bloss bei seinem Abstecher zu Bayern München sah er sich Mächten gegenüber, die er nicht zu bändigen vermochte. Die Medien, die jedes Gegentor als möglichen Fehler sezierten. Und überall die Übergestalt Manuel Neuer, zwar verletzt, aber bei der Meisterfeier trotzdem viel weiter vorn als der spielende Goalie Sommer. Der Abgang zu Inter Mailand war im Sommer 2023 auch die Einsicht, dass dieser Kampf nicht gewonnen werden konnte.

Es war das erste Mal, dass sich Sommer nicht so richtig durchsetzen konnte. Im Nationalteam dagegen übernahm er 2014 von Diego Benaglio – und liess niemand anders auch nur in die Nähe des Throns. Marwin Hitz trat 2018 aus dem Nationalteam zurück. Roman Bürki folgte 2019 frustriert und tat es ihm gleich.

Für die Nationaltrainer gab es keinen Grund, an ihrer Nummer 1 zu zweifeln. Sommer war immer gut bis sehr gut. Manchmal gelangen ihm überragende Spiele. Und in der Öffentlichkeit war Sommer der Strahlemann, den alle mochten.

Warum? Für ihn selber schwierig zu beantworten: «Es sind die Menschen, die entscheiden, wie sie über mich denken.» Aber natürlich schadet dabei nicht, dass er sein Image mindestens so professionell pflegt wie seinen Körper.

Sommers Wort hatte Gewicht

Jetzt hat Yann Sommer eingesehen, dass er den Stab an Gregor Kobel weiterreichen muss. Sommer wird im Winter 36 Jahre alt. Kobel ist 9 Jahre jünger. Das Nationalteam befindet sich in einem Zyklus, der mit der WM 2026 ihren Höhepunkt haben wird.

Kobels Umfeld hat schon seit einiger Zeit gestreut, dass sich der Dortmunder Goalie noch einmal zwei Jahre als Nummer 2 hinter Sommer nicht vorstellen kann. Die Schweiz kann es sich nicht leisten, ihn zu verlieren, der vom «Kicker» dreimal in Serie zum besten Torhüter der Bundesliga gewählt worden ist.

Switzerland's head coach Murat Yakin, right, talks to goalkeeper Gregor Kobel during a training session at the "Stadion auf der Waldau" in Stuttgart, Germany, Tuesday, July 2, 2024.(KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Von der sportlichen Qualität her muss sich die Nationalmannschaft also keine Sorgen machen. Aber die Lücke im Teamgefüge muss erst noch gefüllt werden. Sommer mochte seine Äusserungen in Interviews manchmal so oft schleifen, bis fast gar nichts mehr von einer Meinung übrig blieb. Aber direkt nach den Spielen vor den TV-Kameras und in der Interviewzone der Stadien, da redete er stets sowohl überlegt als auch prägnant.

Und in der Garderobe, da hatte sein Wort sowieso Gewicht. Da zog er die Mitspieler mit seiner Professionalität und seiner Siegermentalität mit. «Ich gehe immer all-in», sagt er an diesem Montag. Was wie eine Floskel klingt, ist bei ihm schlicht eine Tatsache.

Darum ist der Rücktritt aus dem Nationalteam auch nicht das Ende von Yann Sommers Karriere. «Es ist auf jeden Fall möglich, dass ich bis über 40 spielen werde», sagt er. Der Vertrag bei Inter Mailand läuft noch bis 2026.

Aber die Zeit mit Schweizer Kreuz und Nationalhymne, die ist für ihn vorbei. Er könnte wehmütig sein. Er könnte sich ärgern, dass ihn die Nationaltrainer nicht mit aller Macht halten wollten. Yann Sommer sagt: «Es fühlt sich gut an.»