Schweizer NationalteamSturmwarnung in Köln: Womit überrascht Yakin gegen Schottland?
Was ist mit Xherdan Shaqiri? Warum sind die schottischen Krüge immer halb voll? Und wieso ist der Schweizer Pass in Köln entscheidend? Fragen und Antworten vor dem zweiten EM-Spiel der Schweiz.
Was zieht der Trainer diesmal aus dem Hut?
«Da hatten wir schon den Salat.» Was für ein schöner Satz, den sich Murat Yakin an die Wand seines Trophäenraums hängen dürfte. Vielleicht gestickt und mit Goldrahmen versehen. Selten hat ein Trainer so ehrlich zugegeben, dass er von seinem Gegenüber überrumpelt worden ist, wie Marco Rossi nach der 1:3-Niederlage seiner Ungarn gegen Yakins Schweizer.
Stellt sich vor dem zweiten Gruppenspiel der Schweiz gegen Schottland die Frage: Soll Yakin noch einmal versuchen, seinen Antipoden auszucoachen? Welchen Trick hat er noch auf Lager? Oder gibt es einen Moment, in dem aus clever zu clever wird? Wäre es vielleicht nicht sinnvoller, die eigene Mannschaft ganz simpel so weiterspielen zu lassen, wie ihr die beste Halbzeit seit dem Sieg gegen die Serben an der WM 2022 gelungen ist?
Von Yakins drei grossen taktischen Überraschungen sind bislang zwei aufgegangen. Beim bemerkenswert mutigen Auftritt 2021 im Stadio Olimpico von Rom, für den er mit einem 1:1 und schliesslich der direkten WM-Qualifikation vor Italien belohnt wurde. Und letzten Samstag gegen Ungarn. Und dann gibt es da noch diesen WM-Achtelfinal gegen Portugal, als die Schweizer mit einem Tennisresultat nach Hause geschickt wurden.
Yakins Assistent Giorgio Contini hat am Sonntag gemeint, das Motto «never change a winning team» stehe im Schweizer Trainerteam nicht besonders hoch im Kurs: «Wir müssen ein Team auf den Platz bringen, das die Schwächen des Gegners beackern kann.» Yakin selbst sagt einen Tag vor dem Anpfiff bloss: «Am Samstag ist es gut aufgegangen. Ich hoffe, dass unsere Spieler ihre Leistung erneut auf den Platz bringen können.»
Warum ist der Schweizer Pass entscheidend?
Es ist eine leise Ironie der Geschichte. Als England am 30. November 1872 im Glasgower Stadtteil Partick zum ersten Mal gegen ein schottisches Nationalteam antrat, waren die Engländer hoch favorisiert und körperlich weit überlegen. Aber die Schotten taten etwas Unerhörtes: Anstatt wie bislang üblich mit dem Ball am Fuss nach vorne zu rennen, spielten sie Pässe! So gelang gegen die verwirrten Gäste ein 0:0.
Als die Schotten letzten Freitag im Eröffnungsspiel gegen Deutschland 1:5 verloren, wurden sie also von ihrer eigenen Erfindung geschlagen. 102 Pässe spielte allein Toni Kroos, 101 kamen ans Ziel. Wo immer die Schotten hinrannten, der Ball war irgendwie schon wieder weg.
Für das Spiel am Mittwoch in Köln bedeutet das: Der Schweizer Pass ist entscheidend! Da trifft es sich, dass die Schweiz ihren eigenen Toni Kroos hat. Granit Xhaka hat sich zwar gegen Ungarn für seine Verhältnisse schon fast ungeheuerliche acht Fehlzuspiele notieren lassen. Seine Erfolgsquote von 91 Prozent ist aber immer noch gehobene Spitzenklasse.
Und dann sind da ja noch Spieler wie Manuel Akanji, Ricardo Rodriguez, Fabian Schär und Remo Freuler, die alle den Ball zirkulieren lassen können. Funktioniert das Schweizer Passspiel wie gegen Ungarn, ist das bereits ein wichtiger Schritt zum zweiten Sieg im zweiten Spiel.
Die Schotten brauchen nämlich dringend Zweikämpfe, um sich ins Spiel zu beissen. Bekommen sie die nicht, werden sie nervös und greifen auch mal zur Blutgrätsche. Wie Verteidiger Ryan Porteous, für den das Turnier nach seiner Attacke gegen Ilkay Gündogan bereits zu Ende sein könnte. Er verpasst die letzten beiden Gruppenspiele gesperrt.
Wie ist so die Stimmung bei den Schotten?
Irn-Bru lässt sich vielleicht am ehesten als schottisches Rivella erklären: kohlensäurehaltiges Kulturgut, das nur versteht, wer damit aufgewachsen ist. Als Sponsor des schottischen Nationalteams ist die Brause auch ein guter Stimmungsbarometer.
Vor der Euro 2021 lancierte die Firma einen ziemlich grossartigen Spot, in dem eine Mutter ihrer peinlich berührten Tochter «the talk» aufzwingt: das Gespräch darüber, «es das erste Mal zu tun». Wobei es am Ende darum geht, dass Schottland erstmals seit 23 Jahren an einer Endrunde teilnehmen darf. «Für alle Turnier-Jungfrauen», heisst es am Ende.
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Vor der Euro 2024 ist aus der Freude, einfach wieder mal mitzumachen, etwas anderes geworden. Da stampft ein schottischer Fan selbstbewusst über die Tische einer deutschen Bierhalle und zertritt Würste. «In diesem Jahr ist unsere Mannschaft gut für den Halbfinal!», ruft er. Und: «Unsere Krüge sind immer halb voll!»
Nun ja. Das hat sich mit dem 1:5 im Startspiel dann doch etwas relativiert. In Schottland sind sich die Fachleute nicht ganz sicher, ob der Auftritt gegen Deutschland der schlechteste Auftritt aller Zeiten war – oder bloss «seit 1972», wie der Radioveteran Nicky Campbell verkündete.
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Trainer Steve Clarke hat einen Tag nach dem Auftaktdebakel alle Schuld auf sich geladen: «Ich habe den Spielern zu viele Informationen mitgegeben, was sie mit und ohne Ball zu tun haben.»
Das klingt zwar ein wenig so, wie wenn Menschen im Vorstellungsgespräch als Schwäche angeben, «zu perfektionistisch» zu sein. Aber immerhin stellt er sich schützend vor seine Spieler, die den eigenen Auftritt laut Mittelfeldspieler Callum McGregor als «peinlich» empfunden haben.
Was ist mit Xherdan Shaqiri?
Ein paar Tage vor dem Turnierstart hat Xherdan Shaqiri über sich selbst Xherdan-Shaqiri-Dinge gesagt. Zum Beispiel: «Es ist klar, dass eine Mannschaft so einen Spieler braucht.» Dann haben die Schweizer Ungarn 3:1 geschlagen. Und seither scheint gar nicht mehr so klar, dass diese Mannschaft den 32-Jährigen tatsächlich so dringend nötig hat.
Aber ein grosses Turnier, an dem Shaqiri keine grosse Rolle haben soll? Das kann sich dann doch niemand so richtig vorstellen. Admir Mehmedi hat es eben in einem Talk mit dieser Zeitung gesagt: «Wir müssen uns alle erst an das Bild gewöhnen, dass er nicht mehr auf dem Platz steht.»
Shaqiri, das war noch immer der Spieler für die speziellen Momente. Der Freigeist, der die Menschen in der Schweiz von schönem Fussball und Erfolg träumen liess. Und natürlich stützt Yakin öffentlich den Mann, der der Schweiz in 21 Einsätzen an Endrunden 13 Skorerpunkte geschenkt hat. «Shaq ist wichtig für das Team», sagt der Nationaltrainer, «wir wissen, in welchen Momenten wir ihn bringen können.»
Ob die Partie gegen Schottland so ein Moment sein kann? Vielleicht eher nicht. Zumindest nicht von Beginn weg. Die Idee der Schotten wäre es eigentlich, schnelle Konter über ihre starke linke Seite zu fahren. Und dann von der Grundlinie aus nachrückende Mittelfeldspieler wie Scott McTominay zu bedienen, der auf diese Weise in acht Qualifikationsspielen sieben Tore erzielt hat.
Das würde viel von dem bedeuten, was Shaqiri nicht wirklich mag: aggressives Gegenpressing, aufmerksames Mitlaufen, wenn der schottische Aussenläufer nach vorne geht.
Aber warum nicht eine Einwechslung, wenn die Dinge komplizierter werden, als sie vor dem Spiel aussehen? Mehmedi jedenfalls ist sich sicher: «Die genialen Momente hat er noch in sich. Er wird noch ganz, ganz wichtig sein in diesem Turnier.»
Spielt das Wetter eine Rolle?
Achtung, müder Kalauer: Der Angriff der Schotten mag gegen Deutschland ein laues Lüftchen gewesen sein. Trotzdem gilt am Mittwoch in Köln Sturmwarnung. Schon am Dienstagmittag wurden die Fanzonen in Köln und Düsseldorf geschlossen. Am Abend wurde vorsichtshalber auch das Zelt vor dem Stadion geräumt, in dem sich das Medienzentrum befindet.
Auch für den Spieltag werden örtlich sogenannte Superzellen erwartet mit Hagel und Starkregen mit bis zu 30 Litern pro Quadratmeter. Sogar vereinzelte Tornados sollen nicht ausgeschlossen sein.
Die Schweiz hat keine guten Erinnerungen an schwere Niederschläge an einer Europameisterschaft. 2008 verlor das Nationalteam in einer wahren Regenschlacht in Basel gegen die Türkei 1:2 und war damit an der Heim-EM schon nach zwei Spielen ausgeschieden.
Dieses Schicksal wird den Schweizern in Köln unabhängig vom Resultat erspart bleiben. Selbst bei einer Niederlage bleiben sie im Rennen um einen Platz in den Achtelfinals. Bei einem Sieg sind sie nach menschlichem Ermessen sicher unter den letzten 16 des Turniers.
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