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Schweizer #MeToo-Prozess
Jetsetter (87) wegen versuchter Verge­waltigung in Gstaader Chalet verurteilt

Das Gstaad der Superreichen: Taki Theodoracopulos, einer der reichsten Griechen und der letzte Überlebende der Clique um Günther Sachs. © MarkusGrunder
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«Ich erinnere mich nicht» – dieser Satz fällt im abgedunkelten Gerichtssaal an der Aare immer wieder. Taki Theodoracopulos, 87 Jahre alt, sitzt als Beschuldigter im Regionalgericht Oberland in Thun vor dem Richter. Der Grieche ist ein bekannter Journalist, vor allem im englischen Sprachraum. Seit Jahrzehnten lebt er zeitweise in einem Chalet in Gstaad, wo er lange auch seinen Wohnsitz hatte.

Nun muss er sich in seiner ehemaligen Wahlheimat gegen die Anschuldigung verteidigen, dass er vor vierzehn Jahren versucht haben soll, eine Frau in seinem Chalet zu vergewaltigen (diese Redaktion hat den Fall hier rekonstruiert). Am Donnerstagmorgen bestreitet der Beschuldigte die aus seiner Sicht «monströse Anschuldigung» vehement.

Faktor Zeit

Der Fall geht auf ein Winterwochenende Anfang 2009 zurück. Die Klägerin Sara Wood, die in Wahrheit anders heisst, schrieb wie Theodoracopulos für den britischen «Spectator». Gemeinsam mit ihrem damaligen Chef und zwei weiteren Frauen verbrachte die Britin ein Skiwochenende bei Theodoracopulos, den sie zuvor nicht persönlich kannte, in Gstaad.

Die Gruppe verbrachte zwei Nächte im Chalet des Reederei-Erben. Das ist so weit unbestritten. In der zweiten Nacht soll es in Woods Zimmer zum mutmasslichen Vergewaltigungsversuch gekommen sein.

«Ich hatte wirklich Angst», sagt Wood vor dem Richter und bricht in Tränen aus. Obwohl Theodoracopulos damals bereits 73-jährig war, sei er sehr stark gewesen. Nach einem minutenlangen Kampf soll es ihr schliesslich gelungen sein, ihn wegzustossen.

Die Klägerin und der Beschuldigte widersprechen sich in vielen Punkten. Er bestreitet, nur schon ihr Gästezimmer betreten zu haben.

NEW YORK, NY - SEPTEMBER 21: Taki Theodoracopulos attends David Patrick Columbia and Chris Meigher Toast The QUEST 400 at Doubles Club on September 21, 2022 in New York City. (Photo by Patrick McMullan/Patrick McMullan via Getty Images)

Die Aufarbeitung des Falls zog sich über mehrere Jahre hin. 2018 hatte Wood erstmals eine Anwältin in London aufgesucht. Es folgten Einvernahmen bei den Londoner und schliesslich den Berner Strafverfolgern.

Im Plädoyer stellt Theodoracopulos’ Verteidiger die Schilderungen des mutmasslichen Vergewaltigungsversuchs als unglaubwürdig dar. Wood hat in den Einvernahmen nicht immer deckungsgleich beschrieben, wie Theodoracopulos sie aufs Bett gedrückt haben soll.

Die Anwältin der Klägerin wiederum betont, wie Theodoracopulos sich «in Widersprüche verstrickt» habe. Wood habe es sehr viel Mut und Kraft gekostet, das Geschehene nun schon mehrfach zu erzählen. Sie stellt sich auf den Standpunkt: «Sie hätte nach zehn Jahren kaum eine derart detaillierte, versuchte Vergewaltigung konstruiert, sondern eine vollendete.»

Faktor #MeToo

Dass sich Wood erst nach fast zehn Jahren dazu entschied, den Fall vor Gericht zu ziehen, begründet sie mit der #MeToo-Bewegung. Sie fasste den Entschluss, nachdem Theodoracopulos in Kolumnen den mittlerweile wegen Sexualverbrechen verurteilten Harvey Weinstein verteidigt und dessen Opfer als Lügnerinnen hingestellt hatte.

«Ich dachte damals, wenn ich etwas sage, würde es heissen: Du bist selber schuld!»

Klägerin Sara Wood (Name geändert)

Dem Richter in Thun erklärt Wood, dass sie sich für das Erlebte schäme. «Ich dachte damals, wenn ich etwas sage, würde es heissen: Du bist selber schuld!» Auch habe sie negative Konsequenzen für ihre Karriere befürchtet. Sie glaubte, sie hätte gegen den «wohlhabenden und mächtigen Mann» keine Chance.

Für Theodoracopulos’ Anwalt ist Wood eine «Aktivistin dieser historischen #MeToo-Bewegung». Sie habe eine Vorreiterrolle einnehmen und sich durch den Prozess profilieren wollen.

Etwa, weil der britische «Guardian» und diese Redaktion bereits im Vorfeld vom Fall berichteten. Woods Name wurde jedoch nie erwähnt. Weshalb ihre Verteidigerin fragte: «Was kann sie daraus gewinnen?»

Faktor Beweislage

Weil es sich um ein Vieraugendelikt handelt, gab es keine direkten Zeugen. Die Staatsanwältin verzichtete darauf, die anderen Anwesenden vom besagten Wochenende anzuhören.

Der Richter konfrontiert Theodoracopulos mit einem Brief. Darin schrieb der Beschuldigte Wood noch am selben Wochenende, dass er sehr traurig sei, dass sie ihn zurückgewiesen habe. Und weiter auf Französisch: «Qui s’excuse s’accuse» (Wer sich entschuldigt, klagt sich an).

«Ich erinnere mich nicht. Ich habe das nach vielen Drinks geschrieben.»

Beschuldiger Taki Theodoracopulos

Theodoracopulos sagt, er könne sich nicht erinnern, was er damit gemeint habe. Und an wen der Brief adressiert war. Genau erinnere er sich aber: «Ich habe das nach vielen Drinks geschrieben.» 

Zur Last gelegt wird ihm auch eine «Telegraph»-Kolumne, die er kurz nach der mutmasslichen Tat schrieb. Darin beschrieb er das Skiwochenende in Gstaad und wie er nur Augen für eine Frau gehabt habe. Er nannte Woods richtigen Namen.

Während der Verhandlung sagte Theodoracopulos nun, er habe diese Kolumne auf Bitte von Wood geschrieben. Belegen konnte er das nicht.

Schuldspruch mit mildem Strafmass

In seinem Schlusswort nennt Theodoracopulos den Fall eine «grosse Farce». Er sei «ein gläubiger Christ», der so etwas nicht tue.

Den Einzelrichter in Thun kann er nicht überzeugen. In der Urteilsbegründung wird deutlich: Er glaubt dem Beschuldigten kein Wort. Theodoracopulos habe sich in vielen Punkten widersprochen.

Über die Klägerin sagt der Richter: «Es ist kein Motiv für eine Falschbeschuldigung ersichtlich.» Die Aussagen von Wood beurteilte er als «absolut stringent und glaubhaft».

Theodoracopulos wird der versuchten Vergewaltigung schuldig gesprochen. Die von der Staatsanwaltschaft geforderte bedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten bezeichnet das Gericht als gerechtfertigt. Zur milde anmutenden Strafe kommt es unter anderem, weil der Fall lange her sei und Theodoracopulos keine Vorstrafen habe. Der Verurteilte muss die Anwaltskosten, Gerichtskosten und eine von der Klägerin geforderte Genugtuung von 5000 Franken zahlen. Insgesamt sind es über 30’000 Franken.

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Theodoracopulos’ Anwalt hat angekündigt, in Berufung zu gehen.

Sara Wood zeigte sich «erleichtert» und «sehr dankbar, dass die Schweizer Justiz den Fall ernst genommen hat».