Schweizer #MeToo-FallWas geschah im Chalet Palataki?
Der bekannte Journalist Taki Theodoracopulos (87) kommt wegen eines mutmasslichen Vergewaltigungsversuchs vor ein Berner Gericht. Ihm droht höchstens eine milde Strafe.

Nobel, reich – und diskret. Von jeher ist Gstaad im Berner Oberland ein Sehnsuchtsort für Superreiche. Eine der exklusivsten Liegenschaften findet sich am Dorfrand, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, umgeben von grossen Bauernhöfen und kleinen Holzwerkstätten.
Hier liegt das Chalet «Palataki», was so viel heisst wie kleiner Palast. Klein heisst in diesem Fall: 250 Quadratmeter gross, mit 1200 Quadratmeter Gartenanlage. Über 6 Millionen Franken ist es wert. Vor dem Eingang warnt ein Schild: «Alle verdächtigen Personen und Aktivitäten werden der Polizei gemeldet.»
Der Minipalast gehört der Familie von Taki Theodoracopulos, einem griechischen Journalisten. «Ich bin mitten im Schreibprozess», ruft er aus dem Fenster, als die Journalistin dieser Redaktion den antiken Türklopfer bedient. «Kurz Zeit habe ich. Was kann ich für Sie tun?»
Wöchentliche Kolumne seit 1977
Der 87-Jährige entstammt einer Reederdynastie und lässt es sich in Gstaad seit Jahrzehnten gut gehen. Über seine Erlebnisse hier und sonst wo auf der Welt berichtete der Jetsetter auch manchmal in der «Weltwoche».
Vor allem aber schreibt Theodoracopulos seit 1977 (!) wöchentlich eine Kolumne für die konservative britische Zeitschrift «The Spectator». In «High Life» gibt er Einblicke in die Welt der Reichen und Schönen. Immer mittendrin: er selber, Taki, der «letzte Playboy» («Gentleman’s Journal»), der Maul- und Frauenheld, der einstige Tennis-Profi, der Judo-Weltmeister in einer Ü-70-Kategorie. Was bei diesen Selbstbeschreibungen stimmt und was nicht? Das weiss nur der Autor selber.

Theodoracopulos schreibt provokativ, unverblümt. Einmal musste sich sogar Boris Johnson, einst «Spectator»-Herausgeber, öffentlich entschuldigen, nachdem Theodoracopulos geschrieben hatte, Schwarze hätten einen tieferen IQ als Weisse.
Nun kommt Theodoracopulos aber nicht wegen Rassendiskriminierung in seinem geliebten Berner Oberland vor Gericht, sondern wegen des Vorwurfs einer versuchten Vergewaltigung. Anfang Oktober muss er vor dem Regionalgericht in Thun erscheinen.
Der Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe kategorisch. Sowohl gegenüber der Staatsanwaltschaft als auch gegenüber dieser Redaktion. Die Anschuldigungen seien falsch, erfunden. «Mein ganzes Leben lang ist mir nie so etwas vorgeworfen worden», sagt Theodoracopulos, «aber jetzt, mit #MeToo, sind wir plötzlich alle schuldig.»
«Ich musste wirklich gegen ihn kämpfen»
Der Fall geht weit zurück. Dies machte die Ermittlungen nicht einfacher. Zudem sind die Berner Behörden eher bedächtig vorgegangen, wie Recherchen dieser Redaktion zeigen.
Es geschah an einem Winterwochenende Anfang 2009. Theodoracopulos lud den «Spectator»-Chef, dessen Assistentin und eine Journalistin, die ebenfalls fürs Magazin schrieb, zu einem Skiwochenende in Gstaad ein. Wir nennen Letztere Sara Wood, sie heisst in Wahrheit anders.
Theodoracopulos ging mit seinen Gästen den Berg hoch, führte sie ins Palace Hotel zum Abendessen aus, offerierte Drinks und Zigarren im Wohnzimmer seines Chalets. Wood wird ihren Gastgeber Jahre später in einer Einvernahme als «sehr charmant und gesprächig» beschreiben, als einen, der gute Geschichten auf Lager hat.
Bis es zur mutmasslichen Tat kam.

Wood zog sich in der Nacht in ihr Gästezimmer zurück und legte sich ins Bett, Theodoracopulos folgte ihr. So steht es in der Anklageschrift, die dieser Zeitung vorliegt.
Demnach versuchte der damals 73-Jährige, die etwa halb so alte Wood zu küssen. Sie bat ihn, das sein zu lassen und zu gehen. Er machte weiter. Drückte sie an den Schultern aufs Bett, kniete auf ihre Oberschenkel, hielt sie mit einer Hand am Hals fest. Versuchte, ihre Beine auseinanderzureissen und sie zu vergewaltigen.
So beschreibt es die Staatsanwaltschaft, so hat es Wood geschildert: «Ich musste wirklich gegen ihn kämpfen.» Nach mehreren Minuten sei es ihr gelungen, den sportlichen Mann von sich wegstossen. Theodoracopulos habe den Raum verlassen.
#MeToo als Auslöser
Dann geschieht lange: nichts. Bis 2017 der Skandal um den US-Filmproduzenten Harvey Weinstein ans Licht kommt und die #MeToo-Bewegung auslöst.
Theodoracopulos schreibt in seiner «Spectator»-Kolumne darüber. Er verteidigt eifrig seinen «Kumpel» Harvey, den er wirklich möge und mit dem er schon Partys gefeiert habe. Plötzlich kämen «alle aus dem Unterholz gekrochen», enerviert er sich. Sogar «eine hässliche Kellnerin» erinnere sich nun daran, wie Weinstein Frauen angemacht habe. Die Anschuldigungen – die bis heute zu zwei Schuldsprüchen geführt haben, gegen die der Verurteilte sich juristisch weiterhin wehrt – seien eine Medienkampagne, um «Weinstein zu zerstören».
Wood liest die Kolumne – und wendet sich etwas später in England wegen Theodoracopulos selbst an die Strafbehörden. «Er ist so ein Heuchler», sagt sie einem Polizeibeamten in London. «Er verheimlicht sein eigenes Verhalten.»
Sie habe bis zu diesem Zeitpunkt auf eine Anzeige verzichtet, weil sie befürchtet habe, dass ihr niemand glaube. Taki sei «ein sehr bekannter und mächtiger Mann», der im Gegensatz zu ihr viel Geld besitze. Nach der Tatnacht habe ihr Theodoracopulos ein bizarres Gedicht ins Zimmer gelegt. Leider könne sie den Brief nicht mehr auffinden.
Im Brief schreibt der Verfasser, er sei sehr traurig, dass Wood die Wahl getroffen habe, ihn zurückzuweisen.
Ein britischer Professor, der zur Zeit des Gstaad-Wochenendes ihr Liebhaber war, bestätigt schriftlich, dass Wood ihm bereits damals vom Vergewaltigungsversuch erzählt habe. Sie habe ihm auch Bilder geschickt von blauen Flecken an ihren Beinen.
Im Sommer 2019 schalten die Londoner Strafverfolger die Schweizer Kollegen ein. Doch erst im Januar 2021 beginnt die für Gstaad zuständige Berner Staatsanwaltschaft zu ermitteln. Sie stellt zuerst fest, dass Theodoracopulos Ende 2020 seinen Wohnsitz von Gstaad nach New York verlegt hat.
Das bedeutet für die Berner wiederum, dass sie den Beschuldigten nicht befragen können. Erst im Dezember 2021 gelingt es ihnen, Theodoracopulos am Flughafen Genf kurz anzuhalten. Im Februar 2022 reist er dann an zur Einvernahme. «Ich habe diese Frau nie angerührt», sagt er über Wood. Und ein Gedicht habe er ihr auch nicht geschrieben. Er kenne die Frau kaum.
Beschuldigter weist Vorwürfe zurück
Ein halbes Jahr später wird der mutmassliche Täter erneut befragt. Die Ermittler legen ihm eine seiner Kolumnen vor. Wenige Tage nach der mutmasslichen Tat schwärmte Theodoracopulos von einer Frau, die er an einem Skiwochenende in Gstaad getroffen habe. Er nennt ihren Vornamen – es ist derselbe wie Woods richtiger Name. Er habe nur Augen für sie gehabt, schreibt Theodoracopulos, «wobei Liebe ein zu schwaches Wort ist, um zu beschreiben, was ich fühlte, als ich sie erblickte».
Gegenüber der Polizei bestreitet er einen Zusammenhang zu jener Nacht, wegen der ihm versuchte Vergewaltigung angelastet wird.
Es gibt aber weiteres belastendes Material: Wood hat nämlich in der Zwischenzeit das damalige Schreiben finden können. Auf dem Briefkopf steht: Chalet Palataki. Der Inhalt: eine Art Liebesgedicht. Darin schreibt der Verfasser, er sei sehr traurig, dass Wood die Wahl getroffen habe, ihn zurückzuweisen. Und weiter auf Französisch: «Qui s’excuse s’accuse» (Wer sich entschuldigt, klagt sich an).
Theodoracopulos räumt nun in einer Einvernahme ein, dass er den Brief geschrieben hat – nach einer Nacht, in der man etwas getrunken habe. Er wehrt sich weiterhin gegen die «total falsche schreckliche Anschuldigung». Alles sei «ein Komplott» in der Absicht, «mich und meine Karriere zu zerstören».
Im Brief habe er sich für seine schmutzigen Witze des Vorabends entschuldigen wollen, sagt er in einem Gespräch mit dieser Redaktion.
Der Journalistin dieser Redaktion sagt er: «Sie sind sehr attraktiv. Sind Sie verheiratet?»
Im Februar 2023 erhebt die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern schliesslich Anklage. Auf die Befragung jeglicher Zeugen verzichtet sie. So werden weder weitere damals im Chalet Anwesende befragt noch der britische Professor, der schrieb, dass Wood ihm damals vom Vergewaltigungsversuch erzählt und Fotos von Verletzungen gesandt habe.
Nach der schleppenden Untersuchung drängt nun die Zeit, denn die mutmassliche Tat verjährt nach fünfzehn Jahren, also spätestens Anfang 2024.
Für die Verhandlung am 5. Oktober in Thun sind nur der Beschuldigte und Wood geladen, keine Zeugen. Die Staatsanwältin hat sich dispensieren lassen. Sie fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr.
Bis dahin feilt Theodoracopulos in seinem Chalet Palataki an seiner Kolumne weiter. Er sei immer noch viel hier in Gstaad, sagt er zur Journalistin dieser Redaktion, für die er sich dann doch eine halbe Stunde Zeit genommen hat. Ganz zum Schluss sagt er: «Sie sind sehr attraktiv. Sind Sie verheiratet?»
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