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Vegane Lebensmittel
Schweizer Käsetradition neu interpretiert

New-Roots-Gründer Freddy Hunziker bei der eigenen Produktion von veganem Weichkäse mit Weissschimmelhülle.

Als Jugendlicher hatte Freddy Hunziker nur einen Traum: Er wollte Mountainbikeprofi werden, und zwar in der Kategorie Downhill. Das erforderliche Talent brachte der Thuner mit, aber diverse Stürze und Knochenbrüche führten dazu, dass eine Teilnahme an der Junioren-Weltmeisterschaft der Karrierehöhepunkt blieb. Der Rücktritt vom Spitzensport war gleichzeitig der Startschuss für Hunzikers Unternehmerlaufbahn, die bis jetzt nur eine Richtung kennt: steil bergauf.

Der 27-Jährige empfängt in den Anfang Jahr neu bezogenen Räumlichkeiten in Oberdiessbach zum Interview. Hier produziert seine Firma New Roots Monat für Monat rund 150’000 Stück verschiedenster Käsesorten, die nicht Käse heissen dürfen, weil sie ohne Tiermilch hergestellt werden. Stattdessen wird die Milch aus Cashewnüssen gewonnen. Die Fermentierungsprozesse sind ähnlich wie bei der traditionellen Käseproduktion. Weil die Nachfrage nach veganem Käse so schnell wächst, stiess die junge Firma schon mehrfach an Kapazitätsgrenzen. Anfang Jahr haben Hunziker und sein Team bereits den vierten Umzug in sechs Jahren organisiert. Gut möglich, dass auch die 2500 Quadratmeter, die jetzt zur Verfügung stehen, nicht lange ausreichen werden.

Vom Unfall zur Geschäftsidee

Denn die Firma wächst jährlich um 80 Prozent und mehr. Manchmal staunt Freddy Hunziker selber über diese Dynamik. Vor sechs Jahren lag der damals 21-Jährige im Spital, ein komplizierter Oberschenkelbruch zwang ihn zum Nichtstun. Hunziker war kein pflegeleichter Patient, er schluckte keine Schmerzmittel und wollte partout keine tierischen Produkte essen. Sein Vater, gelernter Maurer und später Polier und Goldschmied, sei ein «Rohköstler», erzählt Hunziker; zudem habe ihm der Triathlet Brendan Brazier imponiert, der mit veganer Ernährung Bestleistungen erzielte. Hunziker selber lebt seit seinem zwölften Lebensjahr vegetarisch und stellte nach dem schweren Unfall auf vegane Ernährung um.

Hunziker ernährt sich auch selbst seit einigen Jahren vegan. 

Sein zertrümmerter Oberschenkelknochen sei schneller wieder zusammengewachsen, als die Ärzte erwartet hätten, erinnert sich Hunziker. Und ihm wurde in dieser Zeit klar, dass er problemlos auf fast alle tierischen Produkte verzichten konnte – nur den Käse vermisste er schmerzlich. Kaum war er wieder auf den Beinen, entschloss sich der gelernte Polymechaniker, auf eigene Faust das Käsereihandwerk zu erlernen. Er schaute einerseits den Profis über die Schultern und lernte alles über Milchsäurevergärung und Käsereifung. Andererseits experimentierte er mit pflanzlichen Milchalternativen aus Soja, Mandeln, Buchweizen und Haselnüssen. Erst die Arbeit mit Cashewnüssen brachte den Durchbruch.

Hunziker lancierte mit seiner damaligen Partnerin Alice Fauconnet die gemeinsame Firma, verkaufte die pflanzlichen Streich- und Weichkäse-Alternativen erst auf dem Markt und in lokalen Läden in Thun, bald zusätzlich über Bioläden und Reformhäuser. Der Start gelang so gut, dass die Milchbranche juristisch gegen den Quereinsteiger vorging, um zu verhindern, dass Hunziker seine Produkte weiter als Käseersatz anpreisen konnte. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch. 2018 wurden die New-Roots-Produkte bei Coop gelistet, 2020 nahm die Migros sie ins Sortiment auf. Auch in Deutschland, Frankreich, England und Holland sind die veganen Produkte aus dem Berner Oberland zunehmend gefragt.

Zielgruppe Flexitarier

Ein Grund für den Erfolg ist, dass Hunziker und sein 24-köpfiges Team sich zwar als «vegane Molkerei» bezeichnen, das Zielpublikum aber nicht mehr so eng definieren wie in der Anfangszeit. «Wir essen und leben hier fast alle vegan, aber wir produzieren gesunde, natürliche Nahrungsmittel für Flexitarier», sagt Hunziker. Zwar sei Tierschutz weiterhin ein wichtiges Anliegen, aber der Verzicht auf industrielle Zusatzstoffe und der schonende Umgang mit Ressourcen gehörten ebenso zur DNA der Firma.

Schlagen die aus Vietnam und Burkina Faso importierten Cashewnüsse da nicht negativ zu Buche im Vergleich mit der heimischen Tiermilchproduktion? Hunziker lacht. Er hört den Einwand oft und hat auf der Firmenwebsite detaillierte Antworten auf solche Fragen aufgelistet. «Wir können aus 500 Gramm Cashewnüssen ein Kilo Käsealternativen herstellen», sagt der 27-Jährige. «Für ein Kilo Kuhmilchkäse braucht es dagegen rund 10 Liter Milch. Und für jeden Liter Milch 630 Liter Wasser.» Zudem würden für Schweizer Nutztiere jährlich 1,4 Millionen Tonnen Futtermittel importiert.

Pflanzliche Lebensmittel sind im Trend

«Die Nachfrage nach pflanzlichen Lebensmitteln ist in den letzten fünf Jahren regelrecht explodiert», sagt Thomas Kindler, Partner bei Blue Horizon. Die Zürcher Beteiligungsgesellschaft investiert seit 2016 in Start-ups, die pflanzliche Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten produzieren. 650 Millionen Dollar hat das von Kindler und dem überzeugten Veganer Roger Lienhard lancierte Unternehmen in vier Jahren bei Investoren eingesammelt.

Blue Horizon hat in sehr frühem Stadium in rund 40 Start-ups investiert, die pflanzliche Fleisch- und Milchersatzprodukte oder Laborfleisch herstellen, etwa in den amerikanischen Marktleader Beyond Meat oder das ETH-Spin-off Planted. 2019 gründete das Team die eigene Holding The Livekindly Collective mit dem Ziel, Firmen in diesem Segment aufzukaufen und unter einem Dach zu konsolidieren. Als Chef wurde der erfahrene Unilever-Manager Kees Kruythoff eingesetzt, der die Türen zu den grossen Detailhändlern öffnen kann. Zu den wichtigsten Akquisitionen des letzten Jahres gehören die Firmen Like Meat, Fry’s Food und No Meat.

Unterstützung durch Investoren

Auch Kindler betont, es gehe nicht darum, Produkte für den Nischenmarkt der Veganer herzustellen. «Wir wollen die 96 Prozent Flexitarier erreichen, die wissen, dass es weder für die Umwelt noch für ihre Gesundheit gut ist, wenn sie an sieben Tagen pro Woche Fleisch und Kuhmilch konsumieren.» Entscheidend sei, dass die pflanzlichen Alternativen gut schmeckten, leicht erhältlich und preiswert seien.

Bestseller der Firma sind Camembert-Imitationen mit Weissschimmelhülle. 

Bei New Roots hält Blue Horizon einen Minderheitsanteil. Kindler ist seit mehreren Jahren mit Hunziker in Kontakt und bringt seit letztem Jahr im Verwaltungsrat seine internationale Managementerfahrung ein. Nächste Ziele sind, die New-Roots-Produkte auch auf dem nordamerikanischen und dem asiatischen Markt zu etablieren und dank der grösseren Produktionsmenge die Preise weiter senken zu können. Aktuell kosten die Käseersatzprodukte zwischen 6 und 7 Franken, Bestseller ist die Camembert-Imitation mit Weissschimmelhülle für 9 Franken.

Auch Raclette oder Fondue könnten aus Pflanzen kommen

Freddy Hunziker, der bereits mit dem SEF-Award geehrt wurde und dieser Tage vom Wirtschaftsmagazin «Forbes» als einer der besten Jungunternehmer ausgezeichnet wurde, tüftelt derweil mit dem Entwicklungsteam an neuen Produkten. Hat ihn im letzten Jahr vor allem die Lancierung einer Joghurtlinie auf Trab gehalten, beschäftigt ihn zurzeit die Entwicklung eines Hartkäses, der als Reibkäse für Gratins und andere Gerichte verwendet werden kann.

«Die grösste Herausforderung bleibt aber, einen wirklich guten pflanzlichen Raclette- oder Fondueersatz zu kreieren», sagt Hunziker und lässt durchblicken, dass ihm kein Aufwand zu hoch ist, um auch dieses Ziel zu erreichen: «Ich habe mir in den Kopf gesetzt, die Schweizer Käsetradition zu erneuern, indem ich nachhaltige Alternativen anbiete – da komme ich nicht um diese Klassiker herum.»

Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch.