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Justiz vor dem Kollaps
Überlastete Strafverfolger werden zum Politikum

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Die Überlastung der Schweizer Justiz hat drastische Ausmasse erreicht. Kriminelle werden zum Teil milder bestraft, weil Verfahren gegen sie zu lange dauern. Genauso warten zu Unrecht Beschuldigte jahrelang auf einen Freispruch. Dies haben Recherchen dieser Redaktion im Sommer ergeben. Sie zeigten, dass allein letztes Jahr weit über 500’000 neue Fälle bei den kantonalen Staatsanwaltschaften eingegangen sind – der Pendenzenberg wuchs in fünf Jahren um elf Prozent an. «Es ist dramatisch, wirklich dramatisch», sagte der renommierte Strafverteidiger Thomas Fingerhuth damals.

Alarmiert reagierte auch die Politik. Thomas Minder (parteilos) gab im September gestützt auf die Berichterstattung einen Vorstoss ein. Der mittlerweile abgewählte Schaffhauser Ständerat forderte den Bundesrat auf, «einen Bericht zu erstatten, der aufzeigt, weshalb die kantonalen Staatsanwaltschaften zusehends überlastet sind und welche Massnahmen dagegen auf Bundesebene getroffen werden können». Am Mittwoch wird die kleine Kammer das Postulat beraten.

Der Bundesrat hält nichts vom Ansinnen. Die Erarbeitung eines Berichts sei nicht erforderlich, so die Stellungnahme der Regierung zum Vorstoss. Unter anderem sei «sowohl die Anzahl polizeilich bekannt gewordener Delikte wie auch die Anzahl verurteilter Erwachsener seit 2014 rückläufig». Es könne durchaus sein, dass die Pendenzen bei den Staatsanwaltschaften dennoch angestiegen sind. «Allerdings obliegt es den Kantonen, ihre Behörden so zu organisieren und auszustatten, dass sie die anfallenden Aufgaben bewältigen können.»

Eine Einschätzung, die Praktiker erstaunt. Laut dem Berner Generalstaatsanwalt Michel-André Fels hat sich die Zahl der Untersuchungen pro Staatsanwältin und Staatsanwalt im langjährigen Vergleich in gewissen Regionen verdoppelt oder gar verdreifacht. Das gleiche Bild zeige sich bei Berufungen oder Beschwerden. «Währenddessen ist die Personaldecke in vielen Kantonen nicht oder nur kaum angewachsen», sagt der Präsident der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz (SSK).

Interview mit dem Berner Generalstaatsanwalt Michel-André Fels

Herr Fels in seinem Buero am Nordring 8 in Bern




Franziska Rothenbuehler | Tamedia AG

Zwar ist die Strafverfolgung tatsächlich Sache der Kantone. Aber der Bund müsse laut Fels in der aktuellen Problematik miteinbezogen werden – etwa indem er der Bundeskriminalpolizei, der Bundesanwaltschaft oder dem Bundesamt für Polizei ausreichend Personal zur Verfügung stellt. «Wäre dies nicht der Fall, müssten die Kantone, vornehmlich die grösseren Kantone, Fälle führen, für welche an sich Bundeskompetenz besteht», sagt der Generalstaatsanwalt.

Der Vorstoss, den der Ständerat nun am Mittwoch behandelt, geht laut Fels in die richtige Richtung. Und selbst wenn er versenkt würde, so bleibt Bewegung in der Sache. Anwalt Thomas Fingerhuth forderte im Sommer einen runden Tisch, an dem Vertreterinnen und Vertreter der Strafverteidigung, der Gerichte und der Staatsanwaltschaft teilnehmen. «Jeder würde seine eigenen Interessen für einmal draussen lassen.» Und stattdessen gemeinsam Lösungsansätze diskutieren.

Diese Idee stiess auf Anklang. Inzwischen hat sich eine Gruppe von Justiz-Experten getroffen. Mit dabei waren der Erste St. Galler Staatsanwalt Christoph Ill, der Zürcher Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel, der Strafrechtsprofessor und Richter Patrick Guidon sowie die beiden Rechtsanwälte Thomas Fingerhuth und Konrad Jeker. «Es geht darum, die Ideen für effizientere Verfahren zusammenzutragen», sagt Fingerhuth. Danach würden die Beteiligten ihre jeweiligen Berufsverbände konsultieren, in der Hoffnung, von dort ein offizielles Mandat zu erhalten. Dann sollen an einem runden Tisch konkrete Vorschläge ausgearbeitet werden.