Bielerin hat sich abgesetztSchweizer Jihadistin bei radikaler Gruppe in Idlib aufgetaucht
Eine junge Schweizerin, die sich 2014 dem Islamischen Staat anschloss, ist in Nordsyrien wieder aufgetaucht. Sie hat eine etwa vierjährige Tochter.
Um eine junge Frau aus der Bieler Vorortsgemeinde Nidau gibt es grosse Verwirrung. Die Schweizer Jihadistin soll aus einem kurdischen Internierungslager in Nordostsyrien geflüchtet sein, wie die «Tagesschau» von SRF berichtet. Gemäss dem Beitrag ist Arwa B. jetzt verschollen.
Doch Recherchen dieser Zeitung zeigen, dass die 26-jährige Schweizerin zusammen mit ihrer etwa vierjährigen Tochter in der nordwestsyrischen Unruheprovinz Idlib lebt. Dort herrscht eine mit dem Islamischen Staat (IS) verfeindete Islamistengruppe.
Im Konvoi aus Raqqa
Arwa B. war im August 2014 mit einer weiteren Bielerin, Marianne R., zum IS nach Syrien gereist. Dort heiratete sie gemäss Schweizer Gerichtsakten den Winterthurer Jihadisten Hajan D. Dieser wurde Anfang 2015 bei Kämpfen um die kurdische Enklave Kobane in Nordsyrien getötet.
Wie Arwa B. aus dem Gebiet des IS nach Idlib gelangte, ist unklar. Laut dem SRF-Bericht wurde die Schweizerin zuerst von den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) gefangen genommen und im Lager al-Hol interniert. Dort soll ihr die Flucht gelungen sein. Dass sie es aus eigener Kraft quer durch Syrien nach Idlib geschafft hat, ist aber eher unwahrscheinlich.
Personen, die Arwa B. kennen, erzählen dagegen eine ganz andere Geschichte. Demnach habe die Nidauerin mit ihrer Tochter in der IS-Hauptstadt Raqqa gelebt, als diese im Sommer 2017 von den SDF umzingelt und belagert wurde. Als der IS kurz vor der Niederlage stand, vereinbarte er mit den SDF freien Abzug von Kämpfern und deren Familien aus Raqqa. Am Ende verliessen im Oktober 2017 rund 4000 Menschen in einem grossen Konvoi die Stadt. Laut den Informationen aus Syrien befanden sich auch Arwa B., deren Tochter und Marianne R. in diesem Konvoi.
Später setzte sich der Anführer und «Kalif» des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, mit seinen engsten Getreuen und Familienangehörigen durch die zentralsyrische Wüste nach Idlib ab, wo eine IS-Vorhut bereits ein geheimes Abkommen mit den dort tonangebenden Islamisten geschlossen hatte. Al-Baghdadi konnte unerkannt in Idlib in unmittelbarer Nähe der türkischen Grenze unter dem Schutz dieser Jihadistengruppe in einem Gehöft wohnen, angeblich gegen Zahlung einer grösseren Geldsumme. Ende Oktober 2019 kam er dort bei einem
Überraschungsangriff amerikanischer Spezialkräfte um.
Hochgradig radikalisiert
Ob die beiden Schweizer Jihadistinnen zusammen mit dem «Kalifen» oder in einem anderen Konvoi quer durch die Wüste nach Idlib fuhren, ist unklar. Von Marianne R. fehlt jedenfalls seit längerem jede Spur. Arwa B. dagegen lebt mit ihrer Tochter und anderen IS-Jihadistinnen, die zum Teil bewaffnet sind, immer noch in Idlib, nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Die Frau, die immer noch als hochgradig radikalisiert gilt, befindet sich dabei im Herrschaftsbereich der Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham.
In Biel hatte Arwa B. Kontakt mit den Koranverteilern von «Lies!». Anfang 2014 beantragte sie bei den Behörden zum Beispiel eine Bewilligung für eine solche Verteilaktion. Durch «Lies!» kannte sie auch den «Emir von Winterthur», Sandro V., den Chef des schweizerischen Ablegers des Koranverteilprojekts. Ihm wird ab kommendem Montag vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona der Prozess gemacht. Er wollte Arwa B. mit dem Winterthurer Hajan D. verkuppeln, der ebenfalls bei der Koranverteilaktion mitmachte. Darüber hinaus hatte Arwa B. Kontakt mit dem Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS). Dessen Generalsekretärin, Ferah Ulucay, gehörte zum Freundeskreis von Arwa B. Marianne R., die mit der Nidauerin nach Syrien reiste, war ebenfalls im IZRS aktiv, zum Beispiel anlässlich einer Aktion gegen das Nikab-Verbot im Tessin.
Das Auftauchen von Arwa B. und ihrer Tochter lenkt den Blick wieder einmal auf die unschuldigen Schweizer Kinder, die von ihren Eltern zum IS verschleppt oder aber in Syrien geboren wurden. Mit der Tochter von Arwa B. sind nun acht solche Fälle bekannt. Sieben von ihnen befinden sich in kurdischem Gewahrsam. Das Schicksal dieser kleinen Schweizer ist ungewiss, weil Bundesbern keine Anstalten macht, die verlorenen Kinder zurückzuholen.
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