Streit um NationalfeiertagFür Beleidigung der Schweizer Fahne soll es Busse oder Gefängnis geben
Jeder, der das Schweizer Kreuz verunglimpft, müsse bestraft werden: Das fordert SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor. Auslöser ist der 1.-August-Post einer Jungsozialistin.
Mit Flaggen ist nicht zu spassen. Das merkte die 28-jährige Walliser Jungsozialistin Mathilde Mottet, als sie am letzten 1. August auf Instagram eine Wutrede postete. Versehen mit einem Bild, auf dem sie den Mittelfinger vor einer Schweizer Fahne zeigt. Darunter schrieb sie: «All diese Schweizer Fahnen, ich könnte kotzen.»
Der Nationalfeiertag ist für die Juso traditionell ein Anlass, mit Schweiz-Kritik zu provozieren. Doch Mottet, die seit Februar Co-Präsidentin der SP Frauen Schweiz ist, ging besonders weit – und bekam es zu spüren. Es folgte ein Entrüstungssturm, wie sie es nicht erwartet hätte. Hunderte böser Zuschriften bekamen sie und ihre Eltern, beleidigend, drohend. Sie werde brennen, schrieb einer.
Was ebenfalls folgte, war ein Vorstoss im eidgenössischen Parlament. Der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor, der letzten Herbst einen offenen Brief an die Adresse von Mathilde Mottet geschrieben hat, nachdem sie ihm das Gespräch verweigert hatte, will, dass die Beleidigung der Schweizer Flagge künftig in jedem Fall bestraft wird. Heute droht nur dann eine Geld- oder Gefängnisstrafe, wenn die Flagge offiziell, also von einer Behörde, gehisst wurde.
Der Passus «von einer Behörde angebracht» sei im Strafgesetz zu streichen, fordert Addor in seiner parlamentarischen Initiative, die in der Sommersession traktandiert ist.
Schweizer Fahne auf dem Bundesplatz verbrannt
Jean-Luc Addor sagt: «Diese Einschränkung schwächt den Wert unserer Flagge unnötig. Die meisten anderen Länder kennen das nicht.» Tatsächlich ist in Deutschland und Österreich die Beleidigung von staatlichen Hoheitszeichen strafbar, unabhängig davon, wer die Flagge gehisst hat oder wem sie gehört. Und in Österreich ist nicht nur die Flagge geschützt, sondern die Würde des Staates an sich. So kam dort vor einigen Jahren eine deutsche Studentin vor Gericht, weil sie Österreich gegenüber Polizisten als «Nazistaat» bezeichnet hatte.
«Ich bin grundsätzlich für Meinungsäusserungsfreiheit und kann auch dem liberalen Argument etwas abgewinnen», sagt Rechtsanwalt Addor (60), der auch Präsident der Waffenorganisation Pro Tell ist und den militärischen Grad eines Hauptmanns hat.
Doch in der Schweiz sei die Flagge zu wenig geschützt, wie zahlreiche Vorfälle zeigten. Am 1. August 2015 zündeten vermummte Aktivisten auf dem Bundesplatz in Bern eine Schweizer Fahne an. Daraufhin fragte der Tessiner Mitte-Politiker Fabio Regazzi: «Wird das Verbrennen der Schweizer Fahne nicht bestraft?» Nein, befand der Bundesrat. Er hielt an der heutigen Strafrechtsordnung fest. Letztes Jahr wurde am 1. August in Vitznau LU eine am Felsen befestigte grosse Schweizer Fahne verunstaltet. Man werde die Täter ausfindig machen und anzeigen, sagten die Initianten der Fahne. Doch der Strafrechtsartikel «Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen» wird auch in diesem Fall nicht greifen.
In anderen Ländern greife teilweise die soziale Kontrolle und schütze dadurch die Landesflagge, sagt Addor. In den USA etwa, wo sich ein nationaler strafrechtlicher Flaggenschutz nicht durchgesetzt habe. Doch eine Beleidigung des amerikanischen Wappens sei derart verpönt, dass sich kaum jemand getraue, es zu machen. «In der Schweiz ist das offensichtlich anders.»
Im Fall des Instagram-Posts von Mathilde Mottet kann man allerdings nicht sagen, dass die soziale Kontrolle nicht gespielt hätte. Auch, weil Mottet ihre Kritik mit Gesicht und Namen publizierte, und nicht vermummt und anonym wie andere, gab es eine heftige Gegenreaktion in den Kommentaren und Zuschriften. So sehr, dass sie die Verwaltung ihrer Social-Media-Konten vorübergehend jemand anderem übergab, wie sie den Medien sagte. Und sie sprach davon, Anzeige zu erstatten. Ob sie es gemacht hat, ist nicht zu erfahren. Mottet will heute nicht mehr dazu Stellung nehmen.
Nur alle drei Jahre ein rechtskräftiges Urteil
Soll die Schweiz nun also liberal bleiben oder die Flaggenbeleidigung schärfer ahnden, wie dies auch Spanien, Italien, Deutschland und Österreich tun? Die Rechtskommission des Nationalrats hat dies in einem Vorentscheid Mitte April abgelehnt, nun wird demnächst das Plenum entscheiden. Mit der heutigen Gesetzeslage gibt es offenbar nur wenige Verurteilungen, wie der Solothurner Anwalt und Strafrechtsexperte Patrick Hasler sagt. Mit Blick auf die letzten 60 Jahre gab es im Schnitt nur alle drei Jahre ein rechtskräftiges Urteil aufgrund des Strafgesetzartikels 270.
Warum die Schweiz liberaler sei als andere europäische Staaten, darüber könne er nur Vermutungen anstellen, sagt Hasler. «Der Grund dürfte in den unterschiedlichen Auffassungen von staatlichem Schutz und Meinungsfreiheit liegen.» Die Schweiz habe eine starke Tradition der direkten Demokratie und lege grossen Wert auf Meinungsfreiheit. «Diese Haltung verfolgt die Schweiz auch gegenüber Äusserungen, welche den Staat und seine Symbole betreffen.» Gerade zu Deutschland gebe es auch kulturelle Unterschiede, etwa die starke föderale Struktur der Schweiz. Sie führe eventuell zu einer weniger zentralisierten Auffassung von staatlicher Autorität und Schutz, was sich in einer weniger strengen Regelung spiegle.
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