Armee hat mehr Personal als erlaubt Alle rüsten auf – nur Amherd muss die Armee verkleinern
Wie viele Soldatinnen und Soldaten in der Armee eingeteilt sein sollen – darüber herrscht im Bundesrat Uneinigkeit. Derzeit verstösst die Schweizer Armee mit ihrem Personalbestand gegen das Recht.
Am Mittwoch hat der Bundesrat ein brisantes Geschäft beraten – und den Entscheid darüber um eine Woche verschoben. Es geht um die Frage, wie viele Männer und Frauen in der Schweizer Armee eingeteilt sein dürfen. In einer Verordnung über die Organisation der Armee ist dies heute rechtsverbindlich geregelt: «Die Armee verfügt über einen Sollbestand von 100’000 und einen Effektivbestand von höchstens 140’000 Militärdienstpflichtigen.» Beschlossen hat dies die Bundesversammlung im März 2016. Doch diese Werte werden seit Jahren überschritten.
Die Armee unterscheidet zwischen «Sollbestand» und «Effektivbestand», weil sie davon ausgeht, dass bei einer Mobilmachung nicht alle Angehörigen einrücken würden oder könnten. Man will deshalb mit dem Faktor 1.4 sicherstellen, dass im Ernstfall die benötigten 100’000 Personen einsatzbereit wären. Der Effektivbestand beträgt aktuell exakt 147’178 Armeeangehörige. Das sind also rund 7000 Personen mehr als rechtlich vorgesehen.
Dass der Zustand gesetzeswidrig ist, war lange offenbar weder der Armee noch dem Parlament bewusst. Das Online-Medium «Republik» wies im vergangenen Jahr in einem Artikel darauf hin.
Mit Folgen: Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats unter Präsident Werner Salzmann erkundigte sich bei Bundesrätin Viola Amherd (Mitte), ob die Vorwürfe der «Republik» zutreffend seien. In einer Sitzung der Kommission musste Amherd bestätigen, dass der Armeebestand höher ist, als dies die geltende Regelung erlaubt.
Kritik an Amherds Plänen
Amherd machte sich daraufhin an die Lösung des Problems. In der Bundesratssitzung vom Mittwoch schlug sie nun vor, den Effektivbestand in den nächsten Jahren um insgesamt 18’400 Armeeangehörige zu senken. Damit würde der Effektivbestand auf knapp unter 130'000 sinken. Er würde so in den kommenden Jahren auch dann nicht über die erlaubten 140'000 Personen steigen, falls die Rekrutenschulen einen kleinen Zuwachs verbuchten.
Mit dem Vorschlag Amherds waren nicht alle Bundesräte einverstanden, wie dieser Redaktion zwei voneinander unabhängige Quellen bestätigen. Aus anderen Departementen kamen mindestens zwei Mitberichte, in welchen Amherds Pläne hinterfragt werden.
Der eine Mitbericht bezieht sich auf die aktuelle sicherheitspolitische Lage. Der Ukrainekrieg und eine erhöhte Terrorbedrohung aufgrund des Nahostkonflikts würden es nicht erlauben, die Armeebestände zu senken, heisst es darin. Die Armee sei die sicherheitsstrategische Reserve der Schweiz. Diese komme zum Einsatz, wenn zivile Behörden unterstützt und das Land verteidigt werden müssten. Ein Abbau könne deshalb heute nicht angeordnet werden. Stattdessen müsse die rechtliche Grundlage angepasst werden, damit der Bestand beibehalten werden könne.
In einem zweiten Mitbericht wurde bemängelt, dass Amherd keine Vernehmlassung durchgeführt habe. Von einem Abbau des Armeebestands seien vor allem die Kantone betroffen, denn diese hätten künftig schliesslich weniger Armeeangehörige für Schutzaufgaben zur Verfügung. Dies werde jeweils dann relevant, wenn die Kräfte der Polizei für die Gewährleistung der inneren Sicherheit nicht mehr ausreichten.
Dem Vernehmen nach wurde das Thema im Bundesrat angeregt diskutiert. Das Departement von Verteidigungsministerin Amherd muss nun offenbar bis nächste Woche zusätzliche rechtliche Abklärungen treffen.
«Kein Land baut in dieser Situation Soldaten ab»
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) reagiert empört auf die Bestandssituation bei der Schweizer Armee. Anja Gada, politische Sekretärin der GSoA, kritisiert, seit Jahren gebe es einen gesetzeswidrigen Zustand, den zuerst eine Zeitung habe aufdecken müssen. Das sei störend.«Wer, wenn nicht der Staat selbst, hat sich an die eigenen Gesetze zu halten», fragt sie rhetorisch. «In allen anderen Staatsbereichen würde ein solch illegales Verhalten zu einem riesigen Aufschrei führen.» Die GSoA erwartet, dass sich auch die Armee an die eigenen Gesetze hält, so Gada.
Der Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats, Mauro Tuena (SVP), hält dagegen. Er argumentiert, alle aktuellen Armeeangehörigen müssten eingeteilt bleiben. «Die Sicherheitslage ist international derart fragil, dass es auch in der Schweiz ganz wichtig ist, mehr Soldaten zur Verfügung zu haben.» Man könne nicht nur neues Material kaufen, es brauche auch genügend Militärdienstpflichtige. Tuena sagt weiter: «Kein Land baut in dieser Situation Soldaten ab.» Die Verordnung müsse angepasst werden, damit sie der neuen Bedrohungslage entspreche.
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