Verhandlungen mit der EUTiefere Studiengebühren gegen einen Hebel bei der Zuwanderung: Bringt dieser Deal den Durchbruch?
Studierende aus der EU sollen gleich viel bezahlen wie Einheimische. Dieses Angebot an Brüssel könnte der Schweiz doch noch eine Art «Schutzklausel» bei der Zuwanderung ermöglichen.
- Die Schweiz erwägt tiefere Studiengebühren für EU-Studierende als Konzession an die EU.
- Im Gegenzug hofft die Schweiz auf Zugeständnisse bei der Personenfreizügigkeit.
- Kantone haben teils Einwände gegen diesen Plan – weil ihnen Geld fehlen würde.
Die Absage der EU wirkte endgültig: Die Schweiz solle keine Schutzklausel bekommen, um die Zuwanderung einseitig kontrollieren zu können. So klang es vor wenigen Wochen aus Brüssel. Trotzdem scheint eine Schutzklausel noch nicht vom Tisch zu sein. Das Team von Aussenminister Ignazio Cassis erhofft sich einen Deal: Die Schweiz soll Studierenden aus dem EU-Raum entgegenkommen und im Gegenzug Zugeständnisse der EU bei der Personenfreizügigkeit bekommen.
Klappt der Deal, käme er gerade noch rechtzeitig, denn die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU gehen in die entscheidende Runde. Am Mittwoch hat der Bundesrat festgelegt, was er in der letzten Phase noch erreichen will – und wo er allenfalls zu Konzessionen bereit ist. Details gab er nicht preis – sondern teilte lediglich mit, er habe die zuständigen Departemente beauftragt, die Verhandlungen weiterzuführen.
Personenfreizügigkeit ist das Thema, das in der Schweiz derzeit am heissesten diskutiert wird. Zwar hat die EU der Schweiz bereits gewisse Ausnahmen zugestanden, um eine Zuwanderung ins Sozialsystem zu verhindern. So sollen erwerbslose EU-Bürger etwa ihr Aufenthaltsrecht verlieren können, wenn sie sich nicht um Arbeit bemühen. Die Schweiz möchte aber zusätzlich eine Schutzklausel, damit sie die Zuwanderung notfalls begrenzen kann.
Dem Vernehmen nach will die Schweiz im Gegenzug auf höhere Studiengebühren für ausländische Studierende verzichten. Über diese Möglichkeit haben bereits andere Medien berichtet. Es handelt sich um eine der sogenannten Kreuzkonzessionen, über die der Bundesrat am Mittwoch diskutiert hat. Was so viel heisst wie: Man bietet der EU in einem Bereich etwas an und bekommt dafür in einem anderen etwas zurück.
Tiefere Studiengebühren als Zugeständnis
Auch die EU scheint einen solchen Deal in Betracht zu ziehen. Das EU-Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages schrieb in einem Bericht vom 4. November, die Verhandlungen zur Personenfreizügigkeit gestalteten sich kompliziert, «nicht zuletzt aufgrund der neuen Forderung der Schweiz nach einseitigen Schutzklauseln».
Die EU-Kommission lehne diese Forderung ab, «erwägt jedoch im Gegenzug, die Freizügigkeit der EU-Studierenden in der Schweiz durchzusetzen». Laut Quellen in Bern konnte die Forderung nach Freizügigkeit der EU-Studierenden auf die Studiengebühren reduziert werden.
Bei der Schutzklausel geht es um eine Präzisierung der heutigen Bestimmung im Personenfreizügigkeitsabkommen. Diese erlaubt der Schweiz, temporäre Massnahmen gegen Zuwanderung zu ergreifen bei «schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen». Doch was heisst das genau? Die Schweiz möchte dies präzisieren. Offen ist, ob dabei auch eine Zahl genannt wird. Also ob es etwa heisst: Wenn die Zuwanderung um einen bestimmten Prozentsatz über dem Durchschnittswert der vergangenen Jahre liegt, kann die Schweiz Massnahmen ergreifen.
Schweizer Universitätskantone zeigen sich skeptisch
Innenpolitisch gibt es allerdings Hindernisse für die Konzession bei den Studiengebühren. Zum einen hat das Parlament erst im September im ETH-Gesetz explizit festgelegt, dass Studierende mit Wohnsitz im Ausland an der ETH mindestens dreimal so hohe Gebühren bezahlen müssen wie Studierende, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben. Dieser Entscheid wäre hinfällig.
Zum anderen würde Universitäten und Kantonen Geld fehlen. Allenfalls müsste der Bund in die Bresche springen, was bei der aktuellen Finanzlage nicht ganz einfach wäre. Dem Vernehmen nach wurden die Kantone dazu konsultiert. Jene mit Hochschulen zeigten sich skeptisch. Auch, weil sie über die Gebühren die teils stark wachsende Zahl ausländischer Studierender besser kontrollieren können.
Im Bundesrat dürfte ein solcher Deal – sofern er zustande kommt – dennoch eine Mehrheit finden. Die Regierung hat ein grosses Interesse daran, das ganze Vertragspaket ins Parlament zu bringen. Und dort dürfte eine Formulierung, die als «Schutzklausel» bezeichnet werden kann, ein Vorteil sein. Namentlich die Mitte-Partei forderte in den vergangenen Monaten eine solche Bestimmung.
Kohäsionszahlungen zum Schluss
Ein weiteres heisses Eisen in der letzten Verhandlungsphase ist die Höhe der Kohäsionszahlungen, welche die Schweiz im Gegenzug zur Teilnahme am Binnenmarkt entrichten soll. Darüber will der Bundesrat aber offenbar erst ganz zum Schluss entscheiden. Involvierte rechnen nach wie vor damit, dass im Dezember oder allenfalls Anfang 2025 eine Einigung vorliegt.
Der Bundesrat traf am Mittwoch auch einen Grundsatzentscheid zur Teilnahme am EU-Programm Erasmus+, das Studierenden einen Austausch ermöglicht: Er strebt eine Assoziierung per 2027 an.
Weiterhin laufen nicht nur zwischen Brüssel und Bern Verhandlungen, sondern auch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. So sollen innenpolitisch Massnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Löhne geschützt sind. In Bundesbern werden zudem bereits Texte vorbereitet, die in der Botschaft stehen sollen, welche der Bundesrat nächstes Jahr ins Parlament schicken könnte. Dieses Dokument dürfte Hunderte Seiten lang werden.
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