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Neuer EU-Plan des Bundesrates
Schweiz steht wieder am gleichen Punkt wie vor zwölf Jahren

Bundespräsident Ignazio Cassis (Mitte) mit Bundesrat Guy Parmelin und Bundesrätin Karin Keller-Sutter auf dem Weg zur Medienkonferenz über die europapolitischen Pläne des Bundesrates.
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Bundespräsident Ignazio Cassis sprach vor den Medien nicht vom «Reset-Knopf», aber von einem Neubeginn: Rund zehn Monate nach dem Ende des Rahmenabkommens hat der Bundesrat entschieden, wie es mit der EU weitergehen soll. Er hat die Stossrichtung für ein Verhandlungspaket verabschiedet. 

Der Bundesrat will ganz von vorn beginnen – und diesmal einen anderen Weg einschlagen: «Ein Rahmenabkommen 2.0 ist für den Bundesrat keine Option», sagte Cassis. Stattdessen sollen die institutionellen Fragen – die dynamische Rechtsübernahme und die Streitbeilegung – nun in den einzelnen Binnenmarktabkommen geregelt werden. Cassis sprach auch von Ausnahmen und Schutzklauseln, wohl mit Blick auf die Personenfreizügigkeit.

Der Bundesrat wählt damit einen Ansatz, den die EU bislang stets abgelehnt hat. «Wir können die institutionellen Fragen nicht von Fall zu Fall lösen», sagte Cassis’ EU-Ansprechpartner Maros Sefcovic in einem Interview.

Warum also glaubt der Bundesrat, dass dieser Weg ans Ziel führen kann? 

Erstens sieht er keine Alternative. Das Rahmenabkommen sei für die Schweiz unverdaubar gewesen, sagte Cassis, ein zu grosser Schritt. Zweitens setzt der Bundesrat auf einen Paketansatz mit neuen Binnenmarktabkommen zu Strom und Lebensmittelsicherheit sowie Assoziierungsabkommen zu Forschung, Gesundheit und Bildung. Die Hoffnung besteht darin, dass für die EU genügend Interessantes dabei ist. 

Drittens ist der Bundesrat bereit, eine Verstetigung des Kohäsionsbeitrags zu prüfen, also regelmässige Kohäsionszahlungen an die EU. Daneben hebt er hervor, wie wichtig die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU seien – und zwar auch für die EU, wie Wirtschaftsminister Guy Parmelin betonte.

Ob die EU interessiert ist, unter diesen Voraussetzungen mit der Schweiz zu verhandeln, soll Staatssekretärin Livia Leu herausfinden: Sie wird nun Sondierungsgespräche aufnehmen. Sollten diese gut verlaufen, plant der Bundesrat dem Vernehmen nach, bis im Sommer ein Verhandlungsmandat zu verabschieden.

Innenpolitische Europa-Allianz schmieden

Auch innenpolitisch will der Bundesrat anders vorgehen als beim gescheiterten Rahmenabkommen, für das es kaum Rückhalt gab. Er will frühzeitig ausloten, welche Kompromisse für die Sozialpartner und die Kantone tragbar sind, und so das Terrain bereiten für abgestützte Lösungen. Beim Rahmenabkommen habe es erst am Ende Konsultationen gegeben, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter dazu. Man wolle «die Fehler der Vergangenheit» nicht wiederholen. 

Die Gespräche mit Sozialpartnern und Kantonen soll Alt-Staatssekretär Mario Gattiker führen, auf Basis eines Berichts zu Regelungsunterschieden zwischen Schweizer Recht und EU-Recht. Die Auslegeordnung hat der Bundesrat veröffentlicht – nicht aber die politische Bewertung und die 17 Handlungsoptionen, die Gattiker daraus abgeleitet hat. Diese hält der Bundesrat mit Blick auf mögliche neue Verhandlungen mit der EU unter Verschluss: Die EU soll nicht im Voraus wissen, wo die Schweiz Spielraum für Kompromisse sieht.

Der Bundesrat hatte den Bericht ausarbeiten lassen, um zu klären, in welchen Punkten die Schweiz ihr Recht jenem der EU angleichen könnte, um Reibungsflächen bei den Verhandlungen zu reduzieren. «Wenig überraschend» habe sich gezeigt, dass die grössten Reibungsflächen bei der Personenfreizügigkeit bestünden, sagte Keller-Sutter. Das Rahmenabkommen ist unter anderem deshalb gescheitert, weil die Schweiz befürchtete, sie müsste die Unionsbürgerrichtlinie der EU übernehmen. EU-Bürger erhielten damit leichter Zugang zu den Schweizer Sozialwerken.

Kleinere Anpassungen möglich

In manchen Punkten unterscheiden sich die Bestimmungen der Unionsbürgerrichtlinie allerdings nicht wesentlich von jenen des Personenfreizügigkeitsabkommens, wie der Bericht zeigt. Das gilt namentlich für die Rechte von Arbeitnehmenden und Familienangehörigen. Hier könnte die Schweiz Anpassungen vornehmen, die nicht gegen ihre Grundsätze verstossen.

Entgegen kommen könnte die Schweiz der EU zum Beispiel auch bei den Niederlassungsbewilligungen: Heute erhalten Staatsangehörige der dreizehn «neuen» EU-Mitgliedsstaaten grundsätzlich erst nach einem Mindestaufenthalt von zehn Jahren eine ordentliche Niederlassungsbewilligung, während das für Staatsangehörige der «alten» Mitgliedsstaaten bereits nach fünf Jahren möglich ist.

Ob Anpassungen dieser Art etwas an den grundsätzlichen Differenzen ändern würden, ist offen. Fest steht, dass die Schweiz wieder ganz am Anfang steht – ungefähr am gleichen Punkt wie 2010, als die Sondierungsgespräche zur Regelung institutioneller Fragen begannen. In der Zwischenzeit haben sich allerdings die Beziehungen zur EU verschlechtert.

Der neue Anlauf wird in der Schweiz zwar begrüsst. Zum sektoriellen Ansatz sind die Meinungen aber geteilt. Dies sei ein möglicher Weg, schrieb der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Die SP dagegen hält den Ansatz für unrealistisch. Die EU-Kommission kommentiert die Pläne des Bundesrates vorerst nicht. Sie will das erst dann tun, wenn sie von der Schweizer Regierung einen offiziellen Vorschlag erhält, wie Kommissionssprecherin Anitta Hipper sagte.