Folge der KonzernverantwortungsinitiativeKinderarbeit wird «so weit wie möglich» vermieden
Seit diesem Jahr müssen grosse Konzerne berichten, wie sie mit Kinderarbeit, Umweltverschmutzung und Korruption umgehen. Diese Regeln sollen nun auf kleinere Firmen ausgedehnt werden.
Kinderarbeit, Umweltverschmutzung, Korruption: Grosse Schweizer Konzerne müssen seit diesem Jahr berichten, wie sie mit solchen Risiken umgehen. Es ist eine Folge der Konzernverantwortungsinitiative. Deren Ziel war es, Konzerne haftbar zu machen für Verfehlungen in der Lieferkette. Doch die Initiative scheiterte im Herbst 2020 am Ständemehr. Umgesetzt wurde der Gegenvorschlag des Parlaments: Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden und einer bestimmten Finanzkraft müssen Rechenschaft ablegen, für manche gelten gewisse Sorgfaltspflichten.
Nun sollen diese Regeln auf mehr Unternehmen ausgedehnt werden. Der Bundesrat wird voraussichtlich am Mittwoch die Vernehmlassung dazu eröffnen. Der Grund: In der EU sind Unternehmen schon ab 250 Mitarbeitenden verpflichtet, Nachhaltigkeitsberichte vorzulegen. Das soll neu auch in der Schweiz gelten. Zudem soll künftig eine externe Revisionsstelle die Berichterstattung überprüfen.
Doch was haben die Regeln bisher bewirkt? Ein Blick in die ersten obligatorischen Nachhaltigkeitsberichte zeigt: Die Konzerne legen ausführlich dar, wie wichtig ihnen hehre Grundsätze sind.
In den Berichten stehen viele Sätze wie diese (übersetzt aus dem Englischen):
«Nachhaltigkeit ist ein Schlüsselaspekt unserer strategischen Prioritäten.» (Glencore – Rohstoffunternehmen aus Baar ZG)
«Die unternehmerische Nachhaltigkeit beginnt mit dem Wertesystem eines Unternehmens und einem prinzipienbasierten Ansatz für seine Geschäftstätigkeit.» (Metalor – Edelmetallverarbeiter aus Neuenburg)
«Lindt & Sprüngli verurteilt alle Formen von Kinderarbeit aufs Schärfste.» (Lindt & Sprüngli – Schokoladenproduzent aus Kilchberg ZH)
Der Nachhaltigkeitsbericht der Schokoladenfirma Lindt & Sprüngli umfasst rund 150 Seiten. Ein Kapitel ist der Kinderarbeit gewidmet: Im Kakao-Geschäft in Westafrika sei das eine komplexe Herausforderung, schreibt das Unternehmen. Es sei fest entschlossen, Kinderarbeit «so weit wie möglich» zu vermeiden.
«So weit wie möglich»: Die Koalition für Konzernverantwortung, die für strengere Regeln kämpft, sieht sich durch diese Formulierung bestätigt. «Solche Versprechen hört man von der Schokoladenindustrie seit Jahren. Doch solange Konzerne für Kinderarbeit nicht geradestehen müssen, wird sich nichts ändern», sagen die einstigen Initianten.
16’000 Kontrollbesuche durchgeführt
Die Unternehmen berichten freilich auch über Massnahmen, die sie ergriffen haben. So schreibt das Unternehmen Lindt & Sprüngli, es weise Lieferanten an, einen risikobasierten Ansatz zu verfolgen, um Kinderarbeit in der Lieferkette zu identifizieren. Von Lieferanten in Risikoländern erwarte man, dass sie Kontrollbesuche durchführten.
2023 gab es gemäss dem Bericht rund 16’000 solche Besuche. Sie führten laut dem Schokoladenhersteller dazu, dass 800 Kinder «keine Arbeit mehr leisten, die als Kinderarbeit eingestuft wird», und dafür anderweitig unterstützt würden.
Dazu schreibt die Koalition für Konzernverantwortung, der Konzern erwähne mit keinem Wort, dass er sein Programm für nachhaltigen Kakao einfach an einen Rohstoffhändler ausgelagert habe, statt selber hinzuschauen. Aus Sicht der Koalition sind Nachhaltigkeitsberichte vor allem eines: eine Plattform für Selbstlob. Gravierende Zwischenfälle würden oft nicht einmal erwähnt.
Den Nutzen von Nachhaltigkeitsberichten bezweifeln nicht nur die einstigen Initianten: Eine Studie des Wirtschaftsinstituts der Freien Universität Berlin kam 2019 zum Schluss, die Berichterstattungspflicht könne von Unternehmen dazu missbraucht werden, ihren Umgang mit Menschenrechten und Umwelt zu beschönigen.
Die Unternehmen dagegen äussern naturgemäss andere Sorgen. Insbesondere betonen sie in Gesprächen jeweils den grossen Aufwand, der ihnen die neue Berichterstattungspflicht beschert hat. «Ein multinationales Unternehmen hat dafür offenbar 80 Vollzeitmitarbeiter abgestellt», klagte FDP-Präsident und Ständerat Thierry Burkart in einem Parlamentsvorstoss vom März.
Bisher mussten über 200 Unternehmen Bericht über ihre Bemühungen ablegen. Dazu gehören bei weitem nicht nur die Nestlés, Syngentas und Glencores, sondern auch Kantonsspitäler und Regionalbahnen. Nicht alle diese Firmen mussten Dutzende Personen für ihre Nachhaltigkeitsberichte abstellen. Doch im Grundsatz dürfte gelten: Je kleiner ein Unternehmen ist, desto aufwendiger ist die Thematik im Vergleich zu seiner Grösse.
«Der Aufwand, der dahintersteckt, ist beträchtlich», schreibt ein Sprecher des Kantonsspitals Baden. «Wir haben diesen Effort mit den bestehenden Ressourcen bewältigt.» Die Berner Insel-Spitalgruppe dagegen meldet, sie habe ein Team von sechs Personen aufgebaut und werde von einem externen Beratungsbüro unterstützt. Die Regionalbahn BLS hat drei Personen dafür angestellt.
EU ist schon einen Schritt weiter
Die Sorge von FDP-Präsident Burkart ist, dass die Berichterstattungspflicht bei einer Ausweitung auf Unternehmen ab 250 Angestellten zu einer noch grösseren Belastung wird. Künftig wären 3500 Firmen betroffen.
Problematisch wäre für Burkart vor allem, wenn sich der Bundesrat beim sogenannten Reportingstandard an der EU orientieren würde. Dabei geht es darum, wie detailliert welche Belange durchleuchtet werden müssen. Der Standard der EU gilt als deutlich strenger als jene, die zum Beispiel in den USA, im Vereinigten Königreich oder in Singapur gelten.
Diese technische Diskussion dürfte allerdings bloss den Aufgalopp für eine grundsätzlichere bilden: Vor kurzem hat die EU eine weitere Richtlinie verabschiedet, die viel weiter geht – und stärker im Geist der ursprünglichen Konzernverantwortungsinitiative formuliert ist.
Sie verpflichtet grosse Unternehmen dazu, Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten und ihre klimaschädlichen Emissionen zu reduzieren. Nationale Aufsichtsbehörden müssen die Einhaltung der Pflichten kontrollieren und Verstösse mit Bussen ahnden. Und: Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden können vor Gericht auf Schadenersatz klagen. Die EU-Staaten müssen die Richtlinie innerhalb von zwei Jahren umsetzen.
In der Schweiz arbeitet die Koalition für Konzernverantwortung derweil eine nächste Volksinitiative aus, in Anlehnung an die neue EU-Richtlinie. Die orangen Konzernverantwortungsfahnen, die den Abstimmungskampf vor vier Jahren prägten und bis heute an vielen Balkonen hängen: Sie dürften bald wieder aktuell werden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.