Streit um Hilfe für Dritte WeltSchweiz erschwert Aufbau lokaler Impfproduktion in ärmeren Ländern
Der Bundesrat prüft, ob die Schweiz in eine eigene Impfstoffproduktion investieren soll. Auch ärmere Ländern wollen eine eigene Fertigung. Dafür brauchen sie Erleichterungen beim Patentschutz und einen Wissenstransfer. Davon will die Schweiz aber nichts wissen, kritisieren NGO.
Es ist ein happiger Vorwurf: Die Schweiz ist mit ihrer Blockadehaltung mit dafür verantwortlich, dass in ärmeren Ländern keine eigene Fertigung von Impfstoffen aufgebaut werden kann. Diese Kritik äussern Nichtregierungsorganisationen wie Knowledge Ecology International und Public Eye.
Konkret geht es um eine Resolution, die Äthopien im vergangenen Dezember bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingebracht hat und die derzeit beraten wird. Diese Resolution, die unter anderem von China, Ghana, Kenia und Südafrika unterstützt wird, hat zum Ziel, die lokale Produktion von Impfstoffen und anderen Heilmitteln gegen Covid-19 in Entwicklungs- und Schwellenländern zu erleichtern.
«Alle Patente der Welt nützen nichts, wenn man nicht weiss, wie man die Wirkstoffe herstellt.»
Der Resolutionstext sieht zum einen Erleichterungen beim Patentschutz-Abkommen Trips vor, mit dem die Welthandelsorganisation Mindeststandards beim Patentschutz weltweit regelt. Zum andern sollen Staaten ihre Pharmaunternehmen ermutigen, beim vom WHO organisierten Technologietransferprogramm C-TAP (kurz für: Covid-19 Technology Access Pool) mitzumachen. «Alle Patente der Welt nützen nichts, wenn man nicht weiss, wie man die Wirkstoffe herstellt», erklärt Paul Fehlner, Ex-Leiter der Patentabteilung von Novartis, der heute unter anderem das US-Pharma-Start-up Revision Therapeutics leitet.
Gemäss dem jüngsten Resolutionsentwurf Äthopiens, der Public Eye vorliegt, steht die Schweiz Patentschutz-Erleichterungen kritisch gegenüber. Darüber hinaus sei die Schweiz das einzige Land, das Vorbehalte habe, dass im Resolutionstext Verweise auf das Technologietransferprogramm C-TAP stehen sollten. «Vor lauter Sorge um den Schutz der Pharmakonzerne vergisst die Schweiz das Recht auf Gesundheit», kritisiert Public Eye.
Ex-Regierungschefs fordern Patentlockerungen
Bereits im vergangenen Oktober hatten Indien und Südafrika bei der WHO eine Resolution eingebracht, welche zeitlich beschränkte Lockerungen der Patentrechte von Impfstoffen und anderen Heilmitteln gegen das Coronavirus fordert. 60 Staaten unterstützen das Vorhaben. Vergangene Woche haben zudem 175 ehemalige Regierungschefs wie Grossbritanniens Ex-Premier Gordon Brown, aber auch Nobelpreisträger sich öffentlich für das Vorhaben eingesetzt.
Eine Patentschutz-Ausnahme bei Covid-Medikamenten «ist ein vitaler und notwendiger Schritt, um diese Pandemie zu beenden», heisst es in dem Schreiben an US-Präsident Joe Biden, das die «Financial Times» publik gemacht hat. Die prominenten Briefautoren verweisen ebenfalls darauf, dass Patente allein nicht genügen, sondern auch ein aktiver Wissens- und Technologietransfer nötig ist, um in Schwellenländern eine lokale Impfstoffproduktion aufzubauen.
«Es ist paradox», kritisiert Public-Eye-Sprecher Oliver Classen, «nach dem Lonza-Hickhack prüft die Schweiz nun offiziell, ob sich der Staat an einer Impfstofffertigung beteiligen soll. Gleichzeitig aber bremst die Schweiz Entwicklungs- und Schwellenländer bei diesem Vorhaben aus.»
Zuständig für die Beratungen bei der WHO ist das Bundesamt für Gesundheit. Zur Frage, warum die Schweiz keinen Hinweis auf einen Technologietransfer im Resolutionstext haben will, will sich das Amt nicht äussern. Begründung: Die Beratungen seien nicht abgeschlossen.
BAG hält an Patentschutz fest
Dagegen bekennt sich das BAG dazu, keine Lockerungen beim Patentschutz zu unterstützten. Dies würde «international grosse Rechtsunsicherheit bedeuten», so die Begründung. Zudem liege die Ursache für die Impfstoffknappheit «nicht beim Patentschutz, sondern an den knappen Herstellungskapazitäten (…)», so das BAG weiter.
Das Amt anerkennt, dass es für solch einen Ausbau der Kapazitäten einen Wissenstransfer braucht. Doch dieser solle «mittels Lizenzvereinbarungen» zwischen den Unternehmen und möglichen Herstellern erreicht werden. «Eine Suspendierung des Patentschutzes würde diese wichtige Zusammenarbeit infrage stellen», argumentiert das BAG.
Das ist exakt die Haltung des Branchenverbandes Interpharma, der ebenfalls auf «freiwillige» Lizenzvereinbarung setzt. Der Verband betont zudem, dass die Industrie alles tue, um die Kapazitäten zu erhöhen. In diesem Jahr hätten die Hersteller Kapazitäten für 10 Milliarden Impfdosen aufgebaut. Zudem arbeite die Industrie eng mit der Impfstoffallianz Gavi zusammen, die das Einkaufsprogramm Covax leitet. 2 Milliarden Impfdosen will Covax bis Ende 2021 verteilen, davon sollen 1,3 Milliarden Dosen gratis an 92 Staaten der tieferen Einkommenskategorie gehen.
Doch nach wie vor ist die Impfstoffverteilung höchst ungerecht:
Laut Covax hat die Einkaufsallianz bis dato ganze 40,5 Millionen Impfdosen an 118 Teilnehmerstaaten abgegeben.
Ex-Novartis-Manager Fehlner weist darauf hin, dass vor allem die USA die Entwicklung von Impfstoffen mit Finanzspritzen und Vorabbestellungen stark beschleunigt haben. Daher wäre es legitim, wenn Staaten solche Investments an Bedingungen knüpfen, zum Beispiel, dass Unternehmen keine Patente einfordern und einen Technologietransfer anbieten.
Die Schweiz habe zwar keine eigenen Impfstoffe. «Aber als wichtiger Pharmastandort hat das Land grossen Einfluss», meint Fehlner. Würde die Schweiz das WHO-Programm für Technologietransfer unterstützen, würde davon ein wichtiges Signal ausgehen.
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