Russland-SanktionenBundesrat will Schweizer Neutralität «flexibel» halten
Der Bundesrat möchte EU-Sanktionen wie jene gegen Russland weiterhin mittragen können. Er beantragt dem Parlament, die Neutralitätsinitiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen.

- Der Bundesrat lehnt die Neutralitätsinitiative ohne Gegenvorschlag ab.
- Würde die Initiative angenommen, könnte die Schweiz EU-Sanktionen wie jene gegen Russland künftig nicht mehr mittragen.
- Aus Sicht des Bundesrates wäre das für die Schweiz schädlich.
- Mit Verstössen gegen die Sanktionen geht die Schweiz anders um als die EU.
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine angriff, zögerte der Bundesrat kurz. Dann beschloss er, die Sanktionen der EU gegen Russland zu übernehmen. Für Christoph Blocher wurde die Schweiz damit zur Kriegspartei. Noch im selben Jahr startete der Verein Pro Schweiz – die Nachfolgeorganisation der Auns – gemeinsam mit SVP-Exponenten die Unterschriftensammlung für die Neutralitätsinitiative.
Die Initianten wollen die Neutralität in der Verfassung genauer definieren. Gegenüber heute würden sich vor allem zwei Dinge ändern: Erstens dürfte die Schweiz nur im Fall eines direkten militärischen Angriffs auf sie mit Militärbündnissen zusammenarbeiten, und zweitens dürfte sie Sanktionen gegen kriegsführende Staaten nicht mittragen – es sei denn, es handle sich um UNO-Sanktionen.
Aus Sicht des Bundesrates würde das den Interessen der Schweiz widersprechen, wie Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) am Mittwoch vor den Medien sagte. Er erläuterte, warum der Bundesrat dem Parlament beantragt, die Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen.
«Die Neutralität ist Teil unserer Identität»
Heute gelten völkerrechtliche Regeln: Als neutraler Staat darf die Schweiz etwa keine Waffen an Kriegsparteien liefern. Zur Diskussion steht nun, was Neutralität darüber hinaus bedeuten soll – und ob eine starre Definition sinnvoll ist.
«Die Neutralität ist Teil unserer Schweizer Identität», betonte Cassis. Der Bundesrat sei von ihrem Wert überzeugt. Aber die Neutralität sei nicht Selbstzweck, sondern ein Instrument zur Wahrung der Interessen der Schweiz. Sie müsse flexibel ausgestaltet und dem «Zeitgeist» angepasst werden können.
Cassis hatte dem Bundesrat vor zwei Jahren ein Konzept der «kooperativen Neutralität» vorgeschlagen. Demnach sollte Neutralität künftig wo immer möglich zugunsten der Zusammenarbeit mit anderen Staaten ausgelegt werden – auch bei der Weitergabe von Schweizer Waffen an andere Länder. Der Bundesrat verwarf die Idee aber. Die Landesregierung sei der Auffassung, dass die Schweiz mit dem bisherigen Neutralitätsbegriff gut gefahren sei, sagte Cassis dazu.
Müssten die Russland-Sanktionen aufgehoben werden?
Würde die Initiative angenommen, dürfte die Schweiz in Zukunft EU-Sanktionen gegen kriegsführende Staaten nicht mehr übernehmen. Unklar ist laut dem Bundesrat, ob früher angeordnete Sanktionen wie jene gegen Russland weitergeführt werden dürften. Unter Umständen müsste die Schweiz beispielsweise auch Sanktionen gegen den Iran aufheben, wenn es zu einem Krieg zwischen dem Iran und Israel käme.
Cassis warf die Frage auf, was passiert wäre, wenn die Schweiz 2022 die Sanktionen gegen Russland nicht übernommen hätte. Und gab die Antwort gleich selbst: Das hätte dem Ruf der Schweiz geschadet und negative Auswirkungen gehabt, sowohl sicherheits- als auch aussen- und wirtschaftspolitisch. Mit einem Sanktionsverbot würde der Handlungsspielraum der Schweiz stark eingeschränkt.
Tiefere Bussen als die EU
Bereits heute steht die Schweiz im Zusammenhang mit Sanktionen zuweilen in der Kritik. Ihr wird vorgeworfen, die Sanktionen gegen Russland zu wenig konsequent umzusetzen. Nun zeigen zwei neue Berichte aus dem Wirtschaftsdepartement, dass es bei den Strafen erhebliche Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU gibt – namentlich dann, wenn Unternehmen gegen Sanktionen verstossen.
In der EU-Richtlinie sind deutlich höhere Strafen für Unternehmen vorgesehen: Je nach Verstoss kann die Busse bis zu 5 Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes oder bis zu 40 Millionen Euro betragen. Gemäss Schweizer Gesetz sind nicht Unternehmen strafrechtlich verantwortlich, sondern Personen. In Bagatellfällen kann auf eine Verfolgung der Person verzichtet und stattdessen das Unternehmen verurteilt werden. Fehlbare Firmen müssen in diesen Fällen maximal 5000 Franken bezahlen, wobei der Bundesrat diese Schwelle auf 50’000 Franken erhöhen will.
«Mit Samthandschuhen»
Aus Sicht des Bundesrates ist die Schweiz dennoch gut gerüstet, um Verstösse gegen Sanktionen zu ahnden. So könne eine Privatperson je nach Schwere der Tat mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug, einer Geldstrafe von bis zu 540’000 Franken oder einer Busse von 100’000 Franken bestraft werden.
Die Mitgliedstaaten müssen die Vorgaben der EU-Richtlinie in ihren Gesetzen umsetzen. Die Schweiz hingegen ist rechtlich nicht daran gebunden. Wollte sie ihre Regeln jenen der EU angleichen, müsste sie laut dem Bundesrat das Embargogesetz ändern.
Solche Änderungen fordert die SP: Die Berichte aus dem Wirtschaftsdepartement zeigten, dass die Schweiz Sanktionsverstösse erschreckend mild bestrafe, schreibt sie. Sanktionsbrecher würden mit «Samthandschuhen» angefasst. Damit nehme die Schweiz in Kauf, als Drehscheibe für Umgehungsgeschäfte zu dienen.
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