Studie von ForausWas «kooperative Neutralität» bedeuten könnte
Die Schweiz soll neutral sein, aber trotzdem ihre Werte vertreten: Sie soll stets auf der Seite des Völkerrechts stehen. Das schlägt die Denkfabrik Foraus vor.
Wie neutral soll die Schweiz sein? In den nächsten Wochen wird der Bundesrat entscheiden, ob er das Konzept der kooperativen Neutralität von Aussenminister Ignazio Cassis mitträgt. Den Begriff verwendete Cassis erstmals am Weltwirtschaftsforum in Davos. In einem nicht veröffentlichten Bericht aus dem Aussendepartement wird die kooperative Neutralität als eine von mehreren Varianten für die künftige Neutralitätspolitik dargestellt. Geht es nach Cassis’ Plan, spricht sich der Bundesrat für diese Variante aus.
Doch was könnte «kooperative Neutralität» bedeuten? Dieser Frage sind Autorinnen und Autoren der Denkfabrik Foraus nachgegangen. Sie haben am Mittwoch eine Studie mit Empfehlungen publiziert, die teilweise, aber nicht vollumfänglich auf Cassis’ Linie sind.
Im Bericht aus dem Aussendepartement wird die kooperative Neutralität als Weiterentwicklung des Status quo verstanden – basierend auf der Prämisse, dass «in der heutigen Welt die Unabhängigkeit und die Sicherheit der Schweiz nur gemeinsam mit anderen erreicht werden können». Das Neutralitätsrecht soll auch künftig eingehalten, aber wo möglich zugunsten der Kooperation ausgelegt werden. Der neutralitätspolitische Spielraum soll für die Kooperation genutzt werden, vor allem in der Sicherheitspolitik.
Waffenlieferungen erlauben?
Konkret würde eine kooperativ neutrale Schweiz nach Cassis’ Vorstellung die Zusammenarbeit mit der Nato und der EU verstärken und die Bestimmungen zu Waffenexporten ändern. Der direkte Export von Kriegsmaterial bliebe zwar verboten, doch würden die Wiederausfuhrbestimmungen gelockert: Partnerländer könnten Rüstungsgüter, die sie zu Friedenszeiten von der Schweiz erworben haben, an andere Ländern liefern. Über Sanktionen würde weiterhin im Einzellfall entschieden.
Foraus schlägt zwar ein ähnliches Konzept der kooperativen Neutralität vor. Die Schweiz soll sich allerdings nicht an geopolitischen Blöcken oder gleichgesinnten Staaten orientieren, sondern an unabhängigen Prinzipien, namentlich am Völkerrecht. Auch werden keine Lockerungen beim Kriegsmaterial empfohlen.
Gemäss dem Konzept von Foraus würde die kooperative Neutralität zu Entscheiden führen, wie sie der Bundesrat im Ukraine-Krieg gefällt hat. So soll die Schweiz weiterhin keine Diplomaten ausweisen und keine Organisationen verbieten, die Kriegspropaganda verbreiten. Sie soll aber unter bestimmten Voraussetzungen Wirtschaftssanktionen übernehmen.
Unabhängigkeit neu denken
Hinter der kooperativen Neutralität steht der Gedanke, dass Neutralität zu einer Stärkung und nicht zu einer Schwächung des Multilateralismus führen sollte. Dies – so heisst es in der Studie – verlange nach einer zeitgemässen Interpretation der Unabhängigkeit der Schweiz. Als Leitlinie soll gelten: «Unabhängigkeit bei der Bildung der aussenpolitischen Positionen, Kooperation in der Umsetzung.»
Von einer Ausgestaltung der Neutralitätspolitik von Fall zu Fall, wie sie der Bericht aus dem Aussendepartement auch zur Diskussion stellt, raten die Autorinnen und Autoren der Foraus-Studie ab. Darunter leide die Glaubwürdigkeit, und Entscheide würden verzögert. Viel mehr brauche es transparente Leitlinien. Die Schweiz soll sich «wertebasiert» positionieren, mit dem Völkerrecht als Kompass: «Die Schweiz steht nicht auf der Seite von Staat A oder Staat B, sondern auf der Seite des Völkerrechts.»
Dies würde der Schweiz erlauben, sich aktiv zu positionieren, statt – wie im Ukraine-Krieg – reaktiv und unter Zugzwang Partei ergreifen zu müssen, heisst es in der Studie. Nur so könne sie vermeiden, zum Spielball von Grossmächten zu werden. Auch Nichtkooperation könne nämlich dazu führen, dass sich die Schweiz zur Komplizin mache. Verzichte sie auf die Übernahme von Sanktionen zur Ahndung von Völkerrechtsverletzungen, spiele die Schweiz dem Rechtsbrecher in die Hände.
Aus diesem Grund ist eine restriktive Neutralitätspolitik, wie sie die SVP mit einer Volksinitiative anstrebt, für die Foraus-Autorinnen und -Autoren keine Option. So verkomme Neutralität zu Gleichgültigkeit, halten sie fest. Für die Zusammenarbeit mit anderen Staaten soll es Kriterien geben. Dialog führen soll die Schweiz aber auch mit Staaten, die das Völkerrecht verletzen.
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