Verfahren gegen Donald Trump34-mal schuldig – doch kann das Urteil Trump aufhalten?
Mag sein, dass Donald Trump jetzt ein verurteilter Straftäter ist. Interessiert viele Republikaner nur herzlich wenig. Über einen Mann, den vielleicht nicht mal eine Haftstrafe daran hindern kann, Präsident zu werden.
Vor dem Gericht in Downtown Manhattan fühlte sich der historische Tag im Verfahren gegen Donald Trump an wie eine Art Karneval. Drinnen waren die zwölf Geschworenen kurz davor, Trump schuldig zu sprechen. Draussen hatte sich eine bunte Schar von Trump-Gegnern und Trump-Fans versammelt, die sich mit einem sportlichen Austausch von Sprechchören bei Laune hielten. Mittendrin sang der «Naked Cowboy», ein stadtbekannter Mann, der mit einem Hut, Stiefeln und einer Gitarre bekleidet ist. Und ja, doch: einer kleinen Unterhose.
Das angestammte Habitat des halb nackten Cowboys ist der Times Square, wo er mit Touristen und vor allem Touristinnen posiert und sich dafür bezahlen lässt. Wer in New York die Zeichen der Stadt lesen kann, der weiss: Wenn der «Naked Cowboy» woanders auftritt als auf dem Times Square, ist etwas wirklich Wichtiges im Gange.
Er sang ein Lied, in dem es darum ging, dass man machen könne, was man wolle, am Ende werde Trump sich durchsetzen. Oder doch nicht? Drinnen im Gericht war später an diesem Donnerstag das Unerhörte passiert. Der Sprecher der Geschworenen hatte 34-mal hintereinander das Wort «schuldig» gesagt (lesen Sie hier die Analyse zum Urteil). Nämlich immer dann, wenn der Richter Juan Merchan einen weiteren Anklagepunkt gegen Trump verlas. Als der Sprecher das Wort zum letzten Mal gesagt hatte, war Trump in allen Punkten der Anklage für schuldig befunden worden. Verknappt gesagt: wegen Bilanzfälschung mit dem Ziel der illegalen Wahlbeeinflussung. Es war ein Moment ohne Beispiel in der Geschichte der USA.
Trump ist seit diesem Zeitpunkt nicht mehr nur der erste ehemalige US-Präsident, der jemals wegen einer Straftat angeklagt wurde. Er ist nun auch der erste ehemalige US-Präsident, der mit dem Makel leben muss, ein erstinstanzlich verurteilter Straftäter zu sein. Nicht zuletzt, und nicht ganz unwichtig, ist er damit auch der erste Straftäter, der sich erneut um die Präsidentschaft bewirbt.
Richter Merchan fragte die Verteidigung nach dem Schuldspruch, ob sie wolle, dass sämtliche Geschworenen noch einmal bestätigten, dass sie in allen 34 Punkten der Anklage einer Meinung gewesen seien. Trumps Anwalt Todd Blanche sagte, dass er das wolle. Merchan befragte sie also alle einzeln. Zuvor hatte Trump es vermieden, die Geschworenen direkt anzusehen. Jetzt aber hob er den Blick und schaute sie an: die zwölf Menschen, die ihn soeben schuldig gesprochen hatten.
Mehr als sechs Wochen lang war am New York Supreme Court in Manhattan verhandelt worden. Gegenstand der Verhandlung war ein Fall, der gleichermassen einfach wie kompliziert war. Die einfache Version: Die ehemalige Pornodarstellerin Stormy Daniels behauptet, dass Trump im Jahr 2006 am Rande eines Golfturniers in Nevada Sex mit ihr hatte. Vor den Wahlen im Jahr 2016 hat er ihr 130 000 Dollar gezahlt, damit sie das für sich behält. Das Geld hat er ihr überwiesen, damit sie seinen Wahlkampf nicht stört. Diese Überweisung hat er später in seinen Geschäftsunterlagen vertuscht.
Die komplizierte Version geht im Wesentlichen wie die einfache Version, aber es kommen die juristischen Details ins Spiel. Die Schweigegeldzahlung ist nicht illegal. Das Vertuschen der Zahlung in den Bilanzen ist im Bundesstaat New York ein Bagatelldelikt, das im Normalfall mit einer Geldstrafe geahndet würde. Die Staatsanwaltschaft argumentierte jedoch, dass Trump durch die Vertuschung der Zahlung in seinen Unterlagen auf illegale Weise Einfluss auf den Wahlkampf genommen habe und dass es sich daher um eine Verschwörung mit dem Ziel handle, die amerikanischen Wählerinnen und Wähler zu hintergehen. Mithin: um eine Straftat.
Das Trump-Lager sieht ein politisches Verfahren
Nicht wenige Rechtsexperten hielten und halten dieses Konstrukt des New Yorker Generalstaatsanwalts Alvin Bragg für gewagt. Ausserdem: Generalstaatsanwälte werden in den USA gewählt, und Bragg war im Jahr 2021 als Demokrat unter anderem mit dem Versprechen angetreten, den Republikaner Donald Trump zur Rechenschaft zu ziehen. Viele Republikaner argumentieren daher, das Verfahren sei politisch motiviert.
Braggs Team von Staatsanwälten gelang es in dem Prozess aber, für die Geschworenen glaubhaft zu belegen, dass Trump gezahlt und die Zahlung vertuscht habe, um explizit den Wahlkampf zu beeinflussen. Es hätte gereicht, wenn eine einzelne Geschworene oder ein einzelner Geschworener sich nicht hätte überzeugen lassen. Deshalb galt es als unwahrscheinlich, dass es zu einem Schuldspruch kommen würde.
In den abschliessenden Instruktionen des Richters gab darin eine interessante Passage, die den Geschworenen einige Freiheiten zu geben schien. Sinngemäss erläuterte Richter Merchan: Wenn Sie abends vor dem Zubettgehen aus Ihrem Fenster auf einen trockenen Bürgersteig schauen, der morgens nach dem Aufstehen überall nass ist, dann können Sie davon ausgehen, dass es nachts geregnet hat, obwohl Sie den Regen nicht selbst gesehen haben.
Bemerkenswerte Analogie
Trumps Anwälte werden in Berufung gehen, und womöglich werden sie sich dann auch auf diese Aussage beziehen. Denn hatte Merchan den Geschworenen damit nicht gesagt: Vertrauen Sie Ihrem gesunden Menschenverstand. Warum in aller Welt sollte Trump kurz vor der Wahl 130’000 Dollar an eine Pornodarstellerin zahlen und diese Zahlung vertuschen? Doch ganz offensichtlich, um deren Aussage zu unterdrücken und so die Wahl zu beeinflussen. So zumindest konnte man Merchans Analogie verstehen.
Es ist in den USA üblich, dass zwischen dem Spruch der Geschworenen und der Urteilsverkündung durch den Richter einige Zeit vergeht. Juan Merchan hat gesagt, er wolle das Strafmass am Morgen des 11. Juli verkünden. Das ist insofern ein bemerkenswertes Datum, als lediglich vier Tage später der Parteitag der Republikaner beginnt, auf dem Trump – davon ist auszugehen – trotz allem zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner ausgerufen wird (lesen Sie hier, wie Trump die Partei gekapert hat).
Schon während des Prozesses war Trump von einer immer grösser werdenden Entourage von republikanischen Politikern begleitet worden. Diese wollten dem Boss offenkundig signalisieren, dass sie an seiner Seite stehen, komme, was da wolle.
Einer der Besucher war Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses und damit die Nummer drei im Staat. Nach dem Spruch der Geschworenen sagte Johnson, es handle sich um einen «schändlichen Tag in der amerikanischen Geschichte». Das Verfahren sei «rein politisch motiviert» gewesen. Es ist das eine, wenn das der wütende Angeklagte behauptet. Es ist etwas anderes, wenn das der ranghöchste Republikaner des Landes so sagt, als wäre es ein Faktum.
Ins Gefängnis muss Trump kaum
Die Frage aller Fragen nach dem Urteil lautete: Muss Trump ins Gefängnis? Es ist möglich, gilt aber als unwahrscheinlich, dass Merchan den Angeklagten zu einer Haftstrafe verurteilt. Trump hat keine Vorstrafen, er ist 77 Jahre alt, zudem handelt es sich nicht um ein Gewaltverbrechen. Eine Geldstrafe wäre möglich, ebenso ein kürzerer Hausarrest oder eine Bewährungsstrafe.
Die Verhängung einer Haftstrafe ist allerdings auch deshalb nicht ausgeschlossen, weil Trump keinerlei Reue zeigt und den Richter im Konkreten sowie die amerikanische Justiz im Allgemeinen fortwährend attackiert. Dass er von einem «Scheingericht» (im Englischen: kangaroo court) spricht und Richter Merchan «korrupt und voreingenommen» nennt, sind noch die harmloseren Beispiele.
Dass Trump diese Haftstrafe dann aber auch würde antreten müssen, gilt als nahezu ausgeschlossen. Da seine Anwälte auf jeden Fall in Berufung gehen, bleibt er ziemlich sicher gegen Zahlung einer Kaution auf freiem Fuss. Ein Berufungsverfahren wird dann kaum vor den Wahlen am 5. November beginnen.
Die Aussage von Stormy Daniels
In der Begründung der Berufung seitens der Verteidigung dürfte es voraussichtlich auch noch mal um die Aussage von Stormy Daniels gehen. Vor ihrer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft hatte der Richter gewarnt, es solle allein um die für den Fall essenziellen Fakten gehen, nicht aber um Details. Schon gar nicht um solche des mutmasslichen Beischlafs.
Während das Team der Staatsanwaltschaft bestens vorbereitet wirkte, verzettelte sich Trumps Anwalt Todd Blanche oft in mäandernden Ausführungen, in Sätzen ins Nirgendwo. Besonders bei den Schlussplädoyers wurde das deutlich. Blanche trug eine Rede ohne roten Faden vor, Staatsanwalt Joshua Steinglass hingegen lieferte einen fein kalibrierten Vortrag, der die Zweifelnden unter den Geschworenen davon überzeugt haben könnte, das Undenkbare zu tun: einen ehemaligen US-Präsidenten zu einem Straftäter zu erklären.
Von Trump wendet sich kaum jemand ab
Bis zu dem Urteilsspruch der Geschworenen hatten sich Trumps Umfragewerte während des Prozesses kein bisschen verändert. Man musste das wohl so deuten, dass sich das Abstimmungsverhalten bezüglich Trump von der Realität entkoppelt hat. Wer zu ihm hält, hält zu ihm. Wer ihn ablehnt, lehnt ihn ab. Zumindest innerhalb der Republikanischen Partei gilt dabei das Diktum des «Naked Cowboy»: Am Ende setzt sich Trump durch.
Nach dem historischen Schuldspruch trat Donald Trump aus dem Gerichtssaal in Downtown Manhattan, er straffte sich und sagte: «Das wahre Urteil wird am 5. November ergehen.» An diesem Tag wählen die Vereinigten Staaten von Amerika ihren nächsten Präsidenten. Die Jury wird dann nicht aus zwölf Geschworenen bestehen, sondern aus mehr als 160 Millionen registrierten Wählerinnen und Wählern.
Eine frühere Version dieses Artikels wurde am Freitagmorgen um 6 Uhr publiziert.
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