Eishockey-Talente im AuslandEs begann mit einer «Höllenwoche» – auch dieser Zürcher zieht Schweden der Schweiz vor
Gian Meier wechselte mit 18 zum Spitzenclub Frölunda, wartet aber noch auf erste Einsätze. Der Langnauer Jamiro Reber ist ihm da schon voraus. Warum zieht es Schweizer Junioren in den Norden?
- Jamiro Reber und Gian Meier sind zwei von zwölf Schweizer Junioren in SHL-Clubs.
- Schweizer Junioren entscheiden sich immer häufiger für die Ausbildung in Schweden.
- Reber hat sich bereits im Profiteam von HV71 etabliert und spielt sogar im Powerplay.
- Die physische Intensität und der grosse Konkurrenzkampf prägen auch bei Meiers Frölunda Training und Spiel.
Und plötzlich war Gian Meier mitten in seinem Traum. Der Teambus, der die Mannschaft von der heimischen Eishalle aufs Rollfeld zum Flugzeug fährt. Und kaum gelandet, der nächste Bus, der die Reise direkt zum Eingang des gegnerischen Stadions fortführt. Nur wenige Junioren erleben so ein Profi-Debüt wie der 18-Jährige.
Auch wenn er bei diesem Spiel in Skelleftea nur auf der Bank sass und keinen Einsatz erhielt, war es für den jungen Zürcher ein weiteres Erlebnis, das ihn in seinem Entscheid, letzten Sommer nach Göteborg zum Traditionsclub Frölunda zu ziehen, bestärkte.
Meier ist einer von aktuell zwölf Schweizer Eishockey-Junioren, die den letzten Schritt zum Profi lieber in Schweden versuchen. Der Langnauer Jamiro Reber ist der Einzige dieses Dutzends, der diese Saison sogar nur noch im Männerteam seines in Jönköping beheimateten Clubs HV71 eingesetzt wird.
Und nicht nur das: Der Stürmer ist der drittbeste Skorer seines Teams und in der höchsten Liga SHL der einzige 18-Jährige, der sogar im Überzahlspiel einen Stammplatz hat.
Auf die Karte Eishockey gesetzt
Zum Vergleich: Auch wenn in der aktuellen Saison ein Gegentrend festzustellen ist, musste man in den letzten Jahren in der höchsten Schweizer Liga 18-jährige Stammspieler mit der Lupe suchen, geschweige denn solche mit Platz im Powerplay. «Das ist hier in Schweden schon ein wenig anders», sagt Reber.
Er kam bereits im Sommer 2023 zu HV71. Er brach dafür seine KV-Lehre auf der Geschäftsstelle der SCL Tigers ab, er setzte voll auf die Karte Eishockey. Wie Meier sah er in Schweden die beste Ausbildungsmöglichkeit. Kurze Gedanken an einen Wechsel in Kanadas Juniorenliga, wo weniger trainiert, dafür viel gespielt wird, verwarf er wieder. Sein Ziel war klar: sich in der SHL festzusetzen, «weil dies dir viele Optionen für die Zukunft bietet».
Kevin Fiala schaffte es ebenfalls via Jönköping in die NHL, das hat Reber beeindruckt. Der Langnauer erhoffte sich nun in seiner zweiten Saison erste Einsätze im Profiteam. «Dass ich aber von Anfang an so viel Vertrauen und Eiszeit erhalte, hätte ich nicht erwartet», sagt Reber.
Meier wurde von Dean Kukan inspiriert, ihre Mütter sind Kolleginnen. Der heutige ZSC-Profi wechselte 2011 ebenfalls 18-jährig zu Lulea, fünf Jahre später schaffte er es ungedraftet in die NHL. Kukan empfahl Meier das Schweden-Abenteuer. Er sei nicht der Einzige gewesen, sagt Meier: «Egal, mit wem ich sprach, inklusive jener Schweizer, die nun in Schweden sind, jeder sagte: Mach es!»
Bis letzte Saison spielte Meier noch bei der U20 von GCK, sein Juniorenvertrag in der Lions-Organisation läuft noch weiter bis 2026. Beim ZSC-Farmteam sah er noch zu viele Verteidiger vor sich in der Hierarchie, die Schweizer Juniorenmeisterschaft aber war keine wirkliche Option mehr.
Nun erlebt er genau das Erhoffte: «Das Niveau der U20-Meisterschaft ist in Schweden so viel höher als in der Schweiz. Auch darum können die Proficlubs problemlos immer wieder zwei, drei Junioren hochholen.» Vorausgesetzt, und auch das musste Meier erfahren, sie erfüllen auch im Kraftraum die hohen Anforderungen: «Wenn nicht, ist es egal, wie gut du auf dem Eis bist.» Kräftiger und schwerer werden steht darum nach wie vor auf Meiers Prioritätenliste.
Dabei kommt ihm entgegen, dass hartes Training auch während der Saison in der Clubphilosophie verankert ist. Die deutlich höhere physische Intensität forderte Meier heraus: Als «Höllenwoche» bezeichnet er den Anfang im Sommer: «Jeder Tag war gleich, ich war am Ende immer kaputt: Training am Morgen, Essen, Mittagsschlaf, Training am Nachmittag, Essen, Schlafengehen.» Er hat Fortschritte gemacht. Bei Frölundas Junioren ist er Leistungsträger, er darf pro Partie durchschnittlich knapp 20 Minuten aufs Eis und spielt fix im Powerplay.
Kochen, Netflix, Powernap
Reber erlebte bei den Junioren von HV71 vor einem Jahr Ähnliches: «Die grösste Umstellung waren die Intensität und der Konkurrenzkampf in Spiel und Training.» Er sei physisch bereits gut drauf gewesen, sagt Reber. Die langen und harten Trainingstage seien dennoch eine Herausforderung gewesen, auch im mentalen Bereich: «Vor allem gegen November und Dezember, wenn es früh dunkel wird und es ständig schneit oder regnet.»
Von Anfang an lebte Reber allein in der Nähe der etwas ausserhalb gelegenen Heimarena von HV71. Ruhe und Einsamkeit würden ihm nichts ausmachen, sagt er. Er sei selten in der Stadt, zu Hause könne er seine Dinge machen: Kochen, Netflix, Powernap.
Die ersten zwei Wochen im Sommer 2023 verbrachte seine Mutter bei ihm, danach galt es, selbstständig zu werden, Putzen und Waschen inklusive. Es komme vor, dass er auch mal Heimweh spüre, sagt Reber. Dann hilft, dass er täglich mit den Eltern oder den beiden Schwestern telefoniert.
150 Kilometer westlich von Jönköping lernt in Göteborg nun auch Meier Selbstständigkeit. Oder wie er es lachend umschreibt: «Das Mami kann dir nicht mehr alles machen.» Auch er wohnt allein, im gleichen Kleinquartier sind aber zehn weitere Junioren untergebracht, man trifft sich am Abend zum gemeinsamen Kochen. Im Team ist Meier der Einzige, der noch kein Schwedisch spricht, er geht gemeinsam mit Dominik Egli, dem Schweizer Profi Frölundas, wöchentlich in den Sprachkurs.
Vor allem aber, und das war Meiers Hauptziel, wird er in den Trainings ein besserer Eishockeyspieler, bis zu sechs Coachs stehen bei Frölundas Junioren auf dem Eis und arbeiten auch individuell mit den Spielern. Meier begann als Stürmer, erst in der U17 von GCK wurde er zum Verteidiger umfunktioniert. Es war für ihn eine grosse Umstellung: «Das Defensivspiel hatte ich zuvor nie gelernt.» Nun feilt er bei Frölunda auch an diesen Aspekten seines Spiels, gerade auf das Spiel ohne Puck werde in Schweden grosser Wert gelegt, sagt Meier.
Die Überraschung für die Mutter
Reber ist da schon weiter. Weil in Jönköping die Junioren dasselbe Spielsystem haben wie das SHL-Team, war die taktische Umstellung klein. Zudem arbeitete er auch intensiv mit den Trainern, inklusive vieler Videositzungen. Am Bullypunkt zeigt Reber noch Schwächen. Doch weil dies im Erwachsenen-Hockey bei jungen Centern normal ist, liessen sich seine Trainer nicht davon beirren. Sie zeigten ihm schon früh, dass er eine Chance im SHL-Team erhalten würde: Er spielte bereits in der Vorbereitung Powerplay.
«Jamiro hat seine Chance genutzt», sagt Meier. «Ich möchte dasselbe tun, wenn es so weit ist.» Übrigens: Drei Tage nach seinem unverhofften Debüt mit dem SHL-Team in Skelleftea erlebte er dasselbe auch in einem Heimspiel – auf ebenfalls spezielle Art.
Seine Mutter war gerade zu Besuch in Göteborg und freute sich, an diesem Dienstagabend gemeinsam mit ihrem Sohn die Partie der Profis im Stadion schauen zu können. «Sie sagte mir, dass ich für uns unbedingt zwei Tickets organisieren solle», erzählt Meier. «Ich konnte sie überraschen und sagen: Wir brauchen nur eines für dich. Ich stehe im Aufgebot.»
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