Schrulliger ErfolgscoachEr drängt Coco Gauff Süssigkeiten auf und schläft kaum
Fast-Rentner Brad Gilbert feiert mit der 19-jährigen US-Open-Halbfinalistin ein erstaunliches Comeback. So eigenwillig er ist, es funktioniert. Nur seine Musik mag sie nicht.
Wenn Coco Gauff über Brad Gilbert redet, setzt sie ein breites Smile auf. Sie erzählt Storys über einen ziemlich schrulligen 62-Jährigen. «Bevor ich Brad traf, machte ich mir Sorgen, wie es ist, mit einem älteren Mann rumzuhängen. Aber trotz seines Alters ist er wie ein 20-Jähriger, manchmal sogar wie ein 10-jähriger Junge», sagt sie. «Meine liebste Brad-Story: Er spielt fast nur mit Süssigkeiten im Mund und bietet mir die ganze Zeit welche an. Ich nehme sie, aber ich esse sie nicht. Ich bin nicht mehr in einem Alter, in dem ich alle fünf Minuten Süssigkeiten verschlingen kann.»
Was die gesunde Ernährung einer Profisportlerin angeht, ist Gilbert offenbar nicht auf dem neusten Stand. Und auch mit den vielen Statistiken, mit denen Coaches und Spielerinnen heutzutage versorgt werden, kann er nichts anfangen. «Ich vertraue meinen Augen», sagt er.
Diese Augen haben schon viel gesehen. Gilbert coachte Andre Agassi von 1994 bis 2002 zu sechs seiner acht Grand-Slam-Titel und Andy Roddick 2003 zum US-Open-Sieg. Er arbeitete auch mit Andy Murray, neben vielen anderen. Sein Fachwissen ist unbestritten, als TV-Experte für ESPN hat er sich auf dem Laufenden gehalten. Nun feiert er mit Gauff eine erstaunliche Renaissance als Coach.
Seit sie zusammenarbeiten, hat Gauff zwei von drei Turnieren (Washington, Cincinnati) und sechzehn von siebzehn Matchs gewonnen. Am US Open fehlen ihr noch zwei Siege zum Titel. Im Viertelfinal deklassierte sie die Swiatek-Bezwingerin Jelena Ostapenko 6:0, 6:2, nun trifft sie auf Paris-Finalistin Karolina Muchova.
Ihre vorigen Matchs waren indes ein Krampf gewesen. Als ihr Gilbert während der Partie gegen Caroline Wozniacki am Spielfeldrand Tipps geben wollte, sagte sie: «Halt den Mund!» Er nahm es ihr nicht übel. Gauff war bestimmt nicht die Erste, die ihm bedeutete, dass er zu viel redet.
Coach, ESPN-Experte, Interviewer
Das tut Gilbert während des US Open übrigens weiter auch als ESPN-Kommentator und als Platzinterviewer. Am vergangenen Freitag hatte er gerade mal sieben Minuten, um von seiner Rolle als Coach Gauffs in jene des Interviewers zu schlüpfen, der Novak Djokovic in den Gängen des Arthur Ashe Stadium vor dessen Auftritt ein paar Worte entlockt.
Dass Gilbert in Flushing Meadows verschiedene Hüte trägt, gefällt nicht allen. Hinter vorgehaltener Hand reden einige von Befangenheit. Doch offen dazu stehen mag niemand. Denn wer möchte sich schon mit ihm anlegen, der mit seiner Leidenschaft für den Sport und seinem Humor in den USA so beliebt ist?
Ein Tennis-Film als Auslöser
Seine Lust, es nach über zehn Jahren nochmals als Coach auf der Profitour zu versuchen, wurde 2022 durch eine ungewohnte Anfrage geweckt. Die US-Schauspielerin und -Sängerin Zendaya war als Hauptfigur für den romantischen Tennis-Film «Challengers» engagiert worden. Doch es gab einen Haken: Sie hatte keine Ahnung vom Tennis. Also wurde Gilbert angefragt, ob er ihr und den anderen Schauspielern die Sportart beibringen könne, damit sie nicht lächerlich aussehen würden.
Mal was Neues, dachte sich Gilbert und sagte zu. Er trainierte Zendaya und die anderen Schauspieler während dreier Monate in Kalifornien und war dann auch am Set in Boston und New York vier Monate lang dabei. Der Film erscheint erst im April 2024, aber jedenfalls hatte Gilbert wieder Gefallen am Coaching gefunden.
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So verbreitete er in der Szene die Nachricht, dass er wieder verfügbar wäre, sofern sich eine spannende Möglichkeit ergäbe. Als Coco Gauff in Wimbledon in der Startrunde verloren hatte, kontaktierte ihn ihre Agentur Team 8. Es heisst, nicht Federer-Manager Tony Godsick habe ihn angerufen, sondern dessen Assistent Alessandro Sant Albano. Jedenfalls wurde man sich schnell einig.
Das Potenzial von Gauff ist immens. Sie hatte 2022 mit 18 bereits im Paris-Final gestanden, den sie gegen Iga Swiatek verlor. Zuletzt hatte sie aber Mühe gehabt, mit dem Druck an den Grand Slams umzugehen. Sie brauchte eine neue Stimme.
Wie gross der Einfluss von Gilbert ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Unbestritten ist: Er kann die Dinge auf den Punkt bringen. Gilberts Ansatz bei Gauff: Statt sich über ihre Schwächen – ihre Vorhand und ihr Aufschlag wackeln in engen Momenten – Gedanken zu machen, solle sie sich auf ihre Stärken konzentrieren: ihre Athletik und Power, ihre Ausdauer, die Rückhand und ihren krachenden ersten Aufschlag.
Während des Woznacki-Matchs erinnerte er sie daran, dass sie die Dänin in intensive Ballwechsel verwickeln solle. Das war nicht falsch. Aber Gauff wollte auf dem Court einfach einen kurzen Moment der Ruhe, um in sich zu gehen.
Er schrieb die Tennis-Bibel
Die eigenen Stärken ausspielen, die Schwächen der Gegnerin finden – das war schon immer die Philosophie von Gilbert. Weil er selber kein besonders talentierter Spieler war, überlegte er sich schon zu seiner Aktivzeit, wie er sein Gegenüber aus dem Konzept bringen könnte. So schaffte er es bis auf Rang 4 der Welt. Über seine Tricks schrieb er später die Tennis-Bibel «Winning Ugly».
Gauff ist nicht bekannt als dreckige Spielerin, aber ein bisschen Gilbert steckt inzwischen in ihr. So beklagte sie sich in New York bei der Schiedsrichterin, ihre Gegnerin Laura Siegemund würde sich zu viel Zeit nehmen zwischen den Ballwechseln. Worauf das Publikum ihren Ärger zu teilen begann und die Deutsche immer wieder auspfiff. In ihrer Pressekonferenz brach Siegemund darauf in Tränen aus.
So weit, so gut, zumindest für Gauff und Gilbert. Dieser teilt sich die Arbeit übrigens mit dem 35-jährigen Spanier Pere Riba, der im Coaching noch nicht so erfahren ist. Denn wegen seiner TV-Verpflichtungen kann Gilbert nicht immer im Training dabei sein. Dafür kümmert er sich nebenbei um die musikalische Allgemeinbildung von Gauff. Er schickte ihr Playlists der 1960er- und 1970er-Jahre und versucht, sie für Tom Petty, Bruce Springsteen oder die Eagles zu begeistern. Vorerst noch ohne Erfolg. Sie hört lieber die City Girls, eine Hip-Hop-Band aus Miami.
So ernst sie die Tennis-Tipps von Gilbert nimmt, über seine Eigenheiten muss sie immer wieder schmunzeln. «Er mag keine geraden Zahlen. Wenn ich ihn frage, welche Zeit es ist, sagt er 1.53 oder 1.59 Uhr. Er würde nie etwas Normales sagen wie 12 Uhr. Er ist ein wirklich verrückter Mann. Er schläft kaum. Während des Turniers in Washington stand er jeweils um halb vier Uhr morgens auf und ging spazieren.» Der schlaflose Coach in der Stadt, die angeblich nie schläft – das müsste am US Open doch passen.
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