Deutschlands Ukraine-PolitikScholz versteckt sich hinter den USA
Nach Monaten hat der Kanzler wieder mit Wladimir Putin gesprochen. Die Grünen und die FDP beknien ihn, der Ukraine endlich Kampf- und Schützenpanzer zu liefern.
Erstmals seit Ende Mai hat der deutsche Bundeskanzler am Dienstag mit Wladimir Putin telefoniert. In dem 90-minütigen Gespräch habe Olaf Scholz den russischen Präsidenten «angesichts der Ernsthaftigkeit der militärischen Lage» dazu gedrängt, «so schnell wie möglich» eine «diplomatische Lösung» zu finden, teilte das Kanzleramt mit.
Als Bedingungen nannte der Sozialdemokrat einen Waffenstillstand, einen vollständigen Rückzug der russischen Truppen und die «Achtung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine». In der vergangenen Woche hatte Scholz bereits mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski telefoniert.
Rüstungsindustrie würde gerne liefern
Der Zeitpunkt für die Wiederaufnahme des Kontakts war natürlich keineswegs zufällig. Die verblüffenden Erfolge der jüngsten ukrainischen Gegenangriffe führen derzeit auf allen Seiten dazu, die Lage und die Perspektiven neu zu beurteilen. In Deutschland werden Rufe laut, Scholz und seine Regierung sollten der Ukraine jetzt endlich jene schweren Waffen liefern, die die Ukraine brauche, um die russischen Truppen zu besiegen und letztlich aus dem Land zu werfen.
In der Sache geht es vor allem um 88 alte Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 und um 100 Schützenpanzer des Typs Marder, welche die deutsche Rüstungsindustrie gerne nach Kiew liefern würde. Das Kanzleramt verhindert dies seit Monaten durch sein Veto. Manche Politiker – wie auch die ukrainische Regierung – verlangen zudem die Lieferung moderner Leopard-2- und Radpanzer aus den Beständen der Bundeswehr.
Angst vor Putins Atomdrohung
Zwei der drei Regierungsparteien – die Grünen und die FDP – sind sich mit den oppositionellen Christdemokraten einig, dass es in diesem Moment entscheidend sei, die Ukraine maximal zu unterstützen. Halte sich Deutschland weiter zurück, mache es sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig und sei für unnötige Opfer letztlich verantwortlich.
Während Grüne, FDP und CDU/CSU längst offen einen Sieg der Ukraine anstreben, bleibt Scholz seiner Maxime treu, dass Russland den Krieg nicht gewinnen und die Ukraine ihn nicht verlieren dürfe. Der Deutsche ist mit dieser Zurückhaltung nicht allein: In Washington und in Paris teilt man seine Sorge, Putin könnte irrational handeln, liesse sich nur so eine totale Niederlage verhindern – mit Atomschlägen zum Beispiel.
Widersprüche in der Argumentation
Auch in der Waffenfrage versteckt sich Scholz hinter den USA. Bislang hat keine westliche Macht der Ukraine moderne Kampfpanzer eigener Produktion überlassen. Deutschland habe nicht vor, hier vorauszugehen, betont der Kanzler bei allen möglichen Gelegenheiten.
Expertinnen und Politiker widersprechen Scholz seit Wochen. Man könne sowieso nicht voraussehen, was Putin tun werde – eine Eskalation sei aber eher nicht in seinem Interesse. Zudem sei es militärisch widersinnig, dass Deutschland modernste westliche Artillerie und Flugabwehr liefere, bei der Sendung von alten Kampf- oder Schützenpanzern aber fürchte, Putins rote Linie zu überschreiten.
Medien sehen einen «Wendepunkt»
Die deutschen Leitmedien von der liberalkonservativen «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» bis zur linken «Tageszeitung» haben angesichts der jüngsten ukrainischen Erfolge jedenfalls eindeutig Stellung bezogen. Deutschland handle gegen seine eigenen Interessen, so der Tenor, wenn es die Rückeroberung ukrainischen Territoriums nun nicht stärker unterstütze.
Scholz’ Mittelweg, der Putin stets noch einen gesichtswahrenden Ausweg aus diesem verbrecherischen Krieg bieten wolle, sei ans Ende gekommen, meinte die «Süddeutsche Zeitung». Die Ukraine könne nicht nur gewinnen, sondern müsse es auch, davon hänge mittelbar auch die Sicherheit Deutschlands ab. Berlin rede so gerne davon, aussenpolitisch mehr zu führen, kommentierte der «Spiegel». In der Frage der Panzerlieferungen sei der Moment dafür nun gekommen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.