Schoggi-Patron im Interview«Mit So Nuts bin ich aus Übermut zu weit gegangen»
Daniel Bloch baut neuerdings eigene Haselnüsse in Georgien an. In seinem zweiten Buch führt er aus, warum es mehr Träumer in Chefetagen braucht.
- Daniel Bloch erklärt, warum er als Chocolatier mit McDonald’s zusammenarbeitet.
- Beim neusten Produkt So Nuts musste Camille Bloch zurückbuchstabieren.
- Experimente mit zuckerarmem Ragusa brachten Bloch auf eine radikale Lösung.
- Das Familienunternehmen will nun eigene Haselnüsse in Georgien anbauen.
Herr Bloch, Sie sind vor kurzem 61 geworden und sehen nicht aus wie jemand, der täglich viel Schokolade isst. Verleidet einem das eigene Produkt irgendwann?
Gerade gestern habe ich einen Rundgang durch die Produktion gemacht und Ragusa und Torino verkostet. Wenn man Schokolade mit Mass konsumiert, verleidet sie einem nicht. Ich bin heute zwar an der Quelle, aber als Kind bekam ich nie Schokolade im Überfluss. Ich wusste, dass immer irgendwo im Elternhaus Schokolade versteckt war, und ich war ziemlich gut darin, diese Reserven zu finden. Aber es ging mir hauptsächlich darum, das Rätsel zu lösen. Deshalb geniesse ich Schokolade auch heute noch – in der ganzen Vielfalt. Ich probiere auch immer wieder Produkte der Konkurrenz.
Welches Konkurrenzprodukt mögen Sie besonders?
In der Schweiz haben wir wirklich die Qual der Wahl. Ich freue mich vor allem darüber, dass Schoggi wieder vermehrt als etwas Sinnliches präsentiert wird. Durch die Globalisierung wurde das Produkt immer billiger und auch ein wenig banal. Wenn Sie heute bei Läderach, in der Confiserie Eichenberger, im Läckerli-Huus oder in unserem Besucherzentrum in Courtelary vorbeischauen, erleben Sie die Schokolade als sinnliches Ereignis. Das tut gut in einer von Computern geprägten Welt.
Man könnte auch argumentieren, dass Schokolade viel Zucker enthält und Ihre Produkte deshalb ein Gesundheitsrisiko darstellen.
Ich verfolge die Zuckerdebatte natürlich. Und ich habe nie behauptet, Schokoladekonsum sei der beste Weg, gesund zu werden. Alles im Leben dem Streben nach Gesundheit unterzuordnen, kann allerdings auch krank machen. Es ist eine Frage des Masshaltens. Wir verstehen unsere Produkte als Genussartikel und verzichten weitgehend darauf, übergrosse Packungen zu Tiefpreisen anzubieten.
Trotzdem haben Sie auf die steigende Nachfrage nach zuckerarmen Produkten reagiert und versucht, den Haselnussanteil im Ragusa auf 60 Prozent zu erhöhen.
Das stimmt. Am Anfang stand eine Provokation von Dieter Meier, der unserer Branche vorwarf, wir seien gar keine Chocolatiers, sondern Zuckerhändler. Das brachte mich auf die Idee, ein Ragusa mit mehr Nüssen und weniger Zucker zu entwickeln. Allerdings merkten wir bald, dass es unmöglich war, den Nussanteil im Ragusa so stark zu erhöhen. So fanden wir schliesslich eine radikal andere Lösung: Statt Schokolade mit Nüssen produzierten wir Nüsse und Mandeln mit einer Ragusa- oder Torino-Hülle.
Seit der Lancierung von Ragusa 1942 und Torino 1948 hat Camille Bloch hauptsächlich die Produktpalette dieser beiden Marken erweitert. Nun haben Sie mit So Nuts eine komplett neue Marke lanciert. Hat sich der Mut ausgezahlt?
Ich wurde da aus purer Freude über unsere Innovation etwas übermütig und bin zu weit gegangen. Schokolade ist für die meisten Konsumenten wie ein guter Freund. Sie darf sich nicht radikal verändern. Als kleiner Hersteller eine neue Marke so rasch bekannt zu machen, dass sie im Detailhandel und an Kiosken die geforderten Absätze erzielt, ist praktisch unmöglich. Man muss sich seinen Platz teuer erkaufen und fliegt rasch wieder aus dem Regal. Wir werden da zurückbuchstabieren und wieder die Marken Ragusa und Torino in den Vordergrund stellen.
Wären solche Fehler vermeidbar, wenn Sie nicht seit bald 20 Jahren Firmenchef und Verwaltungsratspräsident in Personalunion wären?
Im Nachhinein ist man immer klüger, egal, wie die Governance aussieht. Ich bin gerne kreativ, aber bestimmt kein Diktator. Mein Ziel ist nicht, die eigenen Ideen durchzuboxen, sondern die verschiedenen Ideen und Träume unserer 180 Mitarbeitenden so zu erfassen und zu gestalten, dass daraus ein kollektiver Traum wird. Manchmal bin ich es, der eine neue Idee hat, oft sind es Leute aus meinem Team, regelmässig auch Kunden oder Lieferanten. Wichtig ist, dass man nicht nur die Fakten und die Zahlen im Auge hat, sondern ein Gefühl entwickelt für die Geschichten dahinter. Kein Mensch wird durch Zahlen motiviert.
Haben Sie deshalb schon Ihr zweites Buch veröffentlicht?
Ich finde es belebend, immer mal wieder den Bereich zu verlassen, in dem wir uns auskennen. Am Rand der eigenen Kompetenz wird man kreativ. Wenn ich schreibe, bewege ich mich in unsicherem Gelände und fühle mich dadurch frei. Schreibend versuche ich mir klarzumachen, wer ich bin und wer wir sind mit dem Unternehmen, das mein Grossvater gegründet hat. Identität ist nichts Starres, wir sind aufgefordert, immer wieder aufs Neue herauszufinden, wie wir in diese Welt passen.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Viele Unternehmen haben keine Geschichte mehr, keine kollektive Erzählung, die für alle motivierend ist. Wenn man nur die Sprache der Zahlen spricht und keine andere Geschichte mehr zu erzählen hat, ist das der Anfang vom Ende. Man wird austauschbar.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass Sie seit einiger Zeit mit McDonald’s zusammenspannen und deren Glace mit ihrem Topping veredeln.
Stimmt, das finde ich auch erstaunlich. Aber es gibt Gründe für diesen Ausreisser. Wir wollen auf diesem Weg ein junges Zielpublikum für unsere Marken gewinnen.
Warum haben Sie entschieden, unter die Bauern zu gehen und künftig selber Haselnüsse in Georgien anzubauen?
Das war eine Idee unseres Einkaufschefs René Meier. Aus strategischer Sicht sind die Nüsse für uns besonders wichtig. Ich fand die Idee, mehr Kontrolle über die Qualität dieses Rohstoffs zu erlangen, interessant. Die Türkei hat einen Marktanteil von über 70 Prozent bei den Haselnüssen, entsprechend stark schwanken die Preise, wenn es Ernteausfälle gibt. So entschieden wir uns nach einigen Diskussionen, 650 Hektaren Land in Georgien zu kaufen. Das Projekt ist auf geopolitischer, landwirtschaftlicher und juristischer Ebene sehr anspruchsvoll, aber ich bin zuversichtlich, dass wir bis in fünf Jahren die Hälfte unserer Haselnüsse selber produzieren können.
Der Kakaopreis hat sich innert weniger Monate fast verdreifacht. Werden Sie demnächst auch diesen Rohstoff selber produzieren?
Nein, das ist nicht geplant. Aber wir beziehen den Kakao seit einiger Zeit nicht mehr aus Ghana, weil dort die Menschenrechtslage kritisch ist. Mit den Kakaobauern in Peru sind wir in regelmässigem Austausch. Wir wissen, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Die Preisschwankungen waren zuletzt so extrem, dass wir nicht darum herumkommen, einen Teil unserer Mehrkosten an die Kunden weiterzugeben. Wir heben die Preise in zwei Schritten an, insgesamt um gut 10 Prozent.
Sie schreiben, ohne Ihre drei Kinder hätten Sie kein Buch über die Zukunft des Unternehmens geschrieben. Wissen Sie schon, ob bald die vierte Generation übernehmen wird bei Camille Bloch?
Ich wünsche mir, dass Camille Bloch ein Familienunternehmen bleibt. Mein Bruder, der ebenfalls an der Firma beteiligt ist, hat auch Kinder – es gibt also einige Optionen und gleichzeitig einiges zu klären. Wenn niemand aus der Familie den Schritt wagen möchte oder kann, wäre es auch möglich, dass jemand anderes die Geschäftsleitung übernimmt. Aber aktuell ist das noch weit weg. Ich fühle mich noch relativ jung und möchte noch einiges erreichen mit dem Unternehmen. Dass ich im Buch meine Kinder erwähnt habe, hat nicht primär mit der Nachfolgefrage zu tun.
Sondern?
Mein wichtigstes Zielpublikum beim Schreiben sind junge Menschen. Ich möchte, dass sie den Mut finden, sich selber zu folgen, inneren Erfolg anzustreben, statt andere beeindrucken zu wollen. Wenn wir Netflix-Serien über Erfolgsunternehmen schauen oder Berichte lesen über Start-ups, die innert weniger Jahre eine Milliardenbewertung erreichen, könnte man meinen, nur solche Geschichten seien attraktiv. Ich finde entscheidend, dass man etwas aus seinen Möglichkeiten macht und immer in den Spiegel schauen kann. Es braucht eine gute Mischung aus Realitätssinn und der Fähigkeit zu träumen.
Waren Sie als Kind ein Träumer?
Ja, ich wurde deswegen oft etwas belächelt. Später wurde ich Anwalt, erwarb an einer Kaderschmiede einen MBA-Titel. Als ich ins Familienunternehmen eintrat, stützte ich mich stark auf meine rationalen Fähigkeiten, auf Logik, Finanzen, Recht. Aber wenn es sich darin erschöpft, stirbt mit der Zeit etwas in dir ab. Heute sehe ich mich als Realitätskünstler. Ich kenne die Geschichte, die Fakten, den Markt … und interessiere mich genauso für die Emotionen, die Träume, die wunderbaren Zufälle. Innovation bedeutet, ein Problem sehr gut zu verstehen – und gleichzeitig parat zu sein für eine Lösung, die niemand auf dem Zettel hatte.
Daniel Bloch: Creating Identity. Von der Bewegungsfreiheit mit dem Vorderrad. Knapp Verlag, 2024. 157 S., 24 Fr.
Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach und Referent tätig. Er ist Autor der Bücher «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch.
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